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Das Atom: Kriegsfurcht und Friedenshoffnung

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Die friedliche Verwendung der Kernenergie. Von Gerald Wendt. Nest-Verlag, Frankfurt am Main. 140 Seiten.

Atomenergie und Atomzeitalter. Von Carl Friedrich von Weizsäcker. Fischer-Bücherei, Frankfurt am Main. 165 Seiten.

Atom — Zukunft der Welt? Von Charles-Noėl Martin. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main. 120 Seiten.

Es ist keine Zeit mehr zu verlieren. Der Mensch im Atomzeitalter. Von Freda Wuesthoff. Otto- Maier-Verlag, Ravensburg. 132 Seiten.

Vom ewigen Krieg zum großen Frieden. Von Richard Coudenhove-Kalergi. Muster- schmidt-Verlag, Göttingen. 280 Seiten.

Neue Wege zur Freiheit. Von Erwin D. C a n h a m. Carinthia, Klagenfurt. 97 Seiten.

Atomzentrum in der Normandie. Roman. Von Roger B ė s u s. F. - H. - Kerle - Verlag, Heidelberg. 447 Seiten.

In unserer zerspaltenen Welt sind auch die Wissenschaftler „gespalten“. Wir wissen wenig von der inneren Gesinnung der Kernphysiker und Atomforscher in der östlichen Welt, dafür um so mehr von der Einstellung ihrer Kollegen im Westen. Grob gesagt, lassen sich drei Gruppen unterscheiden: „Regierungstreue“, die das Amt des Beschwichtigungshofrates übernommen haben (freiwillig oder gepreßt), für Fortsetzung der Atombombenversuche sind und die biologischen Folgen zu verharmlosen geneigt sind. Zum zweiten: radikale Gegner dieser ersten Gruppe. Zum dritten: Unabhängige, die sich bemühen, sich und der Weltöffentlichkeit ein möglichst sachliches Bild von den heilvollen und unheilvollen Möglichkeiten der Atomwirtschaft vorzustellen. — Wenn irgend etwas zur Hoffnung berechtigt, daß die Wissenschaft wieder Bekenntnischarakter gewinnt und damit persönliche Glaubwürdigkeit, dann ist dies im politischen Engagement der Atomwissenschaftler zu sehen. Es muß dieses nicht unbedingt solche Formen annehmen, wie im eben zu Ende gegangenen westdeutschen Wahlkampf, wo CDU und SPD je einen Kernphysiker als Kandidaten für den Bundestag nominiert haben, um ihre politischen Thesen durch Wissenschaftler vertreten zu lassen.

Die hier zur Besprechung vorliegenden Bücher verdienen von eben diesem Gesichtspunkt des Engagements her Interesse. Sehr leicht macht es sich Gerald Wendt, Kernphysiker und jahrelang Leiter der Abteilung „Lehre und Verbreitung der Wissenschaft" der UNESCO. Luther H. Evans, Generaldirektor der UNESCO, hat ihm ein Vorwort geschrieben. Hier ist so gut wie gar nichts von den Gefahren gerade auch der friedlichen Verwendung der Kernenergie zu lesen, wohl aber von ihren ungeheuren Möglichkeiten in Industrie, Landwirtschaft,, biologischer Forschung usw. So, wie wenn nicht gerade die amerikanische Forschung sich seit Jahren mit gefährlichen Folgen der Atomindustrie befassen würde. Einer der unsympathischen Züge der an sich so verdienstvollen UNESCO tritt hier stark hervor: die Neigung zu billiger „Aufklärung", Vereinfachung, Verharmlosung, ein gewisser Unwille, tiefer zu sehen und die wirklichen Grundfragen zu berühren.

Angenehm heben sich von dieser Schrift die zwölf Vorlesungen Carl Friedrich von Weizsäckers ab, die auch durch den Rundfunk weitere Verbreitung gefunden haben. „Man begrüßt das Atomzeitalter mit einer Mischung sanguinischer Hoffnungen und panischer Angst." „Ich mag mich irren, aber nach meinem Eindruck ist von diesen beiden Empfindungen die Angst die stärkere, wenigstens bei uns in Europa. Zum Teil ist sie uns selbst verborgen, weil wir Angst vor der Angst haben und sie ins Unbewußte drängen.“ Weizsäcker will sachlich informieren und sachlich warnen. Beides gelingt ihm. Er behandelt die wissenschaftlichen Voraussetzungen, die technischen Tatsachen und Möglichkeiten des Atomzeitalters und die Wirkungen auf das menschliche Leben. Besonders beachtenswert die Vorlesung über die biologischen Wirkungen (S. 106 ff.). Weizsäcker ist der Ueberzeugung, „daß man die Wirkungen der Radioaktivität auf den Organismus des Menschen sehr ernstnehmen muß“, und tritt deshalb für Einstellung der Atomwaffenversuche ein. — Seine Schlußvorlesung klingt in eine Mahnung und Bitte an die christlichen Theologen aus: die, alle, „in Gefahr sind, die konkreten Tatsachen, in deren Mitte sie leben, nicht

