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Neue Ziele der Pharma-Entwicklung

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Es gibt auch aus früheren Zeiten Beispiele in Dichtung und bildender Kunst, welche die Herstellung und Verabreichung von Arzneien kritisch — oft humorvoll verpackt - behandeln. Von dieser Kritik fiel jedoch eine gehörige Portion auf den Patienten zurück, wenn er etwa als „Eingebildeter Kranker“ den Arzt geradezu herausforderte, seinen Arzneimittelmißbrauch zu fördern. Doch Herstellung und Erforschung von Arzneimitteln waren selten einer so harten Kritik ausgesetzt wie in jüngster Zeit.

Diese Schelten betreffen hauptsächlich die Hersteller von alten, aber auch die Erforscher von neuen Stoffen. Dabei taucht die Frage auf, ob angesichts der großen Menge vorhandener Mittel ein weiteres Suchen noch angebracht ist.

Zur Orientierung muß man zunächst feststellen, daß auf manchen Gebieten ein hoher Stand der Therapie erreicht wurde und die betreffenden Produkte fast schon zu alltäglichen „Konsumartikeln“ geworden sind. Daraus ergibt sich ein Wandel in den Zielsetzungen. Die Erschließung neuer Methoden durch die Grundlagenforschung ermöglicht es jeder Generation, Aufgaben zu übernehmen, die früher unerreichbar waren. Einige Beispiele sollen dies veranschaulichen.

Die Entdeckung und Verwendung von Chemotherapeutika (wie Sulfonamide) und Antibiotika (wie Penicillin), welche das Wachstum von Bakterien im menschlichen Körper hemmen, haben vielen Krankheiten ihren Schrecken genommen, andere völlig aus der medizinischen Praxis eliminiert. Medikamente zur Schmerzausschaltung erlauben ausgedehnte chirurgische Eingriffe mit größtmöglicher Sicherheit. Hier sind nur zwei Gebiete herausgegriffen, welche eines gemeinsam haben: Eine wirksame Therapie ermöglicht einem zunächst intakten, vielleicht jungen Menschen, dessen Gesundheit durch einen äußeren „Störfaktor“ bedroht wurde (Infektion, Unfall), zu überleben und damit ein höheres Alter zu erreichen.

Die neuzeitliche medizinische Versorgung trägt in vielen Ländern wesentlich zu einer Verschiebung der Altersstruktur der Bevölkerung hin zu höherem Alter bei und damit zu einem häufigeren Auftreten von altersbedingten Krankheiten.

Es bedarf nur eines Rundblik-kes im persönlichen Umfeld eines jeden von uns, um festzustellen, daß hoher Blutdruck, Arterienverkalkung und damit verbundene Herz- und Kreislaufschäden, Krebs oder Gelenksbeschwerden sich mit steigendem Alter einstellen. In diese Richtung zielte und zielt ein großer Teil der modernen Arzneimittelforschung. Unsere Kenntnisse der Lebensvorgänge sind schon lange in den „molekularen Bereich“ eingedrungen. Körpereigene Substanzen, die als Uberträger von Informationen dienen (Transmitter), wurden erkannt. Durch synthetische Abwandlung wurden bestimmte Eigenschaften hervorgehoben, andere zurückgedrängt und auf diese Weise Arzneimittel gefunden.

Als Beispiel sei das Adrenalin — eine körpereigene Substanz — genannt, durch deren Abwandlung Medikamente gegen Bronchialerkrankungen (Asthma), gegen zu niedrigen, aber auch gegen erhöhten Blutdruck entwickelt wurden. Damit eng verbunden war und ist die Erforschung von „Rezeptoren“, das sind spezifische Molekülstrukturen an Körperzellen. Diese können durch die synthetischen Stoffe besetzt und dadurch blockiert oder aber erregt werden — Eigenschaften, die für therapeutische Zwecke nutzbar gemacht werden konnten. Die Fortführung dieser Linie in das Gebiet der Eiweißstrukturen (Peptide) gehört zu jenen Zielen, an denen heute in vielen Laboratorien gearbeitet wird. Verfeinerte und grundlegend neue Methoden haben uns gezeigt, daß der Körper auch Peptide als Transmitter verwendet. Die Aufklärung der Struktur und Funktion dieser Stoffe und die Abwandlung solcher Moleküle zu therapeutisch brauchbaren Stoffen ist eines der Ziele, wobei man von der wissenschaftlich angewandten „Gentechnologie“ einen wesentlichen Beitrag erwartet.

Die großen Aufgaben, vor denen die Forschung steht, sind jedoch spezifische Eingriffe in das krankhafte Geschehen. Diesem Wunsch stehen unsere mangelhaften Kenntnisse der~molekula-ren Vorgänge, besonders bei degenerativen Erkrankungen, noch sehr entgegen. Der Weg in diese Richtung wurde von einem Wiener Universitätsinstitut schon vor Jahren gewiesen: 1960 gelang es O. Hornykiewicz, die Ursache der Parkinsonschen Erkrankung mit einer chemischen Bestimmungsmethode aufzudecken. In bestimmten Gehirnabschnitten fehlte ein bestimmter Transmitter (Dopamin). Dadurch war der Weg zu einer „natürlichen“ Behandlung gewiesen, nämlich Einnahme des Transmitters in einer geeigneten Form. Die Suche nach abgewandelten synthetischen Stoffen mit den notwendigen Transporteigenschaften in das Gehirn und besserer Verträglichkeit ist jüngstens wieder in Angriff genommen worden — aufgrund neuer Kenntnisse über die beteiligten Körper-Rezeptoren.

Manches haben wir erreicht, aber viele Behandlungen sind noch unbefriedigend, manche Krankheiten noch unheilbar. Auch Erkrankungen wandeln ihr Gesicht, plötzlich sind wir mit neuen Formen konfrontiert und versuchen eiligst ihrer Herr zu werden. Sind wir berechtigt, uns zurückzulehnen und uns einfach aus der Apotheke von heute zu bedienen, welche zum Teil von unseren Vorgängern eingerichtet wurde? Oder haben wir nicht die Verpflichtung, neue Erkenntnisse zu erringen und sie in neue Therapieformen einzubringen—als Beitrag unserer Generation für die Gesundheit unserer Nachfolger?

Der Autor ist Universitätsprofessor und Facharzt für Pharmakologie sowie Leiter der Pharmakologischen Abteilung am Ernst Boehringer Institut für Arzneimittelforschung in Wien.

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