Spritze Injektion - © Bild: iStock/channarongsds

Spritzenmedizin: Fluch und Segen der Nadel

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Nicht nur bei Impfungen zeigt sich die Angst vor dem Stich. Forscher wollen nun nadelfreie Geräte auf den Markt bringen. Über eine Geschichte, die unter die Haut geht.

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Nicht nur bei Impfungen zeigt sich die Angst vor dem Stich. Forscher wollen nun nadelfreie Geräte auf den Markt bringen. Über eine Geschichte, die unter die Haut geht.

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Wie umstritten das Impfen sein kann, zeigt sich schon im 18. Jahrhundert, als die erste Impfung gegen die Pocken entwickelt wurde. Die Vorstellung, dass ein Krankheitserreger in den Körper kommt, wirkt auch heute unheimlich. Noch dazu, wenn er mit einer Nadel unter die Haut gespritzt wird: „Der invasive Charakter der Impfung ruft Abwehr hervor“, sagt die Psychotherapeutin Ulrike Schiesser im letztjährigen FURCHE-Interview. Denn bei manchen Menschen bleibt die Angst vor dem Nadelstich definitiv nicht auf die Kindheit beschränkt.

Tatsächlich suchten Mediziner bereits im 19. Jahrhundert nach Wegen, um Impfungen ohne Nadel unter die Haut zu bringen. In den 1950er Jahren etwa wurden Spritzen eingesetzt, bei denen Flüssigkeit mit einer gespannten Feder aus dem Hohlraum herausgepresst wurde. Die Injektion war jedoch schwer zu kontrollieren, und da sie tief unter die Haut eindrang, spritzte zuweilen Blut auf die Geräte zurück. Aufgrund mangelnder Sterilität scheiterte diese Technik im großen Stil. Andere Methoden setzten auf Gase unter Druck oder auf piezoelektrische Effekte, um den Impfstoff in den Körper zu „schießen“. Bisherige Modelle am Markt erlauben nur eine relativ ungenaue Verabreichung größerer Mengen in die tieferen Schichten der Haut. Gerade bei Impfungen ist es jedoch vorteilhaft, kleinere Dosen in die oberflächlichen Hautschichten zu applizieren.

Mit der Kraft des Lasers

Die Erforschung von Laser-Technologien gilt heute als vielversprechend für nadelfreie Spritzen. So berichtet die Universität Twente in den Niederlanden von einem neuen Ansatz, bei dem die optische Energie des Lasers in einer Flüssigkeit absorbiert wird. Das führt zu einer wachsenden Blase, die den Rest der Flüssigkeit explosiv verdrängt. Daraus resultiert ein Flüssigkeitsstrahl, der die Haut durchdringen kann: Gut kontrolliert und fein dosiert, wie die Forscher rund um David F. Rivas betonen. Dieser Ansatz sei sicherer und präziser als bisherige Methoden, heißt es in ihrer aktuellen Studie.

Mit diesem Projekt verfolgt Rivas eine Vision: „Für Millionen Menschen weltweit, gerade auch in den Entwicklungsländern, gibt es großen Bedarf an der neuen Technologie“, ist der Professor und Firmengründer überzeugt. Eine solche Laser-Spritze kann an individuelle Bedürfnisse angepasst werden, ohne das Gerät wechseln zu müssen. Der Laser-Schuss wäre also eine nachhaltige Alternative zu den Einwegspritzen, die im 20. Jahrhundert aus hygienischen Gründen eingeführt wurden. Die nadelfreie Injektion soll somit nicht nur die Spritzenangst, sondern auch den Abfall in den Krankenhäusern reduzieren. Und könnte damit sowohl das Gesundheitsbudget als auch die Umwelt schonen, wie die Forscher betonen. Bisherige Studien mit künstlicher Haut und Schweinehaut zeigen positive Resultate; am Menschen ist diese Technologie noch nicht getestet.

Eingespritzte Hunde

Die ersten Spritzen in der Geschichte der Medizin waren grobschlächtige Geräte wie Klistiere und Blasenspritzen. Die Erfindung der modernen Injektionsspritze markiert hier einen bahnbrechenden Fortschritt. Wer in Geschichtsbüchern nachschlägt, stößt meist auf einen französischen Arzt, der 1864 eine verkleinerte, handlichere Spritzenform entwickelt hat: Charles-Gabriel Pravaz. Sein Modell bestand aus einem fünf Zentimeter langen Glaszylinder, in dem ein Lederkolben durch ein Schraubengewinde angetrieben wurde. Die Nadel war dreieckig geschliffen und von einer Kanüle umgeben („Trokar“). Doch weder das Schraubenmodell noch der Trokar konnten sich durchsetzen. Bald schon sollten Spritzen mit Kolbenhub und Hohlnadel reißenden Absatz finden.

Und Pravaz war nur ein Erfinder unter vielen. Zunächst ist William Harvey zu nennen, der in den 1620er Jahren den Blutkreislauf entdeckte und damit überhaupt die Grundlage für die Idee lieferte, Arzneistoffe in die Blutbahn zu spritzen. Die erste intravenöse Injektion mit wissenschaftlichem Hintergrund wird Sir Christopher Wren zugeschrieben, der vor allem als Architekt in Erinnerung geblieben ist. Der englische Gelehrte dokumentierte ein Experiment, an dem gelangweilte Jagdaufseher zweifelhaften Gefallen gefunden hatten: Er infundierte Alkohol in die Venen eines Hundes und stellte unmittelbare „Trunkenheit“ fest. Es folgten ähnliche Versuche mit Menschen, wobei noch archaisch anmutende Geräte wie Blasrohre oder Federkiele zum Einsatz kamen. Ohne Anästhesie und Desinfektion erwies sich das jedoch als wenig zukunftsträchtig.

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