Coronachristen - © Foto: picturedesk.com / Alex Halada

Hat Gott das Impfen verboten?

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Wie ist die Impfskepsis bestimmter religiöser Gruppen innerhalb der christlichen Kirchen zu erklären? Und was kann man ihr entgegnen? Theologisch-medizinische Einordnungen.

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Wie ist die Impfskepsis bestimmter religiöser Gruppen innerhalb der christlichen Kirchen zu erklären? Und was kann man ihr entgegnen? Theologisch-medizinische Einordnungen.

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Immer wieder sieht man auf Impfgegner-Demonstrationen Menschen, die ihre Jesus-Fahnen schwenken oder andere religiöse Symbole zeigen. Man fragt sich, wieso diese Gruppen mit anderen zusammen demonstrieren. Ist Impfen religiös verboten? Schützt Gott die Menschen einfach so? Muss man nur genug Gottvertrauen haben – und dann wird man sich nicht anstecken? Oder zeigt sich der wahre christliche Glaube geradezu darin, dass man nicht krank wird? Weist eine Erkrankung also umgekehrt darauf hin, dass jemand als Sünder enttarnt wird? Ist die Pandemie gar eine Strafe Gottes? Ist Impfen ein verbotener Eingriff in die Schöpfung? Sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse Lügen und unerheblich, wenn man nur an Gott glaubt? Die Argumente der „religiösen Impfgegner“ sind mannigfaltig. Sie sind ebenso unterschiedlich wie die Menschen, die sich derartigen Bewegungen anschließen. Andere Impfgegner haben andere Beweggründe: Sie haben Angst vor Nebenwirkungen, sind unsicher, ob der Impfstoff gut erprobt ist – oder halten das Virus überhaupt für eine Erfindung der Pharmaindustrie oder Einzelner, um damit Geld zu verdienen.

Die Kirche und Kopernikus

Es ist oft schwer zu ergründen, welches die Hintergründe für diese Argumente sind. Ist es eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der Wissenschaft? Immerhin ist die Kirche den Erkenntnissen eines Kopernikus oder Galileo Galilei, dass die Erde sich um die Sonne dreht, ablehnend gegenübergestanden und hat Menschen gewaltsam zum Umdenken gezwungen. Aber diese dunklen Zeiten wurden im II. Vatikanum durch Erkenntnisfortschritt überwunden, die Wissenschaften in ihre Eigenständigkeit „entlassen“ und Galilei (wenn auch allzu spät) rehabilitiert. Auch Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie ist in manchen Kreisen bis heute nicht akzeptiert. Ebenso reiben sich einige an den Erkenntnissen der Psychologie. All diese Erkenntnisse stehen aber dem christlichen Gottesglauben nicht entgegen. Schöpfung und Evolution schließen sich nicht aus, der christliche Gott kann eine Welt schaffen, die sich evolutiv weiterentwickelt. Und die Ausführungen Freuds über das Unbewusste kommen nahe heran an die Erkenntnisse der mittelalterlichen Mystik, dass vieles im Inneren des Menschen verborgen ist.

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Andere Kritiker wiederum wehren sich gegen die Staatsgewalt und vielleicht auch gegen kirchliche Obrigkeit. Manche haben womöglich noch Bilder aus Kriegszeiten vor sich. Oder – wie Menschen aus der ehemaligen DDR – ein diktatorisches Regime. Die niedrige Impfquote im Osten Deutschlands mag eine Folge davon sein. Wir leben aber heute weder im Krieg noch in einer Diktatur (auch wenn manche bei Demos und im Parlament diesen Begriff verwenden). Wenn überhaupt, dann leben wir in einer „Diktatur“ des Virus, das die Welt in Atem hält. Und darauf muss der Staat reagieren, denn er hat eine Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern.

Der christliche Glaube ,schreit‘ geradezu nach vernünftiger Durchdringung. Der ,logos‘ Gottes ist Mensch geworden.

Niemand kann Interesse haben an einem neuerlichen Lockdown mit gewaltigen Schäden für Kinder und Jugendliche in den Schulen oder für die Wirtschaft. Doch leider fördern Menschen ohne Impfung die Ausbreitung des Virus deutlich mehr als Geimpfte. Jeder Infizierte trägt zur Möglichkeit von Mutationen des Virus bei, wie die jetzige Situation zeigt. Die Impfung senkt insgesamt die Viruslast. So ist das Risiko einer schweren Erkrankung bei Geimpften deutlich reduziert, ebenso das Risiko, sich selbst anzustecken oder andere zu infizieren. Damit trägt jeder Geimpfte zur Reduzierung der Impflast in der gesamten Gesellschaft bei und erweist sich als solidarisch. Auch der Papst und viele Bischofskonferenzen treten deshalb für eine Impfung ein.

