Gelassener leben mit Allergien

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Der Wissenschaftsjournalist Gerald Schmickl schrieb einen amüsanten Ratgeber, der etwas Licht ins Therapiedickicht bringt.

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Der Wissenschaftsjournalist Gerald Schmickl schrieb einen amüsanten Ratgeber, der etwas Licht ins Therapiedickicht bringt.

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Über ein so unangenehmes Thema wie Allergien ein interessantes, verständliches, ja amüsantes Buch zu schreiben, ist ein kleines Kunststück. Beginnt es doch schon den Nichtallergiker überall zu jucken, wenn er Allergie hört. All die Bedauernswerten, in jedem Bekannten- und Verwandtenkreis bereits unzählige, die mit roten Augen, roten Nasen, Hustenreiz und Hautausschlägen auf Gräser, Pollen, Lebensmittel oder unangenehme Situationen reagieren, fallen einem ein. Ebenso ihre langwierigen, meist erfolglosen Versuche, die Allergie loszuwerden. Gerald Schmickl, selbst geplagter Pollenallergiker und Literatur- und Wissenschaftsredakteur der "Wiener Zeitung", hat sich durch schul- und alternativmedizinische Therapien gekämpft, die Seele und Energiehaushalt beleuchten, und sein Chi kreisen lassen. Seine Allergie umschmeichelte ihn dabei ständig und geht ihm immer noch unter die Haut. Die Scheidung von ihr ist ihm nicht ganz gelungen, dafür aber ein empfehlenswerter Ratgeber, ein Streifzug durch das gängige Therapieangebot, durch banale Psychostrickmuster und die Versprechungen von allerlei Wunderheilern, aber auch wissenschaftlich fundierte neueste Theorien. Der Autor bewegt sich darin abwechselnd als leidgeplagter, gläubiger, skeptischer und erfrischend selbstironischer Proband, der sich entschließt, zu akzeptieren, daß "sie" einfach stärker ist und er auch in Zukunft, vor allem im Frühjahr - mal inniger, mal distanzierter - mit ihr leben muß.

Zu wenig Parasiten?

"Reizende Welt" nennt der Autor sein Buch, das keine Patentrezepte enthält, jedoch einige interessante Hypothesen zur dramatischen Zunahme der Allergien: Forschungen zeigen, daß wahrscheinlich schon die bessere Hygiene im Kleinkindalter und die damit verbundenen verminderten Anforderungen an das Immunsystem ein Faktor für dessen Überreaktion in späteren Jahren sind. Aber auch die Zunahme der Umweltgifte durch den Autoverkehr wird eindeutig als Allergieauslöser benannt. Inzwischen gibt es in Amerika 24 Millionen Pollenallergiker, in Österreich und Deutschland haben Allergien in den letzten Jahren um 30 Prozent zugenommen. Spannteppiche, Staubsauger und Klimaanlagen, aber auch Luftbefeuchter (die ausgeschaltet Pilzkulturen sprießen lassen) und chemische Zusatzstoffe in Lebensmitteln begünstigen die Entstehung von Allergien.

Sie können aber auch eine Cortison-Mangelerscheinung sein, meint der Wiener Allergiespezialist Reinhard Janisch, die wahrscheinlich durch Streß und möglicherweise sogar durch Programmierungen verstärkt werden: Kanadische Ratten, denen ein allergieauslösender Eiweißstoff immer bei Musik der Rolling Stones verabreicht wurde, reagierten bald schon auf die Musik allein genauso allergisch. Schließlich begann auch dem Buchautor beim Verfassen seines Ratgebers wieder die Nase zu laufen, obwohl von Frühling und Pollen keine Spur war.

Ein eigenes Kapitel wird den vielstrapazierten, mehr oder minder seriösen psychologischen Strickmustern gewidmet, nach denen Allergiker heute beurteilt werden. Sie seien "Grenzflächenkrüppel", die Probleme mit der Verbindung von innen und außen haben (wer hat sie nicht?), Menschen, die "sich selbst den Krieg erklären", es fehle ihnen der "gesunde Egoismus", sie würden sexuelle Phantasien verdrängen, und so weiter. Es gibt eine Menge interessante Interpretationen, doch warnt Schmickl vor einfachen Psychorastern, die nach Blitzdiagnosen über den Allergiker gestülpt werden. Auch das "Erste-Hilfe-Sinn-Köfferchen" mancher Gurus, das in Medien und Seminaren für teures Geld angeboten wird, sei kritisch zu bewerten. Nicht jedes Problem im körperlichen, seelischen oder spirituellen Bereich sei lösbar, was seriöse Mediziner, Psychologen und Heiler bestätigen. "Das Leben ist viel zu bunt, um es zu kennen, viel zu glatt, um es zu packen", wird der Arzt Georg Groddeck zitiert, der als Schüler von Bismarcks Leibarzt Ernst Schweninger jahrelang intensiv mit Sigmund Freud korrespondierte und später ins nationale Lager abdriftete und der darüber spottete, hinter jeder Krankheit einen definitiven Sinn zu suchen und damit allgemeingültige Theorien zu konstruieren.

