Corona: Wir, die Kontaktlosen

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Die Corona-Maßnahmen haben uns viele Formen der Nähe genommen. Das stört den menschlichen Umgang miteinander radikal. Höchste Zeit für ein Umdenken.

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Die Corona-Maßnahmen haben uns viele Formen der Nähe genommen. Das stört den menschlichen Umgang miteinander radikal. Höchste Zeit für ein Umdenken.

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In einer bis über beide Ohren in Covid-19 verstrickten Gesellschaft enthüllen oft die banalsten Dinge ihren unschätzbaren Wert. Viele waren vor Corona so selbstverständlich geworden, dass wir sie erst bemerkten, da sie verloren gingen. So ging es ab März mit dem persönlichen Kontakt zu Freunden, aber auch mit kurzen Treffen mit Verwandten, Bekannten und Kollegen. Alles gestrichen. Die Kontaktlosigkeit hat sich des Alltags bemächtigt. Sie schützt einerseits unsere Gesundheit, macht aber das Leben insgesamt merkwürdig steril.

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Tatsächlich gilt ja nicht erst seit Platons Dialog „Symposion“, dass die Zugewandtheit – Liebe im weitesten Sinn – das Leben eigentlich ausmacht. Trotzdem wird über die Einschränkung der Zuwendung dieser Tage sehr wenig diskutiert. Zu wenig jedenfalls. Bei Platon herrschte noch Scham, da brauchten die Anwesenden einen kapitalen Vollrausch, ehe sie den Eros philosophisch debattieren konnten. Aber Scham ist heute nicht angebracht. Vielmehr Kritik am nachlässigen Umgang mit dem Thema durch die Politik. Das beginnt schon im privatesten Bereich: Wie etwa soll unter Maskenpflicht und Abstandsregel das Verlieben und Kennenlernen funktionieren, ganz zu schweigen von Sex? In Kanada hat eine Gesundheitsexpertin der Regierung gemeint, die Liebenden sollten jedenfalls die Masken aufbehalten. Außerdem müsse Sex nicht sein, es gäbe auch das Mittel Selbstbefriedigung. Eine eigentümliche Zeit: Die Gesundheitspolitik befiehlt eine Vereisung der Lust und brüokratisiert die Libido.

Der Einbruch der Krisendiplomatie

Dass so etwas nicht funktioniert, hätte die Politik bei Freud vor über einhundert Jahren nachlesen können. Die Fehleinschätzung der Bedürfnisse der menschlichen Natur setzt sich nahtlos in andere Lebensbereiche fort. Auch in Österreich. So gibt es noch immer keine ausreichende Regelung, wie Menschen in Spitälern der direkte Kontakt mit ihren Angehörigen garantiert werden kann. Von der wegen der Corona-Regeln in Schulen herrschenden Unsicherheitspandemie ganz zu schweigen.

Virus hin oder her: Menschen brauchen Zuwendung, Berührung, Wärme. Die Politik unterschätzt das.

Oliver Tanzer

Selbst jene Kreise, die sonst so souverän die Weltpolitik steuern, fühlen sich aus dem Gleichgewicht gebracht. Während des Auftakts der UN-Vollversammlung per globale Videoschaltung wurde der Mangel an persönlichem Kontakt zwischen Politikern und Diplomaten für den Stillstand im Krisenmanagement der Welt verantwortlich gemacht. Die Videokonferenzen würden kaum Fortschritte bringen oder Verhandlungspartner in Bewegung setzen. Der persönliche Austausch sei ein unabdingbares Beiwerk zum politischen Erfolg. Man bekomme etwa, so hieß es da exemplarisch, „von den Franzosen nichts (an Zusagen, Anm.), wenn man nicht dreimal mit ihnen zu Abend isst“.

Das klingt infantil, ist es vermutlich auch und widerspricht der Auffassung, Politik habe, je internationaler ihr Rahmen, desto mehr Rationalität an sich. Andererseits erweitert es die Perspektive: Politik ist nur erfolgreich, wenn die an ihr Beteiligten auch ihre kommunikativen Bedürfnisse abdecken können, und sei es das Verlangen nach einer Verhandlungs-Plauderei mit Bordeaux und Boef Bourguignon. Tatsächlich könnte die Covid-Krise ja jene zügeln, die meinen, dass gelingende Kommunikation wenig mehr braucht als eine Datenleitung.

Davon ausgehend darf man auch die Digitalisierung überdenken. So faszinierend der Pflegeroboter ist, so kalt ist er auch. So unterhaltsam die sozialen Spielplätze im Netz (Facebook etc.) sind, so ungebremst verbreiten sie auch die Kommunikationskiller Dummheit und Hass. Menschen brauchen Menschen – von der Wiege bis zur Bahre. Der Trend zum Menschersatz hat Grenzen. Corona macht sie sichtbar und zeigt, dass selbst die bestgemeinte Isolation nicht zur Gesundheit führt, sondern in die Depression. Politisch, ökonomisch, individuell.

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