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Durch einen fehlerhaften Einsatz von Antibiotika können Bakterien resistent gegen Wirkstoffe werden. Österreich steht zwar im EU-Vergleich gut da, es gibt aber einige "Sorgenkinder".

Ein Samstag im November, den man sich anders vorgestellt hat: Das dreijährige Kind der Familie fiebert hoch und ist extrem unruhig. Eine Ärztin des Notfalldienstes wird gerufen. Sie untersucht das Kind und stellt eine "beginnende" Mittelohrentzündung fest. Sie verschreibt ein orales Antibiotikum der Cephalosporin-Klasse, ein häufig in diesen Fällen verschriebenes Präparat. Die Eltern holen den in der Apotheke angerührten rosa Saft und geben dem Kind zwei Dosen gegen die ärztliche Empfehlung, alles aufzubrauchen, denn dem Kind geht es schon am nächsten Tag besser. Das restliche Mittel steht nun im Kühlschrank. Man könnte es ja noch brauchen. Der Bub ist bald gesund - bei der Behandlung wurde dennoch gesündigt, wie Experten analysieren würden.

Zunächst beträgt die Selbstheilungsrate bei Mittelohrentzündungen zwischen 60 und 80 Prozent, erklärt Karl Zwiauer, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Landesklinikum St. Pölten (siehe Seite 22/23). Er empfiehlt: "Eine frühe antibiotische Behandlung ist nur bei klinischem Vollbild, Kindern unter zwei Jahren oder schwerer Grunderkrankung sinnvoll." Zudem sollten Dosierungsempfehlungen genau eingehalten werden. Außerdem dürfen Antibiotika nicht aufbewahrt werden, um bei ähnlichen Symptomen ohne Arzt danach zu greifen. Das alles fördert ein Problem, womit die Medizin seit Jahrzehnten zu kämpfen hat: Resistenzen von Bakterien.

Die Sünden von Ärzten und Patienten

Krankheitsauslösende Bakterien verfügen über einige Fähigkeiten, sich der Umwelt anzupassen und werden so widerstandsfähig. Die Ursachen liegen laut Infektiologen in fehlerhaften Verschreibungen. "50 Prozent aller Antibiotika werden hierzulande für Infektionen der Atemwege verschrieben", sagt Petra Apfalter, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für nosokomiale Infektionen und Antibiotikaresistenz (nosokomiale Infektionen sind jene, die in Krankenhäusern erworben werden). Vielfach werden also Antibiotika bei banalen Infektionen der Atemwege verschrieben, die großteils viraler Natur sind. Hier sind Antibiotika wirkungslos. Die Befürchtung, dass eine bakterielle Infektion dazukommen könnte, rechtfertigt laut Experten nicht den vorbeugenden Einsatz von Antibiotika. Auch in Krankenhäusern gab es lange die Tradition, bei jeder Operation vorbeugend und oft zu lange antibakterielle Wirkstoffe einzusetzen. Dies alles mit schlimmen Folgen: Erreger wurden und werden resistent, die Behandlungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. So wurden in Spitälern sogenannte "MRSA"-Erreger "gezüchtet", die eitrige Abszesse hervorrufen können. Dieser Erreger ist gegen zahlreiche wichtige Antibiotika-Klassen resistent.

Doch die medizinische Fachwelt und die Gesundheitspolitik reagierte. In Österreich wurde vor zehn Jahren die ABS-Plattform und später dann die ABS-Group gegründet (Antibiotic Stewardship Group). Hier sind Expertinnen und Experten am Werk, die Krankenhäuser beraten, um Antibiotika optimal einzusetzen. Zudem wird vom Gesundheitsministerium regelmäßig der AURES-Bericht herausgegeben (Antibiotikaresistenz und Verbrauch antimikrobieller Substanzen in Österreich). Am "Europäischen Antibiotika-Bewusstseins-Tag", dem 18. November, werden die neuesten Ergebnisse vorgestellt. Die Bemühungen zeigen Erfolge: Petra Apfalter vom Institut für Hygiene, Mikrobiologie und Tropenmedizin am Krankenhaus der Elisabethinen Linz und von der "analyse BioLab" geht in ihrer Analyse bereits von den neusten Ergebnissen aus und erklärt, dass es für Österreich "good and bad news" gebe: "Was den Verbrauch betrifft, liegt Österreich im unteren Drittel. Besonders im Süden Europas sind Antibiotika viel häufiger im Einsatz, weil man sie teilweise ohne Rezept beziehen kann."

