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Ich fürchte midi vor den Fortschritten der Wissenschaft

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In seinem ausgezeichneten „Roman des Fleckfiebers“ schilderte Hans Zinsser schon 1934, wie zahlreiche Kriege nicht von den Heerführern, auch nicht von den Geführten, sondern von den Epidemien entschieden wurden, die“ Hunderttausende hinrafften. Das Buch Zinssers ist leider viel zu wenig bekannt, und während die Atombombe infolge ihres tragisch-dramatischen Auftretens von jedem denkenden und mitfühlenden Menschen gefürchtet wird, spricht man von der Biologischen Kriegsführung nur selten; sie ist in ihrer Gefährlichkeit wohl nur den Fachleuten und den Generalstäben bekannt.

Der Ausdruck „Biologische Kriegsführung“, der eine Contradictio in adjecto scheint — denn die Biologie ist die Wissenschaft vom Leben —, wurde von den Amerikanern geschaffen als Sammelbegriff für die „Verwendung von Bakterien, Pilzen, Viren, Rickettsien und Giftstoffen aus lebendigen Organismen, die den Tod oder die Erkrankung von Menschen, Tieren oder Pflanzen hervorrufen sollen“. Der Sammelbegriff wurde von den Amerikanern geschaffen — Vorbereitungen zum biologischen Krieg gibt es jedoch in vielen Ländern.

Die Vereinigten Staaten, in denen es die reichste veröffentlichte Literatur über dieses Thema gibt, begannen im Herbst 1941, sich mit der Biologischen Kriegsführung zu beschäftigen. Im Juni 1942 übergaben Dr. Rosebury, Dr. Elvin A. Kabat und Martin H. Boldt dem Nationalen Forschungsrat eine detaillierte technische Analyse der Biologischen Kriegsführung. Dieser Bericht blieb während des Krieges geheim und wurde erst im Mai 1947 veröffentlicht. Er führte den Titel: „Bakterienkrieg, eine kritische Analyse der vorhandenen Agenten, ihrer möglichen militärischen Anwendung und der Schutzmittel gegen sie.“ Im April 1943 wurde Camp Detrick bei Frederick im Staate Maryland als hauptsächliche Forschungsstätte für Biologische Kriegsführung eingerichtet. Auf ihrem Höhepunkt während des Krieges gab es dort fast 3900 Fachleute. Camp Detrick hat diese Funktion bis heute, die derzeitige Zahl der dortigen Mitarbeiter ist natürlich nicht bekannt. Von anderen Staaten weiß man selbst dieses wenige nicht. Ungleich der Erzeugung der Atombombe ist die Erzeugung biologischer Waffen billig. Sie bedarf zudem nicht eines großen technischen und industriellen Apparats. Und die biologischen Waffen sind auch leichter verständlich als die Atomkraft.

In dem Bericht von 1942 werden ziemlich ausführlich und mit den Gründen die 37 Krankheiten verzeichnet, die für die Biologische Kriegsführung unpraktisch seien. Dazu gehören Lepra, deren Inkubationsfrist zu lange ist; Blattern, da zu viele Menschen geimpft sind; Tuberkulose, die zu langsam tötet und sich schwer verbreiten läßt; Beulenpest, weil unter anderem der Floh, der sie verbreitet, leicht umkommt, und so weiter.

Für die Biologische Kriegsführung viel praktischer sind die Keime verschiedener, den Laien wenig bekannter Krankheiten, wie Botulismus, Papageienkrankheit, Brucellosis (Bangs Krankheit, schweres Wechselfieber), Tularemie („Hasenpest“), Melioidosis (eine fast immer tödliche Krankheit des Fernen Ostens), Lungenpest, Rinderpest, Milzbrand, Rifttalfieber (von dem es 1930 eine Epidemie in Afrika gab), Hirnhautentzündung, Cholera, Bauchtyphus, bazilläre Dysenterie, Malaria, Flecktyphus, Buschtyphus, Rocky Mountain-Flecktyphus, Gelbes Fieber, Dengue (Tropenkrankheit) und andere.

Dazu noch einige allgemein bekannte, wie Influenza und — im Gegensatz zur populären Meinung — Masern und Mumps, die „fast ideal gewählte biologische Kampfmittel sind“. An einer Front von Truppen eingeschleppt, die diese sogenannten Kinderkrankheiten überstanden haben, würden sie unter den nicht immunen Verteidigern eine Katastrophe anrichten, während den Angreifern nichts geschehe.

