Die dunkle Seite des Lichts

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Generationen von Menschen haben über einen klaren, nächtlichen Sternenhimmel gestaunt. Die künstliche Nachtbeleuchtung bringt uns heute nicht nur um einen ästhetischen Genuss.

Vor mehr als 200 Jahren schrieb Immanuel Kant: "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir." Wenn sich heutige Philosophen nur mehr für "das moralische Gesetz in ihnen" - also ethische Fragen - begeistern, mag das auch daran liegen, dass "der bestirnte Himmel über ihnen" für sie - wie für (fast) alle Menschen - quasi unsichtbar geworden ist.

Zehn Mal weniger Sterne

Heute sind am durchschnittlichen Himmelszelt in Österreich rund zehn Mal weniger Sterne zu erkennen als in dünn besiedelten Gebieten. "Viele Sternbilder oder auch die Milchstraße sind einfach verschwunden", beklagt etwa Thomas Posch, Astronom an der Universität Wien. Grund dafür ist die intensive künstliche Beleuchtung der Nacht, wobei kleinere Gemeinden und Dörfer den größeren Städten oft um nichts nachstehen wollen - weil man sich denkt: je heller, desto sicherer. Doch dieses Argument lässt Posch nicht gelten: "Licht ist nicht um jeden Preis besser, sondern nur maßvoll eingesetztes Licht. Viele Architekten finden etwa Kugelleuchten besonders schön. Aber sie blenden das Auge und sind auch nicht funktionell." Konkret werden von diesen Leuchten 50 Prozent des Lichts ungenutzt in den Weltraum abgestrahlt.

Eine ökologische Alternative sind sogenannte Full-Cut-Off-Lampen, die nur zum Boden strahlen. Diese speziellen Beleuchtungskörper sind mittlerweile auch an diversen Bahnhöfen anzutreffen: etwa in Baden, Graz, Bischofshofen oder am Innsbrucker Hauptbahnhof. Herbert Minarik, ÖBB-Konzernkoordinator im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit, erklärt: "Wir wollen Bahnsteige beleuchten, nicht aber den Himmel. Mit der Umstellung haben wir begonnen, weil wir so Energie und Geld sparen können. Letztlich verbessert sich dadurch die Klimabilanz unseres Unternehmens." Zusätzlich hat die ÖBB in den letzten Jahren beinahe alle ihre 164.000 Quecksilberdampflampen durch neue Natriumdampfhochdrucklampen ersetzt. Derzeit fehlen noch 725 Stück, um das volle Ziel der Umrüstung zu erreichen.

Das freut nicht nur die Astronomen, deren Apparaturen sich durch gelbes Natriumlicht weit weniger stören lassen, sondern etwa auch Insektenforscher. Peter Huemer, Schmetterlingsexperte am Tiroler Landesmuseum, erklärt: "Wie hypnotisiert fliegen die Insekten dem weißen Licht entgegen. Auf einer einzelnen Quecksilberlampe gehen pro Nacht rund 150 Insekten zugrunde. Das bedeutet: Jedes Jahr sterben allein in Österreich Milliarden von Tieren." Viele verbrennen jämmerlich an heißen Lampen. Andere wiederum werden leichte Beute für Fressfeinde wie Vögel, Spinnen und Fledermäuse. Und noch einen möglichen weiteren negativen Effekt haben die Entomologen ausgemacht: Ein nachtaktiver Falter, der aus einer Puppe schlüpft, wird erst in der Dunkelheit aktiv. Wenn nun Kunstlicht die Nacht zum Tag macht, wird er nicht wegfliegen - und verhungert so an Ort und Stelle. Wie sich dieses Massensterben auf die Umwelt auswirken wird, ist derzeit nicht abzuschätzen. Huemer meint: "Jede Tierart hat im komplexen Ökosystem ihre Funktion. Und natürlich hilft es nichts, Vögel im Winter durchzufüttern, wenn es im Sommer dann immer weniger Raupen gibt." Gerade in Tirol hat sich in den vergangenen Jahren aber einiges zum Guten gewendet: Viele Gemeinden im Inntal erstrahlen mittlerweile in sanftem, gelbem Licht. Durch die Natriumlampen werden etwa 90 Prozent weniger Nachtfalter angelockt. Das Bewusstsein gesteigert hat vor allem die Aktion "Die Helle Not", die 2001 in Tirol startete und dann in allen Alpenländern bekannt wurde. Huemer dazu: "Wohl kaum ein Bürgermeister würde Geld in die Hand nehmen, nur um ein paar Nachtfalter zu retten. Wir haben deshalb in einer Broschüre vorgerechnet, dass durch Natriumlampen die Energiekosten um 30 bis 40 Prozent gesenkt werden können. Je nach Planung amortisieren sich die Lampen innerhalb von drei bis sieben Jahren." Zurzeit arbeiten verschiedene Interessensgruppen österreichweit an einer Neuauflage der Broschüre. "Es ist ein abermaliger Versuch, um auf das Thema Lichtverschmutzung hinzuweisen. Denn in einem gewissen Sinne hat sich das Problem verschärft. Heute glaubt man, auch noch abgelegene Hotels, Schiliftstationen oder Straßenzüge entlang von Wäldern beleuchten zu müssen", so Huemer.

