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Gift im Gericht statt vor Gericht

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Stets dann, wenn Skandale auffliegen, wird Kritik an der Lebensmittelpolizei geübt. Als Konsument fragt man sich aber: Ist auch sonst mehr Gift im Gericht statt vor Gericht?

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Stets dann, wenn Skandale auffliegen, wird Kritik an der Lebensmittelpolizei geübt. Als Konsument fragt man sich aber: Ist auch sonst mehr Gift im Gericht statt vor Gericht?

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Spricht man mit den Vertretern der zuständigen Ministerien, bekommt man den Eindruck, daß das Panschen von Wein, das Verabreichen gesundheitsschädlicher Mastbeschleuniger an Kälber und Schweine, das Verfälschen der Lebensmittel und die Verwendung gesundheitlich bedenklicher Zusatzstoffe Einzelereignisse seien, welche nur höchst selten vorkommen und keinerlei Anlaß zu Besorgnis gäben.

Die Realität ist bedauerlicherweise jedoch eine andere, haben

wir doch im vergangenen Jahr den Weinskandal erlebt. Er hat in erschreckender Weise an den Tag gebracht, daß nicht nur einzelne ohne Hemmung Kunstprodukte erzeugten und hiefür gesundheitsschädliche Stoffe verwendeten.

Dies gilt aber nicht nur für die Branche der Weinhändler — Winzer waren nur in sehr geringer Anzahl in den Skandal verwickelt —, sondern auch für Viehzüchter, die ohne Skrupel unter der Hand von Branchenfremden Medikamente einkauften oder auch aus dem Ausland nach Österreich schmuggelten und Schweinen und Kälbern zur schnelleren Gewichtszunahme verabreichten. Wie ist es möglich, daß solche Skandale passieren? Sind die Gesetze zu schwach, funktioniert die Kontrolle oder die Justiz nicht, oder wird die Moral immer schlechter? 4

Das Weingesetz beispielsweise verbietet eindeutig das Erzeugen von Kunstwein, das Zusetzen von Konservierungsmitteln und Stoffen, die weinfremd sind. Auch das Vortäuschen von Weinen besonderer Leseart und die Fälschung von Zeugnissen dieser Weine ist selbstverständlich verboten.

Ähnlich ist die Situation bei der Aufzucht von Schweinen und Kälbern. Auch das Lebensmittelgesetz verbietet eindeutig die Verabreichung von Hormonen und aller nicht auf Grund des Futtermittelgesetzes zugelassener Stoffe, die den Ertrag steigern, Krankheiten vorbeugen usw. Die Krankheitsbehandlung von Tieren mit rezeptpflichtigen Medikamenten ist überdies dem Tierarzt vorbehalten. Die Gesetzeslage ist daher so eindeutig, daß jeder Weinhändler und jeder Viehzüchter die Unzulässigkeit seines Handelns erkennen kann.

Wieso sind aber so gravierende Übertretungen vorgekommen? Ist der Anreiz so groß oder die Gefahr so klein, erwischt zu werden, oder das Risiko, bestraft zu werden, so gering?

Die Gefahr, erwischt zu werden, war (und ist) denkbar gering. Von den Verkäufern der verbotenen Weinzusätze und den Stoffen für die Kunstweinerzeugung wurde die fehlende Möglichkeit des Nachweises als Verkaufsargument verwendet. Das gilt auch für die im Rahmen des Fleischskandals an den Tag gekommenen Stoffe. Erst als man im Rahmen eines Forschungsprogramms an der Landwirtschaftlich-chemischen Bundesanstalt eine Methode zur Bestimmung des Diäthy-lenglycols ausgearbeitet hatte, konnte die durch die Finanzbehörde erlangte Kenntnis des Einkaufs größerer Mengen dieses Stoffes für die Aufdeckung des Skandals verwertet werden. Die verbotenen Konservierungsmittel wurden nachgewiesen, als im

Zuge der Kontrolle der Geschäftsunterlagen der Verdacht der Konservierung auftauchte.

Ähnlich liegt die Situation bei der Schweine- und Kälbermast. Die Methoden zum Nachweis der verbotenen Stoffe sind kompliziert, sehr aufwendig, und es müssen sehr teure und spezielle Geräte dafür eingesetzt werden, über die nicht alle Untersuchungsanstalten verfügen. Außerdem wäre zum Beispiel für den Nachweis der hormonwirksamen „Stilbene“ der Kot der Kälber heranzuziehen, der aber nicht verfügbar ist, wenn nur die Schlachtkörper der Tiere vorliegen. Völlig unverständlich ist der Standpunkt des Gesundheitsministeriums jedoch, wonach der Kot der Kälber nicht dem Lebensmittelgesetz unterliege und daher in den Ställen keine Kotproben entnommen werden ' dürren.

