Die Pollen fliegen wieder ...

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Immer mehr Menschen leiden an Allergien. Die Veranlagung dafür wird zum Teil in den ersten Lebensjahren geprägt.

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Immer mehr Menschen leiden an Allergien. Die Veranlagung dafür wird zum Teil in den ersten Lebensjahren geprägt.

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Veronika, der Lenz ist da ..." - so sangen die Comedian Harmonists vom Frühling und den vielfältigen Wirkungen der Hormone: "... Die Vöglein singen tralala / die ganze Welt ist wie verhext / Veronika, der Spargel wächst ..."

Es wächst aber nicht nur der Spargel. Es drängt nicht nur Menschen in die freie Natur - auch andere Wesen wollen sich fortpflanzen; ihnen schlägt nun die Stunde; und damit auch hunderttausenden empfindlichen Menschen: Der erste Pollenflug beginnt noch vor dem Lenz im Februar, und stammt von Erle und Hasel. Er läßt viele weinen, zum Taschentuch greifen und sich die Augen reiben.

Und ab jetzt geht es Schlag auf Schlag: Die Pollen vergällen mit ihren Wirkstoffen zunächst den Opfern der Birke den Osterspaziergang (April), dann sind die Gräsersensiblen dran (Mai, Juni, Juli), bevor der Beifuß zuschlägt (Juli, August), und zuletzt das Ragweed, das seine Herkunft (USA) im Namen bei sich trägt, und das erst seit etwa drei Jahrzehnten in Österreich in größerer Menge wächst.

Die Rede ist von der Allergie. Bisher ging es "nur" um die überempfindliche Reaktion auf Pollen, also Pflanzensamen. Sie kann zwar extrem unangenehm sein und dem Betroffenen das Leben zur Hölle machen - aber es gibt einen Lichtstreif am Horizont: Meistens ist diese Art der Allergie zeitlich begrenzt. Sie beschränkt sich auf die biologische Flugzeit der Pollen. Wenn keine Pollen fliegen, gibt es auch keine Allergie auf sie. Das stimmt jedoch nicht ganz, denn wenn ein Allergiker seine Krankheit auf die leichte Schulter nimmt, kann diese chronisch werden und sich, beispielsweise bei der Pollenallergie, zu einem Dauerasthma ausweiten. Aber glücklicherweise kommt das nicht mehr oft vor, denn die Allergiker gehen heutzutage früher und öfter zum Arzt, der mit entsprechenden Mitteln helfen kann.

Allergie-Impfung Weit unglücklicher sind jene Allergiker dran, deren Leid nicht saisonbedingt ist, und die jedesmal, wenn sie in eine Erdbeere beißen, die Katze streicheln, eine Uhr mit Metallarmband anlegen, sich abends hinlegen (Hausstaubmilben), Beschwerden bekommen: Schnupfen, Niesen, Bindehautentzündung, Husten, Bronchitis, Asthma, Schwellungen der Haut, Ausschläge, Ekzem, Durchfall, Erbrechen, Blutdruckabfall, Herzrasen und selten auch Schock.

Das Pech für viele Allergiker liegt unter anderem darin, daß diese Beschwerden häufig nicht eindeutig als allergische Reaktion erkennbar sind. Viele Allergiker machen zuerst eine Odyssee durch medizinische Ordinationen durch, bevor die Allergie erkannt wird. Das ist nicht nur unangenehm, sondern kann auch gefährlich werden, weil nicht erkannte allergische Reaktionen eben nach längerer Zeit chronisch werden.

Ein weiteres Pech für Allergiker: Ihre körperliche Überempfindlichkeit ist (noch) nicht heilbar. Doch die Medizin kann gegen Allergien bereits vieles machen. Man kann während einer jahrelangen Behandlung einen Organismus "hyposensibilisieren". Dabei führt man dem Körper genau jene Substanzen zu (man nennt sie auch Allergene), gegen die die Allergie besteht. Anfangs macht man das in winzigen Mengen, so daß kein Allergiemalheur geschieht. Diese Dosierungen steigert man über Monate und Jahre, danach sollte der Patient seine Allergie für den Rest seines Lebens los sein. Solch eine Impfkur dauert durchschnittlich drei Jahre und kostet rund rund 10.000 Schilling.

Bei einer Allergie-Impfung wird zuerst Blut abgenommen und ein Hauttest (oder mehrere) durchgeführt. Dabei wird die Haut geritzt, man tropft einen Tropfen von jedem in Frage kommenden Allergen darauf und wartet auf die Reaktion. Ist diese positiv, entsteht eine kleine Quaddel, die meistens auch juckt. Jetzt ist die Allergie nachgewiesen.

Danach muß der Patient jede Woche ein bis zwei Stunden opfern, und das drei Jahre lang. Dafür winkt ihm eine allergiearme Zukunft.

Es gibt auch Allergietabletten, die zum Beispiel jene Substanzen im menschlichen Organismus hemmen, denen der Allergiker die besonders unangenehmen Beschwerden "verdankt". Und es gibt Notfall-Mittel, die dann helfen können, wenn ein allergischer Anfall so dramatisch ausfällt, daß echte Lebensgefahr besteht. Häufig ist das der Fall, wenn es sich um einen Insektenbiß oder -stich (Biene, Wespe) handelt.Wer von seiner Allergie auf Insektengift weiß, sollte eine Notfallration immer dabei haben, vor allem natürlich bei einem (Ferien-) Aufenthalt im Grünen. Der Inhalt: ein Antihistaminpräparat, Kortison, eventuell ein Gerät zur Selbstinjektion von Adrenalin.