wirklich zu sehen". Weizsäcker glaubt, „daß die Theologie aus dem Bann des Kreisens in sich selbst nur durch die eigentliche christliche Tugend der Liebe zum lebendigen Menschen erlöst werden kann" (S. 164). Offenes Wort eines großen Forschers und Menschen. Es geht darum, „daß man mit dem, wovon das Christentum so lange gesprochen hat, in der konkreten Situation Ernst machen will“.

Dem Wort des evangelischen Forschers tritt, in tief-innerer Uebereinstimmung, die Ueberlegung eines katholischen Forschers zur Seite. — Charles- Noėl Martin stellt mit dem ruhig-nüchternen Sinn des Franzosen Betrachtungen über die konkrete Situation des Menschen an der Schwelle eines neuen Zeitalters an, wie sie durch die Atomindustrie und Atompolitik geschaffen wurde. Er übersieht weder „die Gefahren im Frieden" noch im möglichen Krieg. Dieses Büchlein ist zur Einführung in die Gegenwartslage sehr geeignet. Der Jesuit Franęois Russo weist in seinem Nachwort auf die Verpflichtung des Menschen, sich als Meister des Atoms zu bewähren, hin und macht einige beachtenswerte Bemerkungen über die Hinwendung der Materie zum Geist und über ihre Irrationalität.

Eine kluge und tapfere Frau, Freda Wuesthoff, von Haus aus Physikerin und Patentanwältin, Gründerin, mit anderen, des Deutschen Frauenringes, bis zu ihrem frühen Tode 1956 in der Sammlung der Frauen der Welt zur Arbeit des Friedens und der Verständigung tätig, hatte kurz vor ihrem Ableben einen Aufruf vorbereitet, der nunmehr in einer achtsprachigen Ausgabe vorliegt. Freda Wuesthoff schlägt einen Fünfjahresplan der Großmächte vor: Unterbrechung der Atomwaffenversuche und weltweite Aktivierung der friedlichen Erforschung der Wirkungen der bereits freigesetzten Radioaktivität.

Vor über dreißig Jahren hat ein junger Mann auf seine Weise das Erbe der Friedensarbeit der Bertha von Suttner aufgenommen und damals dezidiert erklärt: „Es sollen uns alle fernbleiben, die die Bedeutung der Idee verfälschen oder für sich nutzbar machen wollen. Alle Sektierer, Verräter, Spione, Haarspalter, Profiteure und Zyniker. Denn sie werden mit uns sowenig anzufangen wissen wie wir mit ihnen.“ Winston Churchill hat es Richard Graf Coudenhove-Kalergi bestätigt: „Dieser Mann hat die richtige Vision. Die rechte Schau der Dinge." Coudenhove-Kalergi, dem ein Hauptverdienst um die Einigung Europas zukommt, ist einer der wenigen lebenden konservativen Denker. Und als solcher ein Beleg für die oft übersehene Tatsache, daß der echte Konservative der einzige Realist ist, da er auf die ganze Wirklichkeit Rücksicht nimmt, der einzige Unbefangene, da er allein ohne Ressentiment ist. Sein neues Werk liefert dafür zahlreiche Belege. Nach einem nüchternen Ueber- blick über einige Jahrtausende Krieg untersucht Coudenhove-Kalergi die Kriegsgefahren der Gegenwart und die Aufgaben echter Friedensarbeit. „Europa sollte aus den traurigen Erfahrungen der Religionskriege lernen. Während des 16. Jahrhunderts glaubten Katholiken wie Protestanten an die Unmöglichkeit einer friedlichen Koexistenz! Beide Teile suchten den Gegner auszurotten, zu bekehren oder zu vertreiben. Erst nach eineinhalb