Wenn man noch bedenkt, daß zum Beispiel 1984 in Österreich von 47.362 Betrieben insgesamt rund 2,500.000 Hektoliter Wein produziert wurden, der Absatz an Kälbern zirka 187.000 und der an Schweinen mehr als 4,400.000 betrug, wobei 185.356 Schweinehalter gezählt wurden und man diesen Zahlen die Untersuchungskapazität der staatlichen Untersuchungsanstalten mit einigen tausend Weinanalysen und einigen hundert Analysen von tierischen Produkten hinsichtlich verbotener Stoffe gegenüberstellt, erkennt man, welch geringe Chancen gegeben sind, verbotene Manipulationen aufzudecken. Dazu kommt noch, daß wegen der langwierigen Untersuchungen die Ware bei Vorliegen der Ergebnisse längst verbraucht ist und nicht mehr beschlagnahmt werden kann. Die Dunkelziffer ist daher sehr hoch, und es hängt von der Tüchtigkeit und der Spürnase der Kellereiinspektoren und der Kontrollorgane und vor allem von dem fachlichen Niveau der Untersuchungsanstalten ab, ob überhaupt und was an Durchstechereien aufgedeckt wird.

Die Strafbestimmungen des Wein- und des Lebensmittelgesetzes sind überdies sehr milde und werden auch denkbar milde gehandhabt und keineswegs ausgeschöpft. Meist betragen die Strafen nur einige Tausend Schilling, welche womöglich noch be-

dingt ausgesprochen werden.

Welche Auswirkungen können die Stoffe auf Menschen haben? Die Verabreichung an Antibiotika bewirkt bei den Tieren einen besseren Gewichtsansatz und daher verkürzte Aufzucht und Futterersparnis. Bei der Massentierhaltung werden Antibiotika und andere Medikamente eingesetzt, um die in solchen Ställen verheerenden Auswirkungen bestimmter Infektionen der Tiere zu unterdrücken. Nach dem Futtermittelgesetz bzw. der Futtermittelverordnung dürfen aber nur solche Antibiotika Verwendung finden, welche rasch und ohne wesentliche Rückstände von den Tiereh ausgeschieden oder abgebaut und keinesfalls in der Humanmedizin benötigt werden. Die Frist von der letzten Gabe dieser Medikamente bis zur Vermarktung der Tiere oder deren Produk-

te, die sogenannte Karenzfrist, ist genau vorgeschrieben und muß jedenfalls eingehalten werden.

Die Gründe für die beschränkte Auswahl der Antibiotika sind zweierlei. Einerseits gibt es Antibiotika (etwa Penicillin), die beim Menschen Uberempfindlichkeit auslösen können. Wird der Mensch durch geringe Rückstände dieser Stoffe im Fleisch sensibilisiert (empfindlich gemacht), kann es bei therapeutischer Verabreichung der betreffenden Antibiotika zu schweren Uberempfindlichkeitsreaktionen kommen. Andererseits können krankheitserregende Bakterien eine Resistenz gegen Antibiotika entwik-keln, wenn sie längere Zeit mit geringen Dosen behandelt werden, wie dies bei Verabreichung zu Mastzwecken der Fall ist. Wenn der Mensch nun durch solche

Bakterien erkrankt, wirken die betreffenden Antibiotika nicht mehr, sodaß schwere gesundheitliche Schäden eintreten können.

Die hormonelle Kastration besteht darin, daß durch die andersgeschlechtlichen Hormone die Geschlechtseigenschaften unterdrückt werden, was, so wie beim „echten“ Kastrieren, zu verbessertem Gewichtsansatz führt. In Betracht kommen vor allem die wie weibliche Geschlechtshormone wirkenden „Stilbene“, die aber aus der Liste der Medikamente gestrichen wurden, da sie, über längere Zeit verabreicht, krebserregend sind. Bei Menschen können Rückstände von Geschlechtshormonen die sexuellen Funktionen beeinträchtigen.

An die Adresse der Politiker muß daher gesagt werden, daß Skandale und Durchstechereien größeren Ausmaßes nur dadurch vermieden werden können, daß das wissenschaftliche Niveau der Untersuchungsanstalten der Entwicklung angepaßt wird, die Kontrolle möglichst intensiv gestaltet und mit den notwendigen Vollmachten ausgestattet wird. Die Judikatur muß ernstzunehmende, abschreckende Wirkung entfalten. Nur wenn das Risiko des Panschens und Verfälschens größer ist als der zu erwartende Mehrgewinn, wird die Häufigkeit von Skandalen zurückgehen.

Der Autor ist Direktor der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -for-schung.

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