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Digital In Arbeit

Wir schwimmen im Fett!

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Der moderne Versorgungsstaat vergibt die Wohnungen, übernimmt den Schutz vor allen Unbilden des Lebens und läßt allen ein jahrzehntelanges Dasein als Rentenempfänger als einzig erstrebenswertes Ziel erscheinen. Und der kluge, gewitzigte Bürger eines solchen Superstaates wird daher nicht in Arbeit und Leistung einen Lebensinhalt erblicken und er wird auch nicht alle Kräfte anspannen, um seinem Leben einen positiven Sinn zu geben, sondern alle Hebeln wird er frühzeitig in Bewegung setzen, damit er so bald wie möglich aus dem aktiven Arbeitsprozeß ausscheiden kann, und er wird die Erfüllung aller Daseinswünsche von der Allgemeinheit verlangen.

Die mangelnde Eigenverantwortlichkeit aber wirft eine Fülle von Problemen auf, die der Versorgungsstaat nicht zu lösen vermag. Eines der größten davon ist die Gesundheitsfürsorge, die durch verschiedene moderne Erkenntnisse in einen kritischen Zustand geraten ist. Seit eh und je ist die Anwendung der Medizin ein Angelpunkt im sozialen Staatsgefüge, und mit der mehr oder minder kostenlosen Abgabe von Pulvern und Heilbehelfen und einem allfälligen Gratisaufenthalt im Spital allein ist es noch lange nicht getan. Eine zunehmende Bedeutung kommt nämlich der prophylaktischen Medizin zu, der Verhütung von Krankheiten überhaupt, und der Sieg über die meisten Infektionskrankheiten wurde bekanntlich durch zwangsweise Impfungen errungen. Das Kardinalproblem der modernen Medizin ist aber nicht die Bekämpfung von Infektionskrankheiten, sondern die Verhütung vorzeitiger Gefäßleiden. Es ist entsetzlich, wie viele Menschen in der Blütezeit des Lebens durch den Faustschlag des Todes, durch den Myokardinfarkt, plötzlich dahingerafft werden. Noch furchtbarer sind die unzähligen Organveränderungen durch die Verkalkung, die sich durch Veränderungen des Charakters und der Leistungsfähigkeit ergeben. Unbeslrfg^ax,,ist dohc das^fünfle und^chsje, Lebensjahrzehnt am.reichsten an Lebenserfahrung ^ndj^^ffenskrgf^j, k. e-j.n .Sfrg^A kann es sich auf die Dauer leisten, ständig die wertvollsten Kräfte, oft an verantwortungsvollster Stelle, zu verlieren, da der betreffende Staatsbürger vorzeitig an einem Gefäßleiden zugrunde ging. Zugegeben, es ist ein glühend heißes Eisen, das hier angefaßt wird, und die Situation hat sich weitgehend zugespitzt. Das Problem wird nicht geringer, indem man es einfach totschweigt, und was die moderne Medizin als einwandfreie Tatsache erkannt hat, darf nicht einfach ignoriert werden. Und muß nicht, wenn der einzelne Mensch für sich keine Verantwortung tragen will, dann der Staat eingreifen? Eine schwere, ein schicksalsschwere Frage!

Es steht mit absoluter Sicherheit fest, daß zwei Faktoren eine vorzeitige Schädigung des Gefäßapparates bewirken: der übermäßige Nikotingenuß (wobei hier die individuelle Verträglichkeit bedeutend schwankt) und der übermäßige bzw. falsche Fettgenuß. Die Untersuchungen auf diesem Gebiet gehen Jahrzehnte zurück, und die experimentelle Forschung kam überall zu den gleichen Resultaten. Die endgültige Bestätigung brachten die vergleichenden Statistiken der Weltgesundheitsorganisation, wo eben nachgewiesen wurde, daß die Häufigkeit des Infarkts mit der Höhe des Fettkonsums gleichlaufend ist.

II.

Wer ein Kraftfahrzeug besitzt, weiß um die Wichtigkeit des Motoröls. Die Verwendung eines' ganz üblen Fettes wird sich anfänglich nicht erkennbar auswirken, nach Ablauf einer bestimmten Zeit aber wird derjenige Motor, der bestes Öl ständig erhielt, sicherlich im Vergleich zu anderen auch besser erhalten sein. Und beim Menschen ist es ebenso: Es ist keineswegs gleichgültig, welche Fettsorten man im Laufe des Lebens verzehrte, und ebensowenig ist es belanglos, aus welchen Elementen die verwendeten Fette bestanden. Man weiß genau, wie lange die verschiedenen Nahrungsfette in der Blutbahn kreisen, und kennt die Wirkung der ungesättigten Fettsäuren. Das Sonnenblumenöl, das Speiseleinöl, das Erdnußöl und an letzter Stelle das Olivenöl sind reich an ungesättigten Fettsäuren, sie werden in kürzester Zeit aus der Blutbahn in das Gewebe abgegeben und belasten das Blut daher minimal. Hingegen führen Schmalz, Butter und Pflanzenfette, besonders wenn sie reichlichst genossen werden, zur sogenannten Lipämie, zum fettreichen Blut. Zapft man viele Stunden nach einer üppigen Mahlzeit das Blut ab, dann bildet sich in der Eprouvette ein fetter Rand. Ständig fettreiche Ernährung bewirkt aber durch die Lipämie eine Schädigung der Gefäßwände, es kommt zu Kalkablagerungen, und bei manchen Völkern des Nordens, die sich vorwiegend mit Fettsubstanzen ernähren, ist schon mit dem dritten Lebensjahrzehnt der größte Teil der Arterien von schwerster Sklerose befallen. Die Kunstfette, allen voran die Margarine, sollen in diesem Zusammenhang nur kurz erwähnt werden. Der gigantische Propagandaapparat, mit dem sie angepriesen werden, machen sie in keiner Weise gesünder. Sie enthalten überhaupt keine ungesättigten Fettsäuren und sind, auch wenn sie noch so gut schmecken, biologisch betrachtet, äußerst minderwertig.

