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Der ewige Friede in Sicht

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TECHNIK BESIEGT DEN KRIEG. Von Walther Allgö wer. Nest-Verlag, Frankfurt am Main. 242 Seiten.

Der Buchtitel sollte eigentlich lauten „Technik hat den Krieg besiegt", denn für den Autor ist es bereits vollzogen Tatsache: „der Krieg schaltet sich von selbst aus", weil er jeden Kriegführender mit den nuklearen Waffen total vernichten • müßte. Die volle Überzeugung, es könne nie mehr zu einem Krieg kommen, gibt Anlaß, alles bisher Gewesene zu einem Scheiterhaufen zu schlichten und den Flammen zu überantworten, die Religionen, die zu einer bloßen Erinnerung werden, Heldentum, Ruhm, Tradition, dann die der Vergangenheit angehörende Feindschaft, schließlich den Staat, das Beamtentum und selbstverständlich das Militär, dessen Abrüstung so viel Geld hereinbringt, daß das Paradies auf Erden vollkommen werden könnte. In dieser neuen Welt ohne Kummer und Sorgen, in dieser perfekten Glückseligkeit, verliere der Kampf mit Waffen jeden Sinn. Walther A 11 g ö w e r, ein eidgenössischer Gene- ralstalbsoffizier, der wegen seiner Ablehnung der schweizerischen Landesverteidigungspolitik den Beruf eines Journalisten ergriff, verkündet dem Leser nach Ausschaltung des Krieges die wahre Freiheit und Demokratie und bejaht mit beneidenswertem Optimismus Fr. D. R o o s e- velts „One World“. Trotz einiger Zugeständnisse für die Übergangszeit, in der noch die Vereinten Nationen, die Regionalpakte und das Militär als „Ordnungstruppe“ zu wirken hätten, und trotzdem eingestanden wird, daß „die menschliche Problematik nicht aufgehoben ist", wenn die Kriege schwinden, stellt sich das Buch des entmilitarisierten Schweizers als eine Utopie dar. in welcher die Technik als der Stein der Weisen triumphiert und in der ein wahrer Siegestaumel über den verwirklichten ewigen Frieden das dumpfe Rollen lauernder Kriegsgefahren zum Schweigen bringt. Plato verfaßte seine „Politeia" in einer Zeit nie abreißender Kriege im Innern und gegen äußere Feinde. Thomas Morus seine „Utopia“ unter Heinrich VIII.. dessen Regierung in so vielen Bereichen alles eher als friedlich gelten konnte, A 11 w ö g e r schrieb seine Utopie im Atomzeitalter. Hier be-wtr neuerlicn, wie wahr ist es, was auch Kurt H e i n i g in seinem Buche „Wenn die Soldaten“ („Die Furche“, Nr. 501957) erkannt hat, „daß sich der Mensch nicht ändert“, daß er daher auch in unseren Tagen einer sich steigernd fühlbar machenden Bedrohung unterliegt und dieser nur noch durch die Flucht in die Utopie entrinnen zu können vermeint. Heute ist es — unter anderem — die Atompanik, die aus Angst vor angeblicher Totalvernichtung im nächsten Kriege die Federn in Bewegung setzt. Der Begriff Totalvernichtung wird öfter gebraucht, als über ihn nachgedacht wird. Die für einen großen Krieg in der Zukunft angenommenen Verlustzahlen dürften insofern zweifelhaft sein, als selbst ungeheure absolute Verluste innerhalb einer Menschheit von drei Milliarden relativ geringer sein können, als in der Vergangenheit vorgekommene Total Vernichtungen, wie zum Beispiel bei den Ausrottungen im Altertum oder im Zeitalter der Entdeckungen. Man wird nicht fehlgehen, zu sagen, Total Vernichtungen können bloß dann eintreten, wenn sich ein Staat oder ein Weltteil von einem besser gerüsteten Angreifer überraschen lassen. Das Atomzeitalter ist jedoch kein Endzustand, wie A 11 w ö g e r annimmt, es bringt den Fortschritt nicht zum Stehen, es wird selbstverständlich in absehbarer Zeit, und zwar mit Hilfe der Technik, jene Atomabwehr hervorbringen, durch welche technische Waffenexzesse mit „Totalvemichtungen" verhindert werden können. Bisher wurde noch gegen jede neue Vernichtungswaffe die Gegenwehr gefunden, und es wäre deshalb ein Verbrechen, würde man das Heranreifen dieser Gegenwehr durch Verbote weiterer Versuche unterbinden. Man darf somit auch die sogenannten Gelehrtenmanifeste gegen neue Waffen nicht zu emst nehmen, sonst würde man sich selbst das Grab schaufeln. Wir kennen Gelehrtenmanifeste schon aus dem Kriege 1914 bis 1918, nun wiederholten sie sich in Göttingen 1957 und in Kitzbühel 1958, auch in den 9000 den Vereinten Nationen überreichten Protestunterschriften. Es ist selten von Vorteil, wenn Gelehrte über ihr Fachgebiet hinaustreten und wenn sie das Geschäft der hohen Politik und Strategie übernehmen; so ist es auch Einstein nicht gut bekommen, als er die Erzeugung der Atombomben als erster anregte und dann, als das Unglück geschehen war, Manifeste gegen ebendieselben Atombomben Unterzeichnete.

