Die Nacht in Bedrängnis

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Im "Internationalen Jahr des Lichts" 2015 wurden zumindest ansatzweise Akzente gesetzt für die Erhaltung eines kostbaren Guts: der Dunkelheit.

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Im "Internationalen Jahr des Lichts" 2015 wurden zumindest ansatzweise Akzente gesetzt für die Erhaltung eines kostbaren Guts: der Dunkelheit.

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Für Thomas Alva Edison, den Schöpfer der modernen Glühbirne, war die Sache noch klar: "Nachtleben bedeutet Fortschritt", hatte er anlässlich seiner Erfindung knapp verkündet. Seit dem 19. Jahrhundert beflügelten künstliche Lichtquellen die Arbeitskraft der Industriegesellschaft, und sie sorgten für den Glanz der Unterhaltung. Das Licht eroberte zunehmend die Landschaft - Städte und Ortschaften, Industrieanlagen und Straßen, sogar die Bergbahnen im Gebirge. Die Lichtausstrahlung der Erde ist damit exponentiell angestiegen. Und die immer heller strahlende Nacht birgt ein Spektrum an Schattenseiten, die zum globalen Problem geworden sind.

Die Astronomen beklagen dies schon seit Längerem: Durch die diffuse Aufhellung des Nachthimmels infolge von Streulicht sind in Österreich durchschnittlich nur mehr zehn Prozent der Sterne zu sehen, die sonst eigentlich mit freiem Auge zu erkennen wären. Großstadtnahe Sternwarten in Greenwich, Paris oder Wien wurden durch die wachsende Lichtverschmutzung massiv entwertet. Die fortschreitende Flächenversiegelung hat dabei ebenso zur Ausbreitung des urbanen Lichtsmogs geführt wie die hartnäckige Gewohnheit, immer mehr Licht von immer effizienteren Leuchten freizusetzen. Aber auch Mediziner und Biologen berichten von den negativen, teils verheerenden Auswirkungen des irdischen "Lichtmülls" auf Menschen, Tiere und ganze Ökosysteme.

Van Goghs Inspiration

Immerhin sei nun beim Gebietsschutz gegen die Lichtverschmutzung eine Aufbruchsstimmung entstanden, berichtet der Astronom Günther Wuchterl, der dies auch als positiven Effekt des UNESCO-"Jahr des Lichts" 2015 bewertet. So wurde letztes Jahr von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eine Resolution unterstützt, die der Republik empfiehlt, die Gebiete mit intakter nächtlicher Umwelt zu schützen. Und bei der weltweiten Zertifizierung von "Sternlichtgebieten" sei heute ein regelrechter Boom zu bemerken, so der Leiter der Kuffner-Sternwarte in Wien, zugleich Vorsitzender der Österreich-Sektion der "International Dark Sky Association" zum Schutz der nächtlichen Umwelt: "Es gibt eine große Kandidatenliste, welche die zertifizierenden Institutionen kaum bewältigen können."

Wuchterl selbst engagiert sich dafür, dass eine kleine Gemeinde im niederösterreichischen Weinviertel aufgrund der relativ geringen Lichtverschmutzung zum UNESCO-Welterbe erklärt wird: In Großmugl, einer Ortschaft mit rund 1500 Einwohnern, wurde ein astronomischer Themenweg angelegt, der Besuchern die Pracht des Sternenhimmels näher bringt - und zugleich Bewusstsein für deren allgegenwärtige Bedrohung schaffen soll. Die "Sternenlichtoase" in Großmugl ist seit der Eröffnung des Sternenwegs 2014 nicht nur für versierte Freizeitastronomen, sondern auch für allgemein interessierte "Sternfreunde" zum beliebten Ausflugsziel geworden. Den Endpunkt des Sternenwegs bildet eine Wiese beim Großmugler Leeberg, wo auch ein Hügelgrab aus der Hallstattzeit (8. bis 5. Jahrhundert v. Chr.) zu besichtigen ist. Es bedarf nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, wie unsere prähistorischen Vorfahren die Grabstätte bei Mondschein und im Sternenlicht wahrgenommen haben. Denn die nächtlichen Lichtverhältnisse sind gegenüber damals weitgehend authentisch geblieben. Ganz im Gegensatz übrigens zu jenen in Saint Rémy, wo Vincent van Gogh 1889 sein berühmtes Bild einer leuchtenden Sternennacht malte. Ob der lichtgetrübte Nachthimmel über dem französischen Ort den Maler auch heute noch inspiriert hätte?