Bei der Übergewichtigkeit jedoch besteht ein Mißverhältnis zwischen der aufgenommenen Nahrung und dem Stoffwechsel. Auch nach den üppigen Nachtmählern, wo man Berge von ge-backenem Geflügel hinunterschlingt, wird der Stoffwechsel überlastet und das Blut verwandelt sich in eine zähflüssige Substanz. Jeder praktische Arzt weiß um die Häufigkeit des Infarkts nach fettreicher Nahrung, sei es nun, daß er in den ersten Stunden nach Mitternacht gerufen wird, sei es jene Stunde, die durch die Verdauung des Mittagmahls bestimmt wird. Und auch dann, wenn der Infarkt glücklicherweise ausbleibt, kann man bei allen Menschen, die ständig fettreich essen, durch Spiegelung des Augenhintergrundes erkennen, wie sich die Gefäße frühzeitig zu sklerosieren beginnen.

Überall dort nun, wo der Einzelmensch für sich und die Seinen die Verantwortung trägt, wird diese Erkenntnis auch eine praktische Nutzanwendung haben. Genau so wenig, wie es sich der vollverantwortliche Staatsbürger leisten kann, der Realität durch Selbstmord oder durch Trunksucht zu entfliehen, ebensowenig wird er -“Hhe Nahrung wählen, die ihn vorzeitig“ invalidisiert.

Wer aber kümmert sich im Versorgungsstaat um die Gesunderhaltung seiner Staatsbürger? Hier hat doch der einzelne keine Sorgen um die Zukunft, der Wert der Gesundheit ist bedeutend geringer. Im Gegenteil sogar, wer frühzeitig ein Leiden erwirbt, kommt um so eher in den Genuß einer Rente und kann seine Ansprüche an die Umwelt stellen. Man erlebt daher auch, so man nüchtern die Situation beurteilen kann, daß weit über die tatsächlichen Verhältnisse hinaus einer Ernährung zugesprochen wird, die man in keiner wie immer gearteten Weise befürworten kann. Ein fehlendes Lebensmittelgesetz (wo nähme man auch die Kraft her, ein biologisch einwandfreies Gesetz zu schaffen, wo es doch gilt, die Ansprüche der Lebensmittelindustrie zu befriedigen) verschärft die Situation.

Und doch — auch der Wohlfahrtsstaat kann an diesem Problem nicht dauernd vorübergehen. Die Garantie eines möglichst bequemen Lebens mag ein parteipolitischer Wahlschlager sein, für die Erhaltung des Lebens ist sie deletär. Daher gibt es nur zwei Möglichkeiten, zwischen denen man früher oder später wird wählen müssen. Entweder man beschränkt die Nahrungsmittel von Staats wegen (Ostblock) und greift damit gewaltsam und zutiefst in die Privatsphäre ein oder man erzieht wieder zur eigenen Verantwortung. Kein Zweifel, die Sozialpolitiker von heute sind, wenn sie das Problem einmal erkannt haben, vor die schwerwiegendste Entscheidung überhaupt gestellt. Zwangsweise Einschränkung der Lebensart auf der einen Seite hebt die individuelle Freiheit auf und bereitet den Boden für das größte totalitäre Massenexperiment, für den Kommunismus. Belastung durch Verantwortung auf der anderen Seite aber steht dem Ziel eines Versorgungsstaates weitgehend entgegen, denn Eigenverantwortlichkeit bewirkt Eigeninitiative und Leistungsprinzip. Wer hätte je daran gedacht, daß Erkenntnisse der Medizin ein so gewaltiges Problem aufwerfen werden?

Aber kann es überhaupt eine Alternative geben? Ist die Freiheit des Individuums nicht das entscheidende Gewicht? Ist es nicht klar, daß der Mensch eigene Verantwortung tragen muß, will er im Leben wirklich auch einen positiven Sinn erblicken?

Es ist höchste Zeit, darüber nachzudenken ...

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