Es wird kaum eine biologische Waffe geben, die alle Opfer tötet oder die sofort wirkt wie eine Explosiv- oder Atombombe. Die Symtome der Infektion zeigen sich erst nach Ablauf der Inkubationsfrist, das heißt nach mehreren Tagen oder nach mehreren Wochen, wenn das infizierte Lebewesen krank wird. Der biologische Krieg könnte wahrscheinlich nie absolut sein in seiner Wirkung. Aber das ist auch nicht nötig. Ein Angriff könnte mit einer relativ leichten Krankheit beginnen, wie Dysenterie oder Schnupfen, während deren Verlauf eine Besetzung des angegriffenen Landes durch immunisierte Truppen erfolgt.

Einige biologische Agenten, wie das Bo-tulinustoxin oder Lungenpestbazillen würden einen relativ hohen Prozentsatz von Todesfällen verursachen. Andere, wie die Keime von Tularemie oder Brucellosis, würden wenige Personen töten, aber langdauerndes schwächendes Siechtum hervorrufen. Bei der Beurteilung der militärischen Wirksamkeit ziehen die Militärs Lähmung oder Schwächung einer Tötung vor, da die Kranken des angegriffenen Landes ärztliches Personal, Spitalraum und anderes zu ihrer Pflege benötigen und auch sonst die Hilfsquellen des Landes in Anspruch nehmen und so dessen Bewegungsfreiheit hindern. Bis zum zweiten Weltkrieg fürchteten alle Armeen spontan auftretende epidemische Krankheiten mehr als das Feuer des Gegners. Im letzten Jahrzehnt machte die Vervollkommnung aller Explosivwaffen und der Fortschritt in Verhütung und Heilung von Krankheiten den Krieg verderblicher als die Bakterien. Jetzt mag es wieder umgekehrt sein.

George W. Merck, der Leiter der gleichnamigen großen pharmazeutischen Fabrik, schrieb als Konsulent der amerikanischen Regierung in Angelegenheiten der Biologischen Kriegsführung: .... Die Entwicklung von Agenten für die Biologische Kriegsführung ist in vielen Ländern, groß oder klein, möglich und erfordert weder große Geldausgaben noch die Einrichtung von riesigen Produktionsstätten.“ Es genügen eine Brauerei und das Wissen, das zu ihrem Betrieb nötig ist. Die Entwicklung und Herstellung biologischer Waffen könnte „unter dem Vorwand legitimer medizinischer oder bakteriologischer Forschungen“ erfolgen. Dieser Mißbrauch der Wissenschaft kehrt den Zweck der Forschung in sein Gegenteil. Der erste, dem es gelänge, den Erreger der Kinderlähmung zu finden und zu züchten, hätte zugleich eine mörderische Waffe in der Hand. Darum fürchte ichmichvordenFort schritten der Wissenschaf11

Explosiv- und Atombomben haben eine sofortige und indiskriminierende Zerstörung zur Folge. Kein Lebewesen und kein Ding, das zerschlagbar oder brennbar ist, kann entkommen. Die Biologische Kriegsführung hingegen würde durch eine relativ auslesende und verzögerte Wirkung gekennzeichnet sein. Ihre Zielobjekte wären bestimmte Arten von Lebewesen, und der angerichtete Schaden würde sich erst nach Ablauf der Inkubationsfrist zeigen.

Das Ziel einer Biologischen Kriegsführung müssen nicht Menschen sein; oder nicht Menschen allein. Das so segensreiche DDT kann zur Vernichtung aller Insekten eines Landes benützt werden, wodurch die Befruchtung vieler Bäume und sonstigen Pflanzen unterbliebe. Viele Vögel würden keine Nahrung mehr finden und würden dadurch weitere Gleichgewichtsstörungen in der Natur verursachen. Man kann aber auch die Staaten direkt mittels Rostpilzen und anderen Krankheiten angreifen. Gezielte Viehseuchen können Hungersnöte und Störungen in Wirtschaft und Natur hervorrufen: Mangel an Künstdünger in der Landwirtschaft, Mangel an Zugvieh oder Kamelen in Ländern, die auf sie angewiesen sind, Vernichtung von Schafen etwa in Australien. In der Biologischen Kriegsführung würde der apokalyptische Reiter Hunger seinem Kameraden Pest auf dem Fuße folgen.

Freilich wird eine solche Seuche sich unter nicht vorausberechenbaren Bedingungen gegen den wenden, der sie in die Welt gebracht hat. Ein Aggressor wird also gegen einen unmittelbaren Nachbarn nur schwächere biologische Waffen einsetzen. Biologische Kriegsführung großen Stils ist nur bei einem interkontinentalen Konflikt praktisch, aber auch dann „könnte Amerika nicht hoffen, Sowjetgebiete zu verwüsten, ohne sich selbst zu verletzen, und die Russen könnten nicht hoffen, uns zu schaden, ohne sich selbst wehzutun“ (Dr. Rosebury).