"Großmugl an der Milchstraße"

Das Besondere an der "Sternlichtoase" Großmugl ist die Nähe zur Lichtglocke über Wien, das nur 35 Kilometer Luftlinie entfernt liegt. Nach einer halbstündigen Autofahrt von der Millionenstadt stößt man in Großmugl aufgrund der günstigen Lage auf einen relativ dunklen Nachthimmel, wo Himmelsobjekte zu beobachten sind, die der Stadtbewohner oft nur vom Hören-Sagen kennt. "Die Vision dahinter ist, dass man auch nahe der großen Städte noch Orte findet, wo man die Milchstraße sehen kann, also gewissermaßen Naherholungsgebiete des Sternenlichts", sagt Wuchterl. "Das muss künftigen Generationen erhalten bleiben, und dafür ist die UNESCO-Welterbekonvention der beste Garant." Aber auch eine neue Ortsbezeichnung könnte werbewirksam sein: "Großmugl an der Milchstraße", heißt es schon in den Medien und der Mundpropaganda.

Wuchterl hofft, dass vor allem zwei Entwicklungen den Kampf gegen die Lichtverschmutzung unterstützen könnten: erstens zunehmende Beschwerden aufgrund der Blendung durch starke Lichtquellen, obwohl das für den Lichtsmog nicht unmittelbar eine Rolle spielt. Aber Blendungen etwa im Straßenverkehr werden als sehr unangenehm empfunden, und es ist zu erwarten, dass dadurch ein größeres Bewusstsein für den verschwenderischen Umgang mit Licht geschaffen wird.

Enormes Einsparpotenzial

"Der leichtfertige Einsatz hoher Lichtintensitäten ist eine Entartungserscheinung unserer Kultur", bemerkt etwa der Wiener Augenarzt Peter Heilig, der sich mit Blendungsschäden befasst. "Das ist ähnlich gewaltsam, wie wenn uns jemand mit der Trompete ins Ohr bläst." Gerade Kinder und ältere Personen bedürfen des Schutzes vor energiereichem Licht. "Und der aktuelle Trend zu aggressivem, kaltweißem Licht wird hoffentlich bald in Vergessenheit geraten", so Heilig.

Darüber hinaus könnten auch die Klimaschutzbemühungen dazu führen, dass weniger Lichtenergie sinnlos vergeudet wird. Allein die Stadt Wien strahlt nachts rund zwei Megawatt an "Lichtleistung" in den Weltraum ab. "Laut Schätzungen ist hier enormes Einsparpotenzial vorhanden", bemerkt Astronom Wuchterl. "Wir sollten uns daher nicht mehr am Leitbegriff der Effizienz, sondern der Suffizienz orientieren: das heißt die Lichtsituation so gestalten, dass sie ausreichend ist für den jeweiligen Zweck."

Astronomische Öffentlichkeitsarbeit und der Kampf gegen die Lichtverschmutzung greifen ineinander: Das Project Nightflight etwa, das den Sternenweg in Großmugl entworfen hat, setzt darauf, die Nacht ganz bewusst als Erlebnis zu inszenieren und somit auch das Verständnis für Schutzmaßnahmen zu fördern. Heuer gibt es jedenfalls gute Gründe, einen genauen Blick auf den nächtlichen Sternenhimmel zu werfen. Das nächste Highlight findet am 8. März statt, wenn Jupiter, der größte Planet des Sonnensystems, der Erde am nächsten steht und somit am hellsten leuchten wird.

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