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Habsburg sieht in die Welt

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Das neueste Werk Otto von Habsburgs - Vorträge und Autsätze in Spanien, Belgien, Frankreich, Nordamerika im Spätherbst 1954 und den ersten beiden Monaten dieses Jahres — verdient, neben dem Interesse, das die gebildete und politisch interessierte Weit heute allen Aeußerungen des Chefs des Hauses Habsburg entgegenbringt, Beachtung, weil es drei Momente vereinigt, die bei den beruflichen Verteidigern des „christlichen Abendlandes“ nicht eben häufig zu finden sind: einen nüchternen politischen Realismus, ein „unerschütterliches Vertrauen in die Zukunft“ (15) und eine Berücksichtigung asiatischer und besonders auch südamerikanischer Lebensfragen. Einleitend bekennt der Autor, daß er seine positive Auffassung, sein Bekenntnis zu den schöpferischen Möglichkeiten des Atomzeitalters — im vollen Bewußtsein seiner Gefahren — einem persönlichen Erlebnis verdanke: dem Besuch einer Atomanlage an der pazifischen Küste der USA., in der es „rein und ruhig wie in einem Sanatorium“ zugeht, während doch gleichzeitig ungeheure Kräfte gebändigt, entbunden und gebunden werden Erstes Fazit dieser Erkenntnis: Die atomische Revolution gibt uns das Gebot des Friedens (10). Der Friede kann aber „nicht auf einer einfachen, demagogischen Formel aufgebaut werden“. Eriedensarbeir bedeutet „unendliche Geduld und Kleinarbeit“. Die Welt wird aber erst Frieden finden, „wenn wir neben einer neuen Weltordnung den Grundstein der inneren Verbrüderung gelegt haben. Heute ist diese noch nicht gegeben“. Es ist hochinteressant, wie hier, mehrfach, der Chef des Hauses Habsburg sich zur größten und um kämpf testen Idee der Neuzeit bekennt — einer Idee, die von den Vätern, Königen und Priestern Alteuropas sehr zu ihren Schaden abgelehnt wurde, zur Idee der fraternite, der Brüderlichkeit. Ohne Zweifel sind es hier, wie auch an vielen anderen Punkten, deutlich sichtbare amerikanische Einflüsse, die dieses Bekenntnis mitbedingt haben. Friede setzt Gottesfurcht voraus, wobei festzuhalten ist: „Christentum. Christ. Gott stehen hoch über jeder politischen Gruppierung, denn es handelt sich hier um etwas, das Allgemeingut werden muß, soll die Welt nicht untergehen. Immer mehr erscheint dieser Begriff (hier wäre — Anmerkung des Rezensenten — statt Begriff ein Wort zu wählen, das die Wirklichkeit Gottes ansagt) als das einzige Mittel, um das Chaos zu besiegen und uns innere Gerechtigkeit und weltweite Völkerverständigung zu geben.“

Die Fragen der Weltpolitik, die im ersten Teil dieses Buches anvisiert werden, stehen im Sehwinkel des amerikanischen und spanischen Publikums, dem sie in dieser Form vorgestellt werden, und, in specie, der Zeitsituation November 1954 bis Februar 1955. Das ist schade, denn dadurch fallen für den mitteleuropäischen Leser eine Reihe von Perspektiven aus, die ihn interessiert hätten Otto von Habsburg verfolgt hier eine Linie, die sich in wesentlichen Punkten mit der Außenpolitik von John Foster Dulles einverstanden erklärt und mit einem gewissen Integralismus, wie er in Spanien und bei den Amerikanern vertreten wird. Auch hier aber sind einzelne Bemerkungen interessant, so Seite 30, über die „Aussicht auf eine Spannung zwischen Peiping und Moskau. Diese ist eine der schönsten Hoffnungen für die Zukunft“ Der Autor sieht sehr deutlich das zunehmende Uebergewicht des chinesischen Kommunismus über Moskau, eine Pression, die viel dazu beigetragen hat zu den Aktionen. Rußlands in Europa in letzter Zeit. Sehr beachtenswert sind die Hinweise und Ausführungen über das große, eben erst in Erschließung befindliche Potential . Südamerikas (56 ff), über die unglückliche