Epidemiologisch gesehen sind Allergien eine sehr weitverbreitete Plage: Man schätzt, daß zwischen 20 und 30 Prozent aller Menschen eine Allergie haben. Leider werden es immer mehr. Universitätsprofessor Christof Ebner von der Abteilung für allgemeine und experimentelle Pathologie an der Universität Wien: "In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der Allergiker um fünf Prozent erhöht. Rund 50 Prozent aller Allergiker sind erblich belastet. Bei ihnen steckt die Überempfindlichkeit in den Erbanlagen, wobei eine allergische Mutter mehr von dieser Neigung vererbt als ein allergischer Vater." Erwähnenswert ist überdies, daß generell mehr Buben als Mädchen zur Allergie neigen.

Neue Substanzen Die Pollenallergie ist am häufigsten: 53 Prozent aller Überempfindlichkeiten hängen mit den Pollen zusammen. Für etwa 25 Prozent sind Staubmilben verantwortlich, für 15 Prozent Tierhaare.

Die "Sünder" dabei sind aber nicht die Haare an sich. Das weiche Fell von Katz und Hund wäre allergologisch unbedenklich, man könnte mit den Tieren ohne Reue schmusen. Aber Haustiere putzen sich oft, und das machen sie mit Zunge und Pfote. Dabei verteilen sie ihren Speichel als Reinigungsmittel. Und dieser ist es, auf den ein Empfindlicher allergisch reagiert. Leider kommt noch ein Faktor dazu: Der Speichel trocknet bald ein - und dann, als Allergen auf Staubpartikeln oder auf den Haaren fliegt der getrocknete Speichel in der Luft umher. Das kann so weit führen, daß ein Allergiker beim Betreten eines Hauses sofort sagen kann: Hier wohnt eine Katze! Er spürt sie in den Augen und in den Bronchien, selbst wenn das Tier gar nicht zuhause ist.

Was ist eigentlich, genau genommen, eine Allergie? Ebner: "Eine Allergie ist eine erworbene, durch das Immunsystem ermittelte Überempfindlichkeitsreaktion gegen in der Umwelt vorkommende Substanzen. Die Allergieauslöser gelangen mit der Atemluft auf die Haut, auf die Schleimhäute der Atemwege, sie werden mit der Nahrung oder durch einen Insektenstich aufgenommen. Das Immunsystem zeigt dabei Abwehrreaktionen gegen Substanzen, die eigentlich den Menschen nicht bedrohen, wie etwa gegen Blütenpollen, Staubmilben, Tierhaare, Schimmelpilze, Nahrungsmittel, Bienengift, Medikamente, Metalle und Chemikalien. Beim Kontakt mit dem Allergieauslöser wird das Immunsystem aktiviert und erzeugt Antikörper. Diese Antikörper lösen bei jedem neuerlichen Kontakt mit derselben Substanz Allergiesymptome hervor."

Zweifellos trägt die ständig steigende Zahl neuer Umweltsubstanzen dazu bei, daß das menschliche Immunsystem immer öfter die Nerven verliert - bildlich gesprochen - und allergisch reagiert.

Kann man also nichts tun, um sich zu schützen, um es gar nicht erst soweit kommen zu lassen? Doch, beteuert der Leiter der Abteilung für Umweltdermatosen an der Grazer Universitätsklinik, Universitätsprofessor Werner Aberer: "Die Möglichkeiten beginnen eigentlich schon im Mutterleib. Das Ungeborene bekommt zahlreiche Allergene über das mit der Mutter gemeinsame Blut geliefert. Das heißt also, die Mütter sollten sich der Tatsache bewußt werden, daß vieles von dem was sie biochemisch erleben, auch ihr Kind prägt. Viel hängt davon ab, zu welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft ein eventueller Antigen-Kontakt erfolgt. Am kritischsten ist die erste Phase der Schwangerschaft."

Stillen als Schutz Und nach der Geburt? "Sicher weiß man, daß Stillen ein Schutzfaktor ist. Es schützt nicht vor allen Arten der Sensibilisierung, hat aber einen eindeutig positiven Effekt. Kinder, die vier Monate lang voll gestillt werden, erkranken später seltener an Asthma und sich auch gegen die meisten anderen Allergene geschützt," sagt Aberer. Das erste Lebensjahr, so Aberer, sei so wichtig, daß man sagen kann: "Nach dem ersten Lebensjahr kann man meist nichts mehr machen, da ist es für vieles schon zu spät!"

Einige Tips des Hautexperten, die vor allem gegen Asthma hilfreich sind: * Eine möglichst natürliche Ernährung (im ersten Lebensjahr keine Eier, Erdnüsse und Fische); * Die Eltern sollten wenigstens in dieser Zeit nicht rauchen; * Möglichst keine Hunde und Katzen zuhause halten; * Maßnahmen gegen Milben und Schimmelpilze treffen: Niedrige Luftfeuchtigkeit (50 bis 55 Prozent), keine "Luftverbesserer", Bettzeug viel lüften, isolierende Matratzen und Überzüge.

* Stoffkuscheltiere sind für Milben erstklassige Nährböden. Sie sollten daher oft gewaschen werden; * Im Schlafzimmer keine Pflanzen halten.

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