Geturnt und meditiert Erwiesen ist, daß Singles signifikant öfter von Allergien geplagt sind, wenn auch gewisse Familienkonstellationen ebenfalls Allergiker hervorbringen können. Auch der Zeitgeist nährt bestimmte Symptome, die sich schnell zur hypochondrischen Epidemie auswachsen können. War es im ausgehenden 19. Jahrhundert die Hysterie, im heutigen Amerika die chronische Erschöpfung, stehen heute bei uns die Allergien auf der Beschwerdenskala ganz oben. Als eine Möglichkeit, sich durchzusetzen, ohne aggressiv zu wirken, könne Allergie gedeutet werden, aber auch übertriebene Selbstbeobachtung und eine unbewußte Sehnsucht nach Leiden wird Allergikern zugesprochen. Doch wieder ist Vorsicht geboten: Die Krankheit verändert den Kranken oft grundlegend, daraus aber zu schließen, daß er sie unbewußt gewünscht hat, hält der Autor für oberflächlich und zynisch. Auch das im Sprachgebrauch verankerte "allergische Reagieren" auf unerwünschte Situationen oder dem Betreffenden unsympathische Personen sei eine Verniedlichung, die echte Allergiker unangenehm berührt.

Der Arzt und Psychotherapeut Bernd Frederich bringt eine soziokulturelle Ebene ein: "Die Patienten sind in eine Situation der Ohnmacht geraten. Und meistens gibt es Angehörige oder auch Mitarbeiter und Vorgesetzte, die eine Interesse an der Erkrankung des Betreffenden haben." Gesundheit resultiert - so Frederich - nicht so sehr aus ihrer peniblen Beachtung, vielmehr aus einer "ausgeprägten Fähigkeit zur Autonomie, sich stets unabhängig, selbständig entscheiden zu können." Allergie als Antwort auf Überreglementierung?

Neben den historischen, gesellschaftlichen und psychosomatischen Wurzeln der Allergien beschreibt Schmickl auch die eigenen zeit- und geldraubenden Versuche, seine anhängliche Allergie loszuwerden. Antihistaminika, Cortison, Hyposensibilisierung, aber auch Homöopathie, Bachblüten und Biosresonanz - all das haben schon viele Allergiker absolviert. Hoffnungsfroh am Beginn, immer frustrierter mit Ausbleiben des totalen Heilerfolgs. Erleichterungen gab es dort und da, Besserung der Symptome, aber Heilung: nie. Auch die Kinesiologie, die mit zum Teil recht komplizierten Übungen einen Energieschub bewirkte, brachte keine anhaltende Linderung. Minutentherapien und Altersrückversetzung, Kombinationen von Psychotherapie mit Esoterik, von Bewegungstraining und Ernährungstips bereichern den Seminarmarkt, der gerade von Allergikern bevölkert und genährt wird. Es gibt eine Fülle von Anregungen und Hinweisen zum besseren Verständnis der Allergie, aber - so die Erfahrung des Autors - vieles auf dümmlichem Niveau.

Hilfe vom Tao Yoga Nachdem Schmickl bald nur noch "blockierte Meridiane, desintegrierte Gehirnhälften und abgeschaltete Muskeln" geortet und täglich geturnt, geklopft, geübt und meditiert hat, beginnt er Tao-Yoga zu üben, das von Mantak Chia in einfachen, verständlichen Büchern gelehrt wird. Seine Schule des "Heilenden Yoga", das auf spektakulären Firlefanz verzichtet und mit einfachen energetischen Übungen den Organismus stärkt, den Organen ein "inneres Lächeln" schenkt und dem Köper neben Seele und Geist eine entscheidende Rolle zubilligt, hat ihn zur Überzeugung kommen lassen, daß weniger auch mehr sein kann. Die krampfhafte Suche nach der Lösung eines Problems kann selbst zum Problem werden. Statt Wut, Zorn und Aggression in allergischen Reaktionen auszuleben, kann man sie mitunter in Freundlichkeit, Kreativität und Humor verwandeln, lehrt Mantak Chia, der auch für gesunde Ernährung und spirituelle Praxis Anleitungen gibt. Vor "flachgeistiger Behübschung eigener Kopflosigkeit mit fernöstlichem Dekor" warnt Gerald Schmickl trotz allem eindringlich - und auch davor, bei extremen Ernährungsexperimenten zu verweilen.

Das Buch ist gut recherchiert, köstlich geschrieben und versöhnt mit körperlichen Symptomen, die man vielleicht allzu ernst nimmt. Sich und seine Krankheiten ernst, aber nicht zu ernst zu nehmen, den Organismus nicht zu ignorieren, aber auch über ihn hinauszublicken, angebotene Therapien kritisch zu hinterfragen, aber doch auf Linderung oder Heilung zu vertrauen, das sind die Botschaften des Buches. Und sich jedenfalls auf die Suche zu begeben, vieles auszuprobieren - und zur Not im Frühling, wenn die Allergie besonders anhänglich ist, "in Würde zu rotzen".

Reizende Welt. Wie man mit Allergien leben kann. Von Gerald Schmickl. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 1999. 200 Seiten, Tb., öS 109,- e 7,92

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