Haltung vieler Europäer den USA. gegenüber (sie finden nicht die rechte Mitte zwischen Servilismus und unfruchtbarer Kritik). Die größte politische Schwäche der Amerikaner „ist ihre Naivität-, durch die sie immer wieder falschen Freunden und Schmeichlern aufsitzen. Gerade diese Untugend bringt es mit sich, daß mehr denn einmal die Amerikaner ihre eigenen ärgsten Feinde sind“ (64). Der Autor plädiert für eine loyale, offene Zusammenarbeit zwischen Europa und USA, für eine Partnerschaft, „nicht aber um ein Verhältnis zwischen Herr und Satellit“, wobei er die großen schöpferischen Möglichkeiten Europas gerade in der heutigen Zeit betont. Die Aufsatzreihe dieses ersten Teiles schließt mit einem Artikel „Friedliche Koexistenz“, der leicht mißverständlich wirken kann, da der Autor m. E. nach die Gefahr der Theorie der „friedlichen Koexistenz“ für die freie Welt überaus stark betont, ohne ein Gegengewicht aufzuzeigen.

Die fünf Arbeiten des zweiten Teiles — „Staatsbürger und Gesellschaft“ — befassen sich mit folgenden Themen: Atomenergie für Friedenszieie, Wandlung im Gesellschaftsbau; Armee im Atomzeitalter, das soziale Problem und die Wirtschaft, der Intellektuelle und seine Sendung. — Auch hier finden sich eine ganze Reihe diskussionsreifer Gedanken, die eine Auseinandersetzung auch in Mitteleuropa verdienen würdin. Der Aufsatz „Armee im Atomzeitalter“, eine Rede, vor spanischen Offizieren gehalten, hätte, da er mißverständlich wirken muß, in dieser Auswahl durch einen anderen ersetzt gehört. Er ist, mit seinem Lob des christlichen Soldaten, in Spanien, einem Lande alter Tapferkeit und eines völligen Fehlens militaristischer Akzente, berechtigt, im deutschsprachigen Raum, in dem der Militarismus heute bereits wieder hoch ins Kraut schießt, kann er sehr mißbraucht werden. Auch Sätze, wie „Im sozialen Bereich bietet die Armee die fast einzigartige Möglichkeit eines' Kontaktes Zwischen den Ständen“, gelten nicht für die europäische . Wirklichkeit von 1955. — Interessant ist das Bekenntnis des Autors zu einer zyklischen Geschichtsauffassung — in Kreisen und Revolutionen wiederhole die Weltgeschichte immer wieder verwandte Situationen —, und seine scharfe Ablehnung der linearen Fortschrittsidee; hier muß doch festgehalten werden, daß die Kreislaufidce antik und heidnisch ist, einem Denken entsprechend, das die Hoffnung, die Freiheit und das Reich Gottes nicht kennt, während auch noch die dekadenteste Fortschrittsidee ihre Herkunft von der Bibel nicht leugnen kann. — Erfrischend wirkt der Schlußaufsatz, ein Bekenntnis zur Elite-Sendung des jungen christlichen Intellektuellen: Europa ist heute Missionsland, und der junge christliche Intellektuelle kann Europa wieder einer Christianisierung zuführen, die in den letzten Jahrhunderten durch das Versagen der alten Führungsschichten verspielt wurde. „Die Verantwortung für unseren Niedergang lastet auf den führenden Schichten . . . Die neuheidnische Zersetzung kam von oben“ (175). „Dem jungen Intellektuellen von heute eröffnet sich eine Aussicht, herrlicher als unsere schönsten Kindheitsträume, der Ausblick auf ein Leben, das nicht weniger abenteuerlich sein wird, als das der Kreuzfahrer oder der frühchristlichen Missionare.“ Dieser christliche Optimismus und Realismus, der im Angesicht der Gefahren die einzigartigen Chancen nicht übersieht, ist das Beste an diesem Buche Otto von Habsburgs, das um Diskussion weit über die Kreise seiner engeren Anhänger hinaus Wirbt.

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