6792429-1970_45_10.jpg
Digital In Arbeit

Ideologie, Utopie, Ekstase

Werbung
Werbung
Werbung

MACHTKAMPF DER GENERATIONEN? Von Heinrich Beck. Verlag Josef Knecht, Frankfurt am Main, 1970,106 Seiten. DM 8.80.

Beck, nach Dozentur In Salzburg jetzt Professor an der Pädagogischen Hochschule Bamberg, gibt als Philosoph Antwort auf die Frage, ob der derzeitige Machtkampf der Generationen als ein Aufstand der Jugend gegen den Autoritätsanspruch der Gesellschaft zu erklären Ist. Seine Untersuchung ragt aus der Flut ähnlicher Publikationen hervor, die das gleiche Thema entweder als Rechtfertigung des herrschenden Industriesystems der Konsumentenge-tcllschaft oder als Ausdruck der Zukunftshoffnung einer neuen Linken einseitig gestalten. Beck geht von der Analyse der Fehlhaltungen beider Teile aus. Er diskriminiert nicht einfach die jungen Menschen. Das Bild der Lage umreißt Beck, indem er Thesen und Tendenzen der kapitalistisch-individualistischen Eta-bliertengesellschaft mit jenen der aggressiven jungen Anti-Gesellschaft konfrontiert: Hier Verabsolutierung des Einzel-Ichs, wobei das Ganze nur dessen Funktion ist, dort das Einzel-Ich als bloße Funktion des absoluten Ganzen. (Seite 93) Beck reflektiert auf das momentane Zwischenergebnis: Indem Marcuse und die Neue Linke eine Gesellschaft zermörsern wollen, erhitzen sie den Schmelztiegel zur Fabrikation des neuen Kollektivs. Und indem Beck den Stufengang vom Individuaidsmus zum Sozialismus und vom Sozialismus zur Freiheit, die über religiösen Werten aufzurichten ist, aufzeigt, ist die heutige Etabliertengesellschaft des Liberalismus und Sozialismus in Deutschland und Österreich herausgefordert.

WUNSCHTRAUM UND EXPERIMENT, herausgegeben von Frank E. Manuel, aus dem Amerikanischen übersetzt, im Verlag Rombach, Freiburg 1970, 345 Seiten.

Soziologen, Politologen, Historiker, Nationalökonomen, Biologen, Kybernetiker und die Pioniere der Zu-kunfts- und Planungswissenschaften aus USA und Europa haben sich im Umkreis der American Academy of Arts and Sciences versammelt, um die Bedeutung der psychologischen und gesellschaftlichen Ursprünge des utopischen Denkens zu erläutern. Die ersten Ausmalungen der Welt um 2000, die von den Futuristen den Romantikem vorgehalten wurden, haben Ängste und Bedenken hervorgerufen: Neigen Utopien zu neuen gewalttätigen und totalitären Losungen oder sind darnach Lösungen denkbar, die man jetzt die demokratischen nennt?

Der Sammelband, dessen Beiträge (mit wenigen Ausnahmen) den Andeutungen des End-gültigen aus dem Weg gehen, gehört vor allem in die Hände junger Menschen, denen die Frage nach der Möglichkeit des Schöpferischen angesichts eines scheinbaren erneuten Determinismus gestellt ist. Gleichgültig, ob der Leser das Buch au« der Hand legt, in dem Bewußtsein, darin eine Erneuerung des Denkens in den Traditionen der europäischen Kultur gefunden zu haben oder, ob es für ihn die Aufforderung zum Abschied zu sein scheint: Es lohnt sdch, über den Nutzen und den Nachteil eines utopischen Denkens wenigstens für die Zeit der Lektüre dieses Buches Gedanken anzustellen. Man muß so ein Buch gelesen haben, um fortzufahren in der Politik, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft usw., hoffend, daß wir zuletzt überleben werden.

DIE IDEOLOGEN IN DER GESELLSCHAFT. Von Nigel Harris, aus dem Englischen übertragen, im Verlag C. H. Beck, München 1970, 289 Seiten. DM 12.80

In unserer Zeit, die als das „Zeitalter der Entideologisderung und des Sieges der modernen Sachlichkeit über die Mythen“ gepriesen wird, findet in Wirklichkeit das statt, was Wilhelm Roepke ein „riesenhaftes Maskenfest der Ideologien“ nannte. Ganz im Gegensatz zu den Erwartungen der Kennedy-Ära erweist sich das Politische weniger als ein administratives Problem als ein ideologisches. Was Kennedy nicht wollte, findet statt: Jie Leidenschaften „bringen das Land zum Kochen“. In den USA, in der BRD, von der Dritten Welt zu schweigen. Harris kritisiert, was er einen „verworrenen Katalog“ der Ideologien nennt. Verworrenheit über Standpunktlosig-keit, muß man ergänzen. Harris wertet die Ideologien und er wertet sie ab; es geschieht mit den Methoden der „modernen Wissenschaft“. So wird den Politikern ein Denksystem offeriert, mit dem das polltisch enorm relevante System der Ideologien einfach nicht greifbar ist.

Paradefall ist Harris' Vergleich dessen