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Ich fürchte mich auch vor der Unterdrückung der Wahrheit..

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Das kommunistische Zentralorgan Österreichs benützte in der Ausgabe Nr. 16/1951 den Beitrag von Dr. S. K. Kennedy „Ich fürchte mich vor den Fortschritten der Wissenschaft“ („Die Furche“ Nr. 4/1951) zu einer einseitigen Zitierung und Auslegung. Mit Rücksicht auf den Ernst des Themas glauben wir, dem Autor des Aufsatzes das Wort zur Erwiderung erteilen zu müssen.

Mein Artikel „Ich fürchte mich vor den Fortschritten der Wissenschaft“ wurde von dem kommunistischen Hauptorgan in Österreich in seiner Ausgabe vom 21. Jänner 1951 ausführlich zitiert und zur Propaganda gegen Amerika mißbraucht.

Es gehört zu den großen Vorteilen der Demokratie — wie sie ein Intellektueller am meisten schätzt —, daß man ihre Fehler ' und ihre Schwächen aufzeigen und kritisieren kann. Während also in Amerika verschiedene — zum Teil sehr kritische und ablehnende — Berichte über die Kriegsvorbereitungen mittels Atombomben und biologischer Waffen erschienen sind und allgemein verbreitet wurden, gibt es in der Sowjetunion keinerlei ähnliche kritische oder unkritische Publizistik. Und so weiß man — wie ich in meinem Artikel schrieb und wie die genannte Zeitung mir unvor-ßichtigerweise nachschrieb — „von den andern Staaten selbst dieses wenige nich t“.

In Amerika gibt es ein Camp Detrick; wie die gleichartigen Camps in der Sowjetunion heißen und wo sie liegen, weiß wahrscheinlich der in meinem Artikel zitierte Prof.' Joliot-Curie, der bereits 1946 dem Land, „das sich sicher fühlt, weil es hundert Atombomben* besitzt“, mit dem Schrecken der biologischen Kriegsführung drohte. Infolgedessen konnte Ernest Oppenheimer erwarten, daß sich Rußland der biologischen Kriegsführung bedienen wird. Er schrieb im Dezember 1947 über die beiderseitige Strategie des allerletzten Krieges: „So werden also die Amerikaner an der Pest zugrunde gehen, während die Russen an der Radioaktivität sterben werden.“ Da auch die Russen inzwischen die Atombombe erlangt haben, steht nun die ganze Menschheit vor der Wahl, ob sie lieber verbrennen oder verfaulen — oder in Frieden leben will.

Die von mir zitierten Dr. Rosebury und Dr. Bradley können dies sagen, aber kann in der Sowjetunion jemand die eigenen Kriegsvorbereitungen kritisieren? Selbst wenn sich ein kommunistischer Wissenschafter fände, der den Mut aufbrächte, die sowjetischen Vorbereitungen etwa zum Bakterienkrieg aufzuzeigen, so gäbe es wohl ein KZ, aber keinen Verlag für ihn.

Wie sagte doch der — in der gleichen Nummer des genannten Presseorgans gefeierte — Lenin 1920 in Moskau: „Warum sollten Redefreiheit und Pressefreiheit erlaubt sein? Warum sollte eine Regierung, die tut, was sie für richtig hält, sich kritisieren lassen? Sie würde eine Opposition mit tödlichen Waffen nicht zulassen; Ideen sind viel tödlicher als Kanonen.“

Vielleicht wird es einmal dazu kommen, daß auch ein amerikanischer Staatschef so spricht, aber vorläufig ist die Unterdrückung der Wahrheit ein Kennzeichen der Diktaturen und ihrer Anhänger.

1947 und 1948 verhandelte ich mit verschiedenen österreichischen Verlagen über die von mir vorgeschlagene Übersetzung einiger amerikanischer Bücher. So kam ich auch zu Dr. Walter H o 1-1 i t s c h e r, dem damaligen Lektor und wissenschaftlichen Leiter des Verlages „Neues Österreich“ und des Erasmusverlages, heute Ordinarius für marxistische Philosophie an der Ost-Universität Berlin. Dr. Hollitscher gab mir nach Lektüre der vorgeschlagenen Werke die Antwort: „Es gibt wichtigere Bücher als diese.“

Ich stimmte zu: „Wollen Sie ein solches allerwichtigstes Buch verlegen?“

Hollitscher fragte interessiert nach Verfasser und Titel.

„Sie kennen das Buch zweifellos. Es ist der Tatsachenbericht .Hiroshima' von John Hersey.“

Hollitschers rundes Gesicht wurde plötzlich lang. „ .Hiroshima' ist zu de-faitistisch“, sagte kurz und bündig der Mann, der, obzwar Kommunist, zur genau gleichen Zeit eine deutsche Ubersetzung des „dekadenten“ Baudelaire verlegt hatte, allerdings eine Ubersetzung, die von seinem Parteivorgesetzten Emst Fischer stammte. Damals hatten die Russen die Atombombe noch nicht und infolgedessen leugneten sie die Gefahr, die den „Wehrwillen“ lähmen konnte. Heute aber zitieren die Hollitschers meinen Artikel... Und zum Unterschied von den Hollitschers fürchte ich mich vor den russischen Atombomben und biologischen Waffen ebensosehr wie vor den amerikanischen.

In meinem Artikel — wie in meiner ganzen Arbeit — trete ich gegen den Krieg und nicht nur gegen einzelne Waffen auf. Ich bin gegen die Atombombe, aber ich bin ebenso gegen die bisherigen sogenannten konventionellen Waffen. Die Atombombe verurteilen, aber die nordkoreanische Aggression begrüßen, scheint mir ein Ausdruck der verwerflichen und . gefährlichen Gesinnung der doppelten Moral. Und so bin ich auch gegen die Unterdrückung der Wahrheit — denn eine halbe Wahrheit ist eine halbe Lüge — durch die genannte Zeitung, die zwar die Warnungen Dr. Roseburys zitiert, nicht aber die Drohungen ihres Parteigenossen Joliot-Curie. Und ich fürchte mich deshalb nicht nur vor dem Krieg, sondern auch vor jener Unterdrückung der Wahrheit, die die Kriege immer begünstigt hat.

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