Häufig hört man freilich das Gegenargument, dass bei der Impfstoffherstellung Zellen abgetriebener Föten verwendet worden seien. Das trifft – soweit man es in Erfahrung bringen kann – für die mRNA-Impfstoffe nicht zu. Und sollte es für andere Impfstoffe zutreffen, so ist kein Embryo oder Fötus speziell für die Impfstoffherstellung abgetrieben worden. Wenn überhaupt, stammen solche fötalen Zellen, die dann weiter vermehrt wurden, aus den 1980er Jahren. Und hier gilt – auch von der katholischen Kirche akzeptiert – die Regel, dass das aus kirchlicher Sicht als Unrecht Eingestufte bereits geschehen ist und nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Wenn aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen aber ein Nutzen zur Lebensrettung vieler Menschen gezogen werden kann, dann kann man diese Stoffe verwenden. So haben es der Vatikan und viele Bischofskonferenzen entschieden.

Der Geist braucht die Vernunft

Es gibt einen zentralen theologischen Satz, der lautet: Die Gnade setzt die Natur voraus und vollendet sie. „Natur“ meint hier die Vernunftnatur des Menschen. Der göttliche Geist tritt nicht an die Stelle der menschlichen Vernunft, sondern er braucht sie, um sie vollenden zu können. Der göttliche Geist ist es, der die Vernunft des Menschen von innen her vorantreibt. Mit dieser menschlichen Vernunft wurden in kurzer Zeit Impfstoffe entwickelt. Insbesondere die Mechanismen der mRNA-Impfstoffe wurden im Zusammenhang mit Krebserkrankungen seit dreißig Jahren erforscht und konnten dadurch schnell auf die Bekämpfung des Sars-Cov2-Virus umgeleitet werden. Ein Forscher sagte einmal einen für Naturwissenschaftler ungewöhnlichen Satz: „Mit Gottes Hilfe und menschlicher Geschicklichkeit haben wir einen Impfstoff entwickelt.“ An vierzigtausend freiwilligen Probanden wurden Impfstoffe erprobt. Darüber hinaus konnten aufgrund der weltweit hohen Infektionszahlen rasch valide Daten erhoben werden. Diese hohe Datenmenge führte in kurzer Zeit zu einer Zulassung der Impfstoffe.

Zwei Sätze von Anselm von Canterbury sind in dieser Frage noch wesentlich: credo ut intelligam, ich glaube, damit ich einsehe. Glauben hat also mit Einsicht und Erkenntnis zu tun. Und der zweite Satz: fides quaerens intellectum, der Glaube sucht den Intellekt und die Vernunft. So sind die Universitäten entstanden, weil der christliche Glaube geradezu nach vernünftiger Durchdringung „schreit“. Der logos Gottes ist Mensch geworden – das feiern wir zu Weihnachten. Und diese Logik Gottes zeigt sich im Menschen und in der Natur. Der Mensch kann und soll folglich die Natur mit Hilfe der Bio-Logie und anderer Naturwissenschaften erforschen. Er soll die Welt und sich selbst immer besser erkennen. Erkenntnis gilt nicht zuletzt als erste Gabe des Heiligen Geistes.

In der Welt gibt es viel Zerstörerisches, aber auch viel Aufbauendes. Es gibt Viren, Bakterien, Krankheiten, aber auch die menschliche Vernunft, die diesen Kräften etwas entgegensetzen kann. Insofern darf und soll der Mensch immer wieder in die Schöpfung eingreifen. Da der logos Gottes sich im Menschen und in der Natur zeigt, kann seriöse Wissenschaft Ausdruck des göttlichen Logos und damit Gottesdienst sein. Daher ist es ein Gebot der Vernunft, die seriös und methodisch sauber erhaltenen Erkenntnisse der Naturwissenschaften und der Medizin anzunehmen und umzusetzen.

Gott „regiert“ nach christlicher Vorstellung nicht an der Vernunft des Menschen vorbei, sondern er benutzt und vollendet sie, um den Menschen zu helfen. Der christliche Gott zeigt sich in dieser Welt immer durch Vermittlung, besonders durch jene seines menschgewordenen Sohnes. Das Göttliche und das Menschliche wirken also zusammen: Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit, Frucht göttlichen Wirkens und menschlicher Vernunft.

Der Autor ist ao. Professor für Theologische Ethik/Schwerpunkt Medizinethik an der Uni Wien sowie Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt.

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