Jahrhunderten von Kriegen, Massakern, Hinrichtungen und Grausamkeiten erkannten beide, daß eine friedliche Koexistenz nicht nur möglich, sondern notwendig sei" (S. 177). „Seit die Welt besteht, gibt es nicht einen Weg zum Frieden, sondern zwei: den Weg der Verständigung — und den Weg der Macht." Kalergi bejaht die amerikanische Politik, Stalin im Zaume zu halten durch die Macht der USA, ist aber der Ueberzeugung, daß heute ein weiterer Schritt nötig ist. „Vor allem sollten West und Ost im Interesse gegenseitiger Vertrauensbildung aufhören, gegeneinander Propaganda zu treiben und zu versuchen, das andere Regime durch Fünfte Kolonnen zu stürzen. Statt dessen sollten West und Ost durch soziale Leistungen zu beweisen suchen, daß ihr System das bessere ist: beide sollten lernen, daß die Welt weit ist und Platz hat für mehr als eine einzige Formel zur politischen Beglückung der Menschheit. — Der Westen muß sich daran gewöhnen. den Bolschewismus nicht als ein Provisorium zu betrachten, sondern als ein ebenbürtiges System" (S. 186). „Die Voraussetzung für die Versöhnung der Menschheit aber ist. daß der Bolschewismus ein politisch-wirtschaftliches System bleibt und nicht zu einer neuen Weltreligion wird“ (S. 178). Graf Coudenhove sieht also gerade in dem, worin viele „Abendländer" die besonders arge Seite des heutigen Bolschewismus sehen, eine echte Chance eines kommenden Weltausgleichs: in der Verlagerung vom ideologischen zum wirtschaftlichpolitischen Einsatz der Kräfte. — Seine Thesen und Vorschläge sollten, endlich, ernsthaft diskutiert werden und Anregung zu einer konstruktiven Welt- und Friedenspolitik der freien Welt bieten. Dieser Reichsgraf und Altösterreicher hat der freien Welt mehr zu sagen, als einige Hundert fanatische Exkommunisten, Exnationalisten und ängstliche halblinke und ganz-rechte Politiseure.

Einen interessanten Beitrag zum Selbstverständnis der freien Welt liefert Erwin D. Canham: er zeigt auf, wie die heutige amerikanische Wirtschaft die älteren Stadien des Kapitalismus hinter sich gelassen hat und sich immer mehr als ein Spannungsfeld entfaltet, in dem die Freiheit, die Freiheiten der Gruppen und Einzelnen, konkrete Chancen besitzen und eine neue Gesellschaft vorbereiten. Um nicht in der Welt mißverstanden zu werden, rät Canham seinen amerikanischen Landsleuten: „Die Independenz der Völker der Welt einsehen und neuerlich anerkennen." „Unser Schicksal ist mit dem unserer Mitmenschen, vom ersten bis zum letzten, verflochten.“ „Geduld und Bescheidenheit üben. Das sind nicht unsere bekanntesten Eigenschaften. Wir brauchen sie aber notwendig in der heutigen Welt." Ein erfrischendes kleines Büchlein, voll eines gesunden, selbstkritischen Optimismus!

Der Roman von Roger B ė s u s ist wohl kein Schlüsselroman, beruht aber wohl auf Erfahrungen. Auf harten Erfahrungen auf harter Erde. Er zeigt, wie ein kleines Dorf in der Normandie in den Sog der industriellen, technischen und materialistischen Entwicklung durch ein Atomzentrum, das in seiner Nähe gebaut wird, gerät. Der einzelne wird zerschlagen. Hier ist es ein Priester, der sich der kommunistischen Machthaber und Intellektuellen im Atomzentrum und der Korruption der verdorbenen Ortsbewohner nicht erwehren kann. Hart ist der Mensch. Härter sind die „Mächte“. Mächte des Bösen, und Mächte, an sich nicht böse, die aber an der Zerreibung der Person mitwirken. Noch härter aber ist die Gnade. Das ist die Grundmelodie dieses Buches, die nicht überhört werden sollte. Der Kampf geht weiter. Nach dem Scheitern, nach dem Untergang ist, irgendwo, ein neuer Anfang. — Als eine farbenreiche Illustration zur großen Aufgabe des Christen in unserer Zeit darf dieser Roman gelesen werden: Wer heute für die frohe Botschaft, das Evangelium der Freude und des Friedens, unter seinen Zeitgenossen arbeiten will, muß sich im guten Sinne härten. Nüchtern, illusionslos, ohne Angst und ohne 'alsche Hoffnungen muß der Arbeiter im Weinberg des Herrn ans Werk gehen. Der Mut und die Klariert von Männern und Frauen, deren Werke hier inzuzeigen waren, kann da in vielem vorbildlich wirken.

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