Schiesser - © Foto: Christoph Kleinsasser

Impfgegner und Coronaleugner: "Die Esoterik ist brutal"

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Wie lässt sich das Verhalten von Corona-Skeptikern verstehen? Und wie soll man kommunizieren, wenn die Covid-Meinungskluft quer durch Familie oder Freundeskreis verläuft? Die Psychotherapeutin Ulrike Schiesser über Wahn und Vernunft in Krisenzeiten.

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Wie lässt sich das Verhalten von Corona-Skeptikern verstehen? Und wie soll man kommunizieren, wenn die Covid-Meinungskluft quer durch Familie oder Freundeskreis verläuft? Die Psychotherapeutin Ulrike Schiesser über Wahn und Vernunft in Krisenzeiten.

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Die Coronakrise unterzieht die ganze Gesellschaft einem Realitätstest. In ihrem aktuellen Buch „Fakt und Vorurteil“ (mit Holm Hümmler) erklärt Ulrike Schiesser, warum wir alle von Emotionen gesteuert sind, viele Informationen an uns abprallen – und wie Menschen in einen fanatischen Verschwörungsglauben abdriften. Die FURCHE hat bei der Psychotherapeutin und Mitarbeiterin der Bundesstelle für Sektenfragen nachgefragt.

DIE FURCHE: Wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich der Medizin werden normalerweise problemlos akzeptiert. Warum ist ausgerechnet das Thema Impfen so emotional aufgeladen?
Ulrike Schiesser:
Impfen ist unheimlich: Die Vorstellung, dass ein Krankheitserreger in den Körper kommt, ist nicht gerade lustig. Auch der invasive Charakter ruft Abwehr hervor. Eine Schluckimpfung wäre wohl weniger angstbesetzt als der Nadelstich. Wie umstritten das Impfen immer war, sieht man schon im 18. Jahrhundert, als die erste Pockenimpfung entwickelt wurde. Dass Impfungen unfruchtbar machen und Krankheiten auslösen, sind die üblichen Ängste. Mein Stiefvater war Arzt, er hat in Bangladesch Impfungen gegen die Pocken durchgeführt. Es gab eine unglaubliche Angst, sodass man die Leute mit dem Militär zusammentreiben musste.

DIE FURCHE: Österreich gilt eigentlich als obrigkeitshöriges Land; bei den Corona-Maßnahmen zeigt sich nun aber eine tiefe Skepsis gegenüber den Autoritäten in der Wissenschaft. Wie passt das zusammen?
Schiesser:
Auf den Anti-Corona-Demonstrationen finden sich Menschen, die sich unter Druck gesetzt fühlen, wenn ihre Freiheit beschnitten wird. Genau diese Personen folgen aber oft unkritisch anderen Autoritäten. Wenn jemand ein „Wundermittel“ gegen die Krankheit beschwört, dann vertrauen sie dem oft blind. Was einem nicht passt, wird abgelehnt. Und die Zeiten haben sich geändert; ein akademischer Titel flößt heute nicht mehr automatisch Respekt ein.

DIE FURCHE: Welche Motive gibt es noch auf einer Corona-Demo?
Schiesser:
Viele ängstliche Menschen sind im Internet in eine Meinungsblase hineingerutscht. Durch die Krisenstimmung haben sie sich fast schon in eine Panik hineingesteigert. Apokalyptische Bilder machen Stress; manche fühlen sich tatsächlich als Widerstandskämpfer. Dann neigt man zu diesen geschmacklosen Vergleichen mit dem Drittem Reich. Das ist die gefährlichste Gruppe. Wenn Politiker, Ärzte oder Journalisten dämonisiert werden, sinkt die Hemmschwelle zur Gewalt. Aber es gibt auch jene, die ein beinhartes Kalkül verfolgen – sie nützen die Krise, um Krawall zu machen und Leute zu rekrutieren.

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