
Corona: Den Tunnelblick wieder weiten
In der Akutphase der Pandemie wurde das politische Handeln von einem „virologischen Imperativ“ bestimmt. Jetzt aber ist es an der Zeit, andere Gesundheitsschäden infolge der Coronakrise ebenso ernst zu nehmen.
In der Akutphase der Pandemie wurde das politische Handeln von einem „virologischen Imperativ“ bestimmt. Jetzt aber ist es an der Zeit, andere Gesundheitsschäden infolge der Coronakrise ebenso ernst zu nehmen.
Im Angesicht der Krise sind selbst mächtige Männer auf medizinische Experten angewiesen – auch jene, die sonst hartnäckige Immunität gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen zeigen. Aber die Experten haben es weiterhin schwer: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat Covid-19 als „kleine Grippe“ heruntergespielt und die Empfehlungen zur sozialen Distanzierung diskreditiert; kürzlich nahm er an Demonstrationen gegen bundesstaatlich verordnete Ausgangsbeschränkungen teil. US-Präsident Donald Trump, der spät auf die Corona-Krise reagiert hat, kam nun auf die fatale Idee, der WHO den Schwarzen Peter zuzuschieben. Er friert die US-Beitragszahlungen an jene Organisation ein, die bei der Bekämpfung der Krise gerade von größter Bedeutung ist. Und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der die Evolutionstheorie aus dem Unterricht verbannen ließ, hat sein Land nun doch Hals über Kopf heruntergefahren.
Evidenzbasierte Politik
Hatte man vor Kurzem noch ein postfaktisches Zeitalter beklagt, steht plötzlich die wissenschaftlich fundierte, „evidenzbasierte“ Politik hoch im Kurs. Denn in einer Notsituation können falsche Annahmen und Fake-News gigantischen Schaden anrichten, gesundheitlich ebenso wie wirtschaftlich. Sars-CoV-2 hat weltweit wie ein „Wirklichkeitsmeteorit“ eingeschlagen, wie der Bonner Philosophieprofessor Markus Gabriel in der Neuen Zürcher Zeitung analysierte: Eine anonyme biologische Struktur habe ideologische Wunschvorstellungen mit einem Schlag zertrümmert. Was jetzt zählt, sind harte Fakten, überprüfbare Befunde – mathematische Modelle, biologische Eigenschaften, medizinische Studien und Prognosen. Auch Impfskeptiker sind dabei ins Hintertreffen geraten. Denn um das Virus zu besiegen, bedarf es effektiver Medikamente und Impfstoffe, und diese Suche wird nur mithilfe exzellenter Forschung erfolgreich sein – die globale Gemeinschaft hofft nun auf Rettung vonseiten der Wissenschaft.
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