Verwirrte Vögel

Doch nicht nur auf Insekten hat das Kunstlicht eine negative Wirkung, sondern auch auf andere Tiere wie etwa Schildkröten, Fische - oder Vögel. "Für Vögel ist der nächtliche Sternenhimmel eine Art Kompass", erklärt Gerald Pfiffinger, Geschäftsführer von Bird Life Österreich. Die Lichtverschmutzung trübt bei schlechten Sichtverhältnissen das Orientierungsvermögen der Tiere und leitet sie in die Irre. Die Folgen sind immer wieder tödlich, betont Pfiffinger: "Es gibt krasse Fälle, in denen ein paar tausend Vögel gestorben sind, weil sie in Leuchttürme oder Fernmeldetürme geflogen sind." Die amerikanische Artenschutzbehörde U.S. Fish and Wildlife Service schätzt, dass so allein in den USA vier bis fünf Millionen Vögel pro Jahr ums Leben kommen. Und das ist noch eine konservative Schätzung - die Zahl könnte auch zehnmal höher sein.

Störung des menschlichen Biorhythmus

Nicht zuletzt leidet auch der Mensch. Sein Biorhythmus ist seit Jahrmillionen auf eine dunkle Nachtzeit eingestellt. "Wenn Licht in der Nacht auf die Netzhaut fällt, wird weniger Melatonin freigesetzt", erklärt Peter Heilig von der Medizinischen Universität Wien, und fährt fort: "Weniger Melatonin bedeutet einen schlechteren Schlaf und mehr Stress." Dieser kontinuierliche Stress schwächt das Immunsystem und kann Langzeitfolgen haben. Konkret hat sich etwa gezeigt, dass Krankenschwestern, die Nachschicht arbeiten, ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs haben. Und ein israelisch-amerikanisches Wissenschafterteam hat unlängst die Lichtemissionen von 164 Ländern mit den Daten über verschiedene Krebshäufigkeiten korreliert. Das Resultat war, dass in jenen Gegenden, in denen es nachts am Hellsten war, die Rate an Prostatakrebs mehr als doppelt so hoch war wie in den dunkelsten Gegenden. Professor Heilig betont: "Der einfache Schluss - Licht macht Krebs - wäre sicherlich falsch. Denn die Entstehung von Krebs hängt von vielen Faktoren ab. Licht, das die Chronobiologie stört, ist aber offensichtlich ein wichtiger Faktor."

Es gibt also viele gute Gründe, es mit der künstlichen Beleuchtung nicht zu übertreiben. Und obwohl Kant die Lichtverschmutzung des 21. Jahrhunderts nicht voraussehen konnte, stammt das schönste Argument für einen Schutz des Nachthimmel von ihm. Er schreibt: "Der Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit als eines tierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkt im Weltall) wieder zurückgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen."

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