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Allergiker können an einem Kuß ersticken

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Immer mehr Menschen leiden heute unter Allergien, immer intensiver wird dieser Erscheinungskomplex daher erforscht. Besonders virulente Auslöser sind bestimmte Eiweißstoffe. Daher ist für empfindliche Personen Vorsicht beim Genuß mancher Fischarten angebracht.

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Immer mehr Menschen leiden heute unter Allergien, immer intensiver wird dieser Erscheinungskomplex daher erforscht. Besonders virulente Auslöser sind bestimmte Eiweißstoffe. Daher ist für empfindliche Personen Vorsicht beim Genuß mancher Fischarten angebracht.

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Als vor fast neunzig Jahren der Wiener Kinderarzt Clemens von Pirquet einen neuen Begriff, die „Allergie", in die Medizin einführte, zählten allergische Reaktionen noch zu den eher seltenen Erscheinungen, vor allem in Begleitung von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und Kuhpocken. Heute leiden immer mehr Menschen an dieser Überempfindlichkeit gegenüber anderem (griechisch allos -anders). Man schätzt, daß es allein in Deutschland rund 20 Millionen Menschen sind.

Hauptursachen dürften die zunehmende Umweltverschmutzung und die Einführung immer neuer synthetischer Stoffe sein. Besonders zugenommen haben, so berichten Dermatologen, Allergo logen und Kinderärzte, Nahrungsmittelallergien, wobei der Zusatz von Konservierungsmitteln und Farbstoffen auch eine gewisse Rolle spielt. Leider kann auch der als besonders bekömmlich geschätzte Fisch unangenehme, ja selbst lebensbedrohliche Beschwerden verursachen.

„Die allergischen Reaktionen treten in Form von Bläschen und Rötungen an der Haut, an Mund- und Darmschleimhäuten auf und können auch zu Asthma-Anfällen und zu akuten Kreislaufstörungen führen", faßt die verschiedenen Erscheinungsbilder der Dermatologe Walter Gebhart zusammen. Die Allergie trägt verschiedene Gewänder, sie hat vielfältige, oft schwierig auffindbare Ursachen und dementsprechend schwierig ist auch eine Therapie.

Allergien werden durch den Kontakt mit sogenannten „Allergenen" ausgelöst. Das sind immunogene (antigene) Substanzen, auf die der Körper mit einer von der Norm abweichenden Bereitschaft zur Bildung von Antikörpern und krankhaften Erscheinungen reagiert. Diese Allergene können durch Hautkontakt, durch Einatmen oder Schlucken zu Reaktionen führen, die bereits innerhalb von wenigen Sekunden, aber auch erst nach mehreren Stunden bis Tagen eintreten.

Zu besonders virulenten Allerge: nen zählen spezielle Eiweißstoffe wie sie in Fischen - Kabeljau, Lachs und Thunfisch - und in Meeresfrüchten, vorwiegend in Krabben, Hummer, Shrimps und Muscheln enthalten sind. Gegen dieses „andere" reagieren überempfindliche Menschen mit der Bildung von Antikörpern und Allergien.

Wie leicht diese Antikörper mobilisiert werden können, zeigt eine Studie aus der Universitäts-Hautklinik Berlin, wonach schon Fischgeruch Asthma-Anfälle auslösen kann. Auch der Konsum von Schweinefleisch kann diese Folgen haben, wenn die Tiere mit Fischmehl gefüttert wurden. Selbst ein Kuß der Partnerin, die vorher Fisch verspeist hat, genügt schon, um bei einem Allergiker eine Schwellung der Schleimhäute und Luftwege zu bewirken, sodaß er im wahrsten Sinn des Wortes an dem Kuß ersticken könnte.

Die diese stürmischen Reaktionen auslösenden Antikörper können mit den modernen Methoden der Wissenschaft bereits in der Haut und im Blut nachgewiesen werden. Ihre Identität ist kein Geheimnis mehr. Sie sind chemisch analysiert und können für Allergen-Tests hergestellt werden. Eine jüngste Arbeit der Universitätsprofessoren Herwig Ebner und Dieter Kraft (Ambulatorium für Allergie und klinische Immunologie; Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie Universität Wien) zeigt, daß selbst Fischfutter, das für das Aquarium verwendet wird, zu Allergien führen kann. Es besteht vorwiegend aus zerriebenen Larven der Roten Mücke (Blutwurm).

Die Untersuchungen legen den Schluß nahe, daß in den Larven ähnliche Antigene enthalten sind wie in Krabben und Hummer. Die Wissenschafter sprechen von einer Antigen-gemeinschaft zwischen diesen beiden Tierarten. Schon das Einstreuen des Futters genügt, daß über die Luft kleinste Mengen des Fischfutters eingeatmet werden, die zu Asthma führen.

Neben der Eiweißüberempfindlich keit gibt es auch noch eine Reihe anderer Ursachen für Fischallergien. Der falsche Lachs etwa ist rot gefärbt, viele Fischgerichte enthalten ebenfalls Farbzusätze und vor allem Konservierungsmittel. Auch durch diese Substanzen können Allergien ausgelöst werden. Dabei müssen aber nicht immer immunologische Vorgänge mitspielen, weshalb Johannes Ring (Universitäts-Hautklinik München) diese Reaktionen als „pseudo-aller-gisch" bezeichnet.

Es kommt zu einer Fülle von verschiedenen klinischen Erscheinungsbildern: Ekzeme, Exantheme, Koliken, Asthma und Durchfall.

Die häufigsten Auslöser sind Zusatzstoffe wie Farben (zum Beispiel Erythrosin, Tartrazin) und Konservierungsmittel, insbesondere Benzoesäure und ihre Derivate. Aber auch geschmackliche Zusätze, zum Beispiel Glutamat, können pseudo-aller-gische Unverträglichkeitsreaktionen auslösen.

Schließlich gibt es auch Fische, die etwa in der Leber oder in den Eingeweiden (durch abgelagerte Nahrung) oder im Laich Giftstoffe enthalten. Das Sprichwort, daß man nur in Monaten, die in ihrem Namen ein R enthalten, Fisch essen soll, kommt davon, daß zu dieser Zeit die Fische abgelaicht haben. Als giftig bekannt ist der vor allem in Japan vorkommende, aber durch besonderes Kochen zur Delikatesse zubereitete Kugelfisch. Seebarsch, Doktorfisch und Barracuda enthalten in den Innereien toxische Stoffe, die Schüttelfrost auslösen können. Verschiedene Aale wieder weisen im Blutserum Proteine auf, die Brechdurchfall, Atemnot und Ausschläge verursachen können.

Der Appetit auf Fisch soll all jenen, die keine Allergiker sind, nicht verdorben werden. Gerichte von guten, frischen Fischen zählen zu den gesündesten Mahlzeiten.

Aber so wie selbst die Milch oder die prächtige Erdbeere für manche Menschen unverträglich ist, so kann es auch der Fisch sein.

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