Österreich könnte aber noch besser dastehen. "Es fällt auf, dass bestimmte Antibiotika-Klassen im niedergelassenen Bereich besonders in den kalten Jahreszeiten sehr stark verschrieben werden. Hier liegt der Verdacht nahe, dass Antibiotika bei Erkältungskrankheiten eingesetzt werden, die viraler Natur sind. Daran müssen wir noch arbeiten." Gute Nachrichten gibt es beim Krankenhaus-Keim MRSA, hier gibt es Rückgänge: Im Jahr 2003 gab es 15,3 Prozent Resistenzen, 2009 nur mehr 5,9. Maßnahmen für eine verstärkte Hygiene im Krankenhaus hätten gegriffen. Sorgen bereiten laut Apfalter aber nach wie vor die Antibiotika-Klassen der Chinolone (wichtigster Vertreter: Ciprofloxacin), ein Standard-Antibiotikum, das etwa bei Harnwegserkrankungen verschrieben wird, die oft durch den Erreger "E. coli" verursacht werden. Hier sind Resistenzraten zuletzt stark gestiegen, im Vergleich zum vergangenen Jahr nun aber leicht gesunken. Das sei Anlass zur "vorsichtigen Freude", so Apfalter. Weiterhin ein "Sorgenkind" sind sogenannte Cephalosporine der dritten Generation. "Die Resistenzrate ist leider gleich wie im letzten Jahr, sie liegt zwar nur bei knapp acht Prozent. Das klingt nicht viel, sie werden aber im niedergelassenen Bereich wie Hustenzuckerl verschrieben. Wir verwenden sie viel häufiger als andere Länder. Das sind genau diese Präparate, die fälschlicherweise bei Infektionskrankheiten eingesetzt werden", kritisiert Apfalter. Dies führt wiederum zum Anstieg sogenannter resistenter ESBL-Erreger, die Harnwegserkrankungen oder eine Sepsis verursachen können.

Wie Resistenzen einbremsen?

Hier ortet Agnes Wechsler-Fördös besonderen Handlungsbedarf. Sie ist Hygienebeauftragte in der Krankenanstalt Rudolfsstiftung in Wien und Gesellschafterin der ABS-Group. "Wir haben schon früh begonnen, Substanzen verantwortungsvoll einzusetzen. Wir waren das erste Haus, das 1992 eine Antibiotika-Liste eingeführt hat. Diese Liste ist mittlerweile ein anerkanntes Instrument, gut dokumentiert durch Studien, wie man versuchen kann, den Einsatz von Antibiotika zu steuern", erklärt die Ärztin. Verbunden damit sind Restriktionen bei gewissen Antibiotika und eine Beratung über die beste Therapie bei schwerkranken Patienten. So dürfen etwa Chinolone nur mehr nach Rücksprache mit dem Hygieneteam eingesetzt werden. Dadurch sei die Resistenzrate gesunken. Doch Krankenhäuser könnten die Probleme bei Resistenzen nicht allein lösen. Sie sieht Handlungsbedarf im niedergelassenen Bereich. Was den "explosiven" Anstieg von ESBL-Erregern betrifft, fordert Wechsler-Fördös eine "nationale Strategie". Patienten und Ärzte müssten mit ins Boot geholt werden. Der Zugang zum Gesundheitsministerium sei aber zurzeit schwierig.

Der Sprecher von Gesundheitsminister Alois Stöger, Thomas Kvicala, meint hingegen, dass das Thema keine "allerhöchste Dringlichkeit" habe. Österreich stehe im internationalen Vergleich relativ gut da.

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