Psychedelisches Gemälde - Psychedelisches Gemälde - © iStock / il67

Psychedelika: Zurück am Trip

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Die Forschung zu psychedelischen Drogen war lange Zeit verpönt. Doch allmählich erscheinen diese wieder als therapeutische Hoffnung.

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Die Forschung zu psychedelischen Drogen war lange Zeit verpönt. Doch allmählich erscheinen diese wieder als therapeutische Hoffnung.

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"Wir haben es vermasselt": Dieser Satz stammt aus einer Schlüsselszene im Film "Easy Rider" - seinerseits ein Schlüssel für die subkulturelle Vision, die Ende der 1960er-Jahre wie ein leuchtendes Kaleidoskop in der westlichen Welt aufgetaucht ist. In dem "Road-Movie" leben zwei Männer auf ihren Motorrädern ihre Version des amerikanischen Traums. Auf dem Rücken ihrer Harley-Davidson dringen sie in die Weiten des Wilden Westens vor, und wie die frühen Pioniere des Landes suchen sie die Freiheit, das Abenteuer und die Grenzüberschreitung. Am nächtlichen Lagerfeuer gerät Billy (Dennis Hopper) ins Schwärmen. "Wir haben es geschafft", sagt er zu seinem Kumpel Wyatt (Peter Fonda). Doch dieser bleibt seltsam zurückhaltend und antwortet bloß orakelhaft: "Wir haben es vermasselt."

Der Höhepunkt des Kultfilms von 1969 ist ein LSD-Rausch, den die Hauptfiguren in New Orleans durchleben. Dort waren Billy und Wyatt in einem Bordell gelandet. Doch sie hatten nicht so etwas Profanes wie Sex im Sinn, sondern die innere Übersteigerung ihrer Fahrt quer durch Amerika: den ultimativen Trip, die geistige "Reise" jenseits der gewohnheitsmäßigen Grenzen des Bewusstseins, die durch psychedelische Drogen wie LSD ausgelöst wird. Aber die Suche nach seelischen Offenbarungen (gr. psyché: "Seele"; delos: "offenkundig") hat ihren Preis: Der Film endet tragisch; zuletzt werden die provokanten Helden auf der Straße von einem amerikanischen Patrioten erschossen. Ihr Schicksal ist exemplarisch für die ganze "Gegenkultur", die sie repräsentieren: Schon bald versanken die bunten Hippie-Träume wie das sagenumwobene Atlantis auf den Meeresgrund der Geschichte.

Renaissance der Forschung

Mit dieser Subkultur verschwand allmählich auch die Forschung zu psychedelischen Drogen: Diese hatten in der akademischen Welt geradezu als Wundermittel zur Behandlung eines weiten Spektrums seelischer Erkrankungen gegolten, und bereits der Schweizer Chemiker und LSD-Entdecker Albert Hofmann hatte hochtrabende Hoffnungen in das therapeutische, aber auch spirituelle Potenzial dieser Substanzklasse gesetzt. Bis 1965 hatten sich schon mehr als 40.000 Forschungsthemen zur psychedelischen Drogentherapie herauskristallisiert.

Doch die viel versprechende Forschung geriet in Misskredit, als Psychedelika dem Labor entkamen und in den Sog der Straße gerieten. Dort wurden sie von einer aufmüpfigen Jugend für moderne Initiationsrituale entdeckt. Timothy Leary, der an der Harvard-Universität Studien mit diesen Wirkstoffen durchgeführt hatte, wurde zur Galionsfigur der antiautoritären Protestkultur: Der Psychologie-Dozent wandelte sich in den 60er-Jahren vom Forscher zum "LSD-Papst" und "Drogen-Apostel", der eine "molekulare Revolution" durch psychedelische Substanzen verkündete. Das kostete ihn seine wissenschaftliche Karriere. Er trug damit aber auch maßgeblich dazu bei, jede weitere seriöse Forschung zu vermasseln. Ausgehend von den USA wurde die "psychedelische Wissenschaft" fortan verpönt oder belächelt, finanziell jedenfalls trocken gelegt.

Doch mittlerweile gibt es immer kräftigere Anzeichen für eine Renaissance. Am Imperial College in London etwa wurde jüngst ein "Zentrum für psychedelische Forschung" vorgestellt, das als Prototyp für künftige Einrichtungen dienen soll. Dort stehen unter anderem klinische Studien bei Patienten mit Depression und Magersucht auf der Agenda. Allein dass Wer wissen will, wie nach Jahren des Stillstands wieder zarte Pflänzchen neuer Studien in Laboren und Kliniken zu sprießen begannen, ist mit Michael Pollans neuem Buch "Verändere dein Bewusstsein" der kulturell befrachtete Begriff "psychedelisch" (eine Wortschöpfung von Aldous Huxley) bewusst wiederaufgegriffen wird, zeugt von der neuen akademischen Wertschätzung gegenüber diesen Substanzen. (2019) gut beraten.

Bereits der Anthropologe Nicolas Langlitz hat in seinem Werk "Neuropsychedelia" (2013) die Wiederbelebung dieser Forschung mit dem jüngsten Aufschwung der Neurowissenschaften in Verbindung gebracht und erste Geschichten aus einem Schweizer und einem amerikanischen Labor zusammengetragen. Doch der US-Journalist Pollan liefert nun das größere Bild einer umfassenden Renaissance: Ähnlich wie die Renaissance-Gelehrten im 15. und 16. Jahrhundert "die verlorene Welt klassischen Denkens in einer Handvoll in Klöstern gehorteten Manuskripten wiederentdeckten", so greifen heute Ärzte, Therapeuten und Aktivisten auf das verschüttete Wissen in Bibliotheken und Datenbanken zurück. Michael Pollan hat viele von ihnen befragt und erkundet die Thematik nicht nur historischjournalistisch, sondern auch persönlich durch Beschreibung seiner eigenen Erfahrungen mit LSD, Psilocybin (einem Pilz-Wirkstoff), Ayahuasca (einem Pflanzengebräu) und 5-MeO-DMT (einem Krötengift).

Gehirn und Geist

All das liest sich wie ein spannender Krimi, wenngleich die Auseinandersetzung mit den drastischen Wirkungen der Psychedelika wie nebenbei auch existenzielle Fragen aufwirft: Was ist der evolutionäre Sinn hinter der drogenbedingten Bewusstseinsveränderung, die in fast allen Zeiten und Kulturen bezeugt ist? Wie ist das Verhältnis von Gehirn und Geist? Trifft es wirklich zu, dass Bewusstsein von den Nervenzellen im Gehirn "erzeugt" wird, wie es die heutige naturwissenschaftliche Sichtweise nahelegt (eine Auffassung, die durch Psychedelika zumindest in Frage gestellt wird)? Und können mystische Erfahrungen tatsächlich durch ein Medikament ausgelöst werden?

Eines der bemerkenswertesten Phänomene der psychedelischen Erfahrung ist für Pollan die Auflösung des eigenen "Ich". Ist die Dosis hoch genug, berichten viele Menschen vom Verlust der gewohnten Selbstwahrnehmung, die oft mit Angst oder sogar Panik einhergeht. Von den Therapeuten werden sie dann dazu aufgefordert, den Prozess hinzunehmen: Wenn es gelingt, die vorübergehende Auflösung des "Ich" zuzulassen, wartet am Ende oft ein erhebendes Gefühl der Neugeburt. Pollan deutet diese Erfahrung als chemische Schockwelle für das Gehirn, die zu einem "geistigen Neustart" führen kann. Das könnte etwa bei Sucht oder Depression hilfreich sein, wenn es den Betroffenen nicht mehr gelingt, eingefahrene Denk- oder Verhaltensmuster zu verlassen. Zudem zeigen Studien mit Krebspatienten eindrucksvoll, dass die psychedelische Erfahrung auch eine neue Einstellung zum Sterben vermitteln kann. Pollan berichtet von einem todkranken Patienten, dem die Behandlung mit Psilocybin tiefe spirituelle Ressourcen erschlossen hat: "Er sah müde und verschwitzt aus, war aber Feuer und Flamme. In seinem Blick funkelte alles, was er mir erzählen wollte, und alles, was er nicht erzählen konnte. Er sagte, er hätte das Gesicht Gottes berührt." (Protokoll der Ehefrau)

Der US-Journalist plädiert nicht unbedingt für die Legalisierung von Psychedelika, hofft aber, dass diese Erfahrungen irgendwann allgemein verfügbar sein werden - vorausgesetzt, es gelingt, "ein sicheres Gefäß für ihre potenziell überwältigenden Energien bereitzustellen". Zugleich warnt der Autor vor den überzogenen Hoffnungen, die schon einmal, vor Jahrzehnten, enttäuscht worden sind. Dass es damals auch eine Art von "spiritueller Materialismus" war, also eine subtile Fixierung auf die "Machbarkeit" herausragender Erfahrungen, der die Einführung von Psychedelika in eine materialistische Konsumkultur letztlich zum Scheitern verurteilte, wird von Pollan jedoch nur unzulänglich reflektiert.

Schamanen im Arztmantel?

Der deutsche Drogen-Experte Torsten Passie sieht bereits die medizinische Einführung kritisch: "Ich warne vor zu viel Enthusiasmus", sagt er im Gespräch mit der FURCHE. Die Begleitung von Patienten mit psychedelischer Behandlung erfordere viel Zeit -und noch mehr Schulung aufseiten des Personals. "Wie wollen Sie den Psychiatern auf einmal beibringen, dass sie nun wie ein Schamane im Arztkittel auftreten sollen? Die psychedelische Therapie läuft dem aktuellen Behandlungsparadigma zuwider." Mögliche Anwendungen sieht Passie nur in klinischen Arbeitskreisen, die in baulich getrennten Einheiten im Krankenhaus agieren. Zudem haben Pharmafirmen bislang nur wenig Interesse für diese Wirkstoffe gezeigt, da sie kaum Patentrechte bieten und kommerziell nicht attraktiv sind. Denn im Gegensatz zu vielen Psychopharmaka, die täglich über längere Zeiträume einzunehmen sind, kommen Psychedelika nur punktuell zum Einsatz.

Nichts ist so leicht zu vergiften wie der Brunnen der heiklen Psychedelika- Forschung. Das wusste auch Tom Insel, der Ex-Direktor des amerikanischen "National Institute of Mental Health", der auf einer Psychedelik-Tagung 2017 den ambitionierten Therapeuten folgenden Rat ans Herz gelegt hat:"Vermasseln Sie es nicht!"

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