Ist ein biologischer Angriff auf ein größeres Gebiet erfolgt, wird man versuchen müssen, diese durch eine Quarantäne zu isolieren. Die unmittelbaren Verteidigungsmaßnahmen beruhen auf vier Mittel: auf den sanitären Einrichtungen, auf dem Gebrauch von Masken und anderen physischen Schutzmitteln, auf Impfung und anderen biologischen Schutzmethoden und auf der Behandlung der Erkrankten. Niemand mache sich Illusionen über die Wirksamkeit dieser Maßnahmen. Schon bei einer leichten Grippeepidemie — wie sie bei uns fast jeden Winter auftritt — reichen die zur Verfügung stehenden Ärzte und Spitäler nicht aus. Absolut sichere Vorbeugung ist unmöglich. Aber man kann sich auch nicht einmal gegen bestimmte Krankheiten mit Sicherheit auf die Dauer schützen. Und da, wo wir die technischen Möglichkeiten dazu besitzen, fehlen die sozialen, wirtschaftlichen und politischen.

Biologische Waffen sind mit den Sinnen nicht wahrnehmbar. Die Literatur kennt keine bewährten chemischen oder physikalischen Methoden zu ihrer Feststellung. Außer: die Diagnose aus den Symptomen der Erkrankung. ' „In der Zukunft mag es vorkommen, daß ein Land, das sich sicher fühlt, weil es hundert Atombomben besitzt, eines Tages von seinen Statistikern gewarnt wird: ,In den letzten fünf Jahren ist die Zahl der Fehlgeburten in den Zentralgebieten derart gestiegen, daß es nun nicht einmal eine normale Geburt unter sechs gibt; in den Küstengebieten haben Feuer die Ernte vernichtet; die Trockenheit im Norden hat das Land eines Viertels seiner elektrischen Energie beraubt.' Staatsfunktionäre werden die Erklärung finden: ... seit mehreren Jahren wird Krieg gegen das Land geführt, aber niemand wußte bisher, daß die Feindseligkeiten ausgebrochen waren.“ Diese Warnung stammt von niemand Geringerem als dem französischen Nobelpreisträger Frederic Joliot-Curie. Daß er Kommunist ist, sollte sie noch unterstreichen. Der seinerzeitige Außenminister James Byrnes nannte den Biologischen Krieg „eine noch fürchterlichere Methode der Menschenvernichtung als der Atomkrieg“.

Die UNO hat wenigstens versucht, den A.tomkrieg zu ächten, aber keines ihrer Mitglieder hat bisher vorgeschlagen, die Biologische Kriegsführung zu ächten.

Zwar hat das Genfer Protokoll vom 17. Juni 1925 nicht bloß Giftgase verboten, sondern auch spezifisch den Bakterienkrieg, und es wurde von 41 Nationen ratifiziert, darunter auch von Frankreich, Großbritannien, der Sowjetunion und Deutschland, aber leider sind ihm weder die USA noch Japan beigetreten. Und am 8. April 1946 zog Präsident Truman das Genfer Protokoll, zusammen mit achtzehn anderen unratifizierten Verträgen, aus dem Senat zurück.

Auf dem 4. Internationalen Kongreß für Mikrobiologie, der im Juli 1947 in Kopenhagen stattfand, wurde eine lobenswerte Resolution gegen die Biologische Kriegsführung angenommen. Darin wird diese Form des Krieges als „barbarisch“ und als „absolut unwürdig jedes zivilisierten Gemeinwesens“ erklärt. Aber gilt das nicht eigentlich für jede Form der Kriegsführung? Und wenn man eine Waffe ächten kann, kann man auch den Krieg ächten. Dann kämen wir auch dazu, die Slums und die Syphilis aus der Welt zu schaffen, statt neue Ruinen und neue Leiden zu erzeugen.

Bei der Atombombenproduktion mag es Monopole geben, es gab aber nie ein Monopol in biologischen oder chemischen Waffen, die ebenso verwüstend sein können wie die Atombombe. Zum Unterschied von der Atomkraft gibt es in der Biologischen Kriegsführung nichts, was sich an Größe und Bedeutung der friedlichen Verwendung mit ihr messen könnte. Wäre man gewiß, daß alle Staatsmänner rational und christlich denken, dann würden wir keine Angst haben müssen: die Gefahr der Rückwirkung in der Biologischen Kriegsführung ist so groß, daß diese unpraktisch wird. Aber wie viele Staatsmänner denken schon christlich und rational?

Die große amerikanische Zeitschrift „Time“ drückt die „positive“ Alternative folgendermaßen aus: „Wenn alles gut geht, dann würde die Nation, die den Biologischen Krieg anwendet, als eine Insel der Gesundheit in einer Welt voll giftiger Kadaver zurückbleiben.“

Von dieser Insel der Gesundheit“ wird dann wohl kaum noch ein neues Utopia erzählen.

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