Übrigens ist es ein großer Trugschluß, anzunehmen, es wäre mit der Ausschaltung einer Waffe der Krieg verbannt, denn die Menschen kämpfen mit jeder zur Verfügung stehenden Waffe, sie würden auch mit Taschenmessern aufeinander losgehen, wenn ihnen keine anderen Waffen mehr zur Verfügung ständen. Die Menschen führen nicht nur für den materiellen Wohlfahrtsstaat Krieg, sie werden auch nach dessen Verwirklichung für Ideen sich zur Wehr setzen, mag auch der Autor der Meinung sein, daß das Sachliche über dem Ideologischen stehe. Gerade die ideologischen Kriege waren die härtesten, und wer vermag mit Sicherheit zu behaupten, daß sie „zum Absterben verurteilt sind"? Ist eine machtvolle Erhebung des Geistes gegen die Vergötzung der Materie nicht durchaus vorstellbar? ᾠ „Vielleicht schon morgen!“, wie ein anderer Schweizer jüngst in einem Wiener Vortrag die Gefahren der Gegenwart angedeutet hat. A11 w ö g e r ist natürlich Heraklits Wort: „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“, nicht entgangen, man könnte diesen Ausspruch variieren und sagen: „Der Frieden ist der Vater aller Kriege“, und damit die Forderung erheben, man wende doch allem voran der Entgiftung des Friedens das Hauptaugenmerk zu, man beseitige die aufkeimenden Kriegsursachen beizeiten, man erziehe die Menschen wieder zu Glauben, Moral und Sitte und man schütte nicht das Kind mit dem Bade aus, indem man dem rechtschaffenen und zu Unrecht angegriffenen Menschen das von niemandem bestrittene Recht auf erlaubte Abwehr raubt. Das christliche Abendland bestünde heute überhaupt nicht mehr, hätte es nicht so oft in Zeiten größter Bedrohung mit allen jeweils erprobten Waffen seine Existenz behauptet und gesichert.

Die Betrachtungen „Technik besiegt den Krieg“ bieten einen sehT dankenswerten Einblick in das Gesamtproblem unserer Zeit, und A11 w ö g e r hat sie keineswegs umsonst veröffentlicht. Wo sie zu Gegenmeinungen Anlaß geben, dort werden sie nicht verfehlen, jene unentbehrliche kühle und klare Beurteilung herbeizuführen, mit der allein an die Lösung der augenblicklich lebenswichtigen Fragen der Menschheit geschritten werden kann, immer bedenkend, daß dem Krieg nicht bloß mit dem Gemüt, sondern ebenso mit dem Verstand begegnet werden muß.

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