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Grenzen der Wunderheilmittel

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Die Namen der beiden Hormone Cortison und ACTH konnte man in den letzten Jahren häufig in der Tagespresse lesen, sie wurden meist als ans Wunderbare grenzende Heilmittel für die verschiedensten Erkrankungen bezeichnet. Deshalb kommen immer wieder Patienten mit der strikten Forderung zu ihrem Arzt, daß nach erfolglosen Behandlungsversuchen mit anderen Medikamenten auch bei ihnen endlich eine Kur mit Cortison oder ACTH versucht werden soll. Da inzwischen auch die Wissenschaft mehr von diesen Hormonen und ihrer Wirkung weiß, soll nun wieder einmal darüber gesprodien werden, was nach heutiger Kenntnis von ihrer Verwendung erwartet werden darf und Was nicht erwartet werden soll.

Cortison ist ein Stoff, der von der Nebennierenrinde gebildet und ans Blut abgegeben wird, also ein Hormon. Es ist seinem chemischen Aufbau nach bekannt und kann heute bereits in der Retorte hergestellt werden, ist aber trotzdem noch eine sehr teuere Substanz geblieben. ACTH ist gleichfalls ein Hormon, es wird in der Hypophyse (der Hirnanhangsdrüse) gebildet und regt normalerweise die Nebennierenrinde dazu an, ihre Hormone (unter anderen das Cortison) zu produzieren. Die Hypophyse ist ja eine übergeordnete Koordinationsstelle für das Zusammenspiel der übrigen Hormondrüsen. Die Bezeichnung ACTH ist durch Zusammenziehen der Anfangsbuchstaben der die geschilderten Zusammenhänge berücksichtigenden Bezeichnung „Adreno-Cortico-tropes Hormon“ entstanden. ACTH ist chemisch gesehen ein Eiweißkörper und kann wie alle diese nicht synthetisiert, sondern nur durch geeignete Extraktionsverfahfen aus Schweinehypophysen gewonnen werden. Die Wirkungen von ACTH und Cortison im Körper sind — da ja ACTH die Cor-tisonproduktion ankurbelt — im wesentlichen die gleichen, insbesondere als Heilmittel haben die beiden Hormone die gleichen Anwendungsgebiete.

Seit 1947 in Amerika entdeckt würde, daß beide Hormone bei schwerem Gelenksrheumatismus staunenswerte und schlagartige Besserung bringen können, haben sich Wissenschafter in der ganzen Welt mit ihrer Wirkung beschäftigt. Die Ergebnisse dieser Forschungen mögen mit dazu beigetragen haben, diese beiden Substanzen in den Ruf von Wundermitteln zu bringen: es zeigte sich nämlich, daß sie auf unglaublich viele Organe und Vorgänge des Stoffwechsels gleichzeitig zu wirken vermögen und dies auch normalerweise als Regler der Lebensvorgänge tun. Ihre im gesunden Organismus so vielseitige biologische Wirksamkeit hat dazu geführt, daß ACTH und Cortison auch bei einer für ein Heilmittel ungewöhnlich großen Zahl von krankhaften Störungen, die vielfach ganz wesensverschieden sind, therapeutisch verwendet werden können.

So ist es beispielsweise verblüffend, daß die Anwendung dieser Hormone Fieber, gleich welcher Ursache, zu drücken vermag. Sie werden deshalb im kritischen Stadium hochfieberhafter Erkrankungen gegeben, um die schweren Allgemeinerscheinungen zu mildern. Wenn es sich dabei aber um fieberhafte Zustände handelt, deren Ursache in einer bakteriellen Infektion liegt, dann ist mit der Anwendung der Hormone Vorsicht 1 geböten: sie haben nämlich die Eigenschaft, die Bildung der im Blut eines infizierten Menschen auftretenden Abwehrstoffe — der Antikörper — zu hemmen und so dem Organismus einen Teil seiner Abwehr gegen die infektiösen Keime zu lähmen. Aber auch diese Oft unerwünschte Hormonwirkung ist therapeutisch nicht ungenützt geblieben. Es gibt eine Reihe von Erkrankungen, die dadurch entstehen, daß der Organismus Antikörper gegen sonst ganz banale Stoffe seiner Umgebung bildet, etwa gegen Staub, I Bettfedern, Nahrungsmittel wie Erdbeeren oder Arzneimittel wie Penicillin. Eih so erkrankter Mensch wird dann gegen diese Stoffe überempfindlich, denn er reagiert auf jedes Zusammentreffen mit ihnen mit einem Asthmaanfall; Schwellungen, Hautausschlägen oder Hautblutungen. Die geschilderte Fähigkeit des ACTH und Cortison, die Antikörperbildung zu bremsen, läßt sich bei solchen Überempfindlich-keitszuständen ausnutzen: sie können frisches Asthma ebenso zum Abklingen bringen, wie die Serumkrankheit nach Impfungen und ähnliche Zustände. Bei den so häufigen jahrelang bestehenden Fällen von „asthmoider Bronchitis“ mit Lungenblähung darf allerdings von einer Hormonbehandlung nicht viel erwartet Werden.

Die Hormone wirken auf den Stoffwechsel des Zuckers in dem Sinn, daß sie seine Bildung und Ablagerung in der Leber fördern, den Blutzuckerspiegel steigern und unter Umständen zur Zückerausscheidung im Harn führen können. Sie rufen somit eine der Zuckerkrankheit ähnliche Stoffwechsellagfe hervor und werden deshalb bei Diabetikern nur unter sorgfältiger Kontrolle angewendet. Eben dieser Effekt auf den Kohlehydratstoffwechsel macht aber die erfolgreiche Anwendung von Cortison und ACTH bei Zuständen, die durch ein krankhaftes Absinken des Blutzuckerspiegels verursacht sind, möglich.

Auch auf Magen und Darm wirken Cortison und ACTH: sie vermehren die im Magen stattfindende Sekretion von Salzsäure und Pepsin (ein das Eiweiß der Nahrung spaltendes Ferment). Beides führt bei Menschen, die an einem Magengeschwür leiden, zu einer starken Zunahme der Beschwerden und zwingt den Arzt dazu, solche Patienten von einer Hormonbehandlung auszuschließen. Bei einer änderen, sehr schweren uhd sehr chronisch verlaufenden Darmerkrahkung, der Colitis (Dickdarmentzündung) hat sich die Cortisonbehändlung jedoch als recht günstig erwiesen. Allerdings waren die Erfolge nur vorübergehend und hielten meist nur so lange an, als die Behandlung fortgeführt wurde.

Einen besonders vielfältigen Einfluß nehmen die Nebennierenhormone auf die ßlutbildung: sie fördern die Entstehung von weißen und roten Blutkörperchen, unterdrücken aber das Wachstum einer besonderen Art der weißen Blutkörperchen, der Lymphozyten. Vom Muttergewebe der Lymphozyten können Wucherbüdungen ausgehen, die sich in einer Vermehrung dieser Zellen im Blut und als Schwellung der Lymphdrüsen und der Milz äußern: lymphatische Leukämie und Lymphosarkom gehören hie-her, und auch das Lymphogranulom dürfte ihnen nahestehen. Bei allen diesen Erkrankungen kann dank der lympho-klastischen — das heißt das lymphatische Gewebe zerstörenden — Wirkung der Nebennierenrindenhormone mit Cortison oder ACTH ein vorübergehender Rückgang oder sogar ein Verschwinden der Drüsenschwellungen erreicht werden. Dauerheilungen sind damit nicht möglich, aber auch eine solche Erweiterung des therapeutischen Repertoires, Wie es diese Hormonbehandlung darstellt, ist ebenso wie die Möglichkeit, sie mit arideren Mitteln zu kombinieren, bei diesen lang-dauernden Krankheiten von Wert. Auch gewisse Formen der akuten Leukämie, deren Wesen in einem krebsartigen überwuchern der normalen weisen Blutkörperchen durch krankhaft fehlg?bildete besteht; können mit einer Hormonbshand-lung vorübergehend sehr günstig beeinflußt werden. Dieser Erfolg ist wahrscheinlich der fördernden Wirkung, dis diese Hormone auf die Bildung normaler, funktionstüchtiger Leukozyten haben, zuzuschreiben. Wirklich erfolgreich hat man sich dieser ihrer Fähigkeit auch zur Behandlung der Agranulozytose, eines Zustandes krankhafter Hemmung der Leukozytenbildüng, bedienen können.

Auf die Zellen des Bindegewebes, das alle Organe des Körpers umgibt und einbettet, hat Cortison einen hemmenden, das heißt ihre Vermehrung und Aktivität bremsenden Einfluß. Deshalb heilen Wunden während der-Behandlung mit diesen Hormonen sehr langsam. Großflächige Brandwunden werden heute durch die Übertragung kleiner Hautläppchen Stück für Stück gedeckt. Dabei ist eine langsame, möglichst wenig überschießende und narbenlose Heilung erwünscht, und man erreicht sie durch gleichzeitige ACTH- oder Cortisonbehändlung.

Der Ruf beider Hormone als Wundermittel datiert, seit man ihre wirklich oft dramatischen Erfolge beim chronischen Gelenksrheumatismus kennt. ACTH öder Cortison vermag bei dieser Erkrankung entzündete oder versteifte Gelenke innerhalb weniger Tage wieder beweglich zu machen. So lange man die Behandlung fortsetzt, bleibt dieser Erfolg sicher aufrecht. Wie lange nach dem Ende der Hormonbehandlung die Besserung anhält und wann der meist leider unvermeidliche Rückfall kommt, ist von Fall zu Fall verschieden und dauert zwischen zehn Tagen und zehn Monaten. Anfänglich hat man die Zeit der Besserung nur für Bewegungsübungen oder Massage ausgenützt. Nun ist man aber in Amerika eifrig bemüht, Richtlinien für eine Dauerbehand-lung mit Cortisontabletten auszuarbeiten. Dabei muß einerseits eine gewisse nötige Mihdestdosis von Cortison gegeben werden, um den Rheumatismus zu unterdrücken, andererseits soll aber nur so wenig von dem Hormon zugeführt werden, daß Uberdosierungserscheinungen vermieden werden. Denn auch bei ACTH und Cortison kann ein Überdosierung Schaden anrichten. Sie führt zu übermäßiger Fettansammlung, und es kann zu Blutdrucksteigerungen und psychischen Störungen kommen.

Der Rheumatismus ist nicht nur eine Gelenkskrankheit, sondern betrifft auch andere Organe; besonders häufig ist einö gleichzeitige Entzündung des Herzmuskels und der Herzklappen, die später einen Herzfehler hinterläßt. Auch diese Form rheumatischer Entzündung, die gerade bei jungen Leuten häufig vorkommt, kann durch Cortison oder ACTH rascher zum Abklingen gebracht werden.

Nach diesem kurzen Uberblick über die bisherigen Erfahrungen mit den beiden neuen Hormonen können wir die eingangs gestellte Frage folgend beantworten: Die neueste Forschung auf dem Gebiet der Hypophysen- und Nebennierenrindenhormone hat unseren Einblick in verschiedene Lebensvorgänge jedenfals erweitert. Diese Fülle neuer Erkenntnisse über die hormonale Regulierung des Stoffwechsels macht es nur zu verständlich, daß die Augen des Naturwissenschafters in diesen Hormonen Wundermittel sehen. Man soll das aber nicht mit dem Begriff „Wunderheilmittel“ verwechseln. Wir können mit ihrer Hilfe oft wesentliche Behandlungserfolge erreichen, die aber leider kaum je eine Dauerheilung darstellen. Die Frage, wie man diese günstigen Ergebnisse andauernd machen könnte, ist noch nicht gelöst worden und dürfte auf diesem Gebiet wahrscheinlich auch nicht ganz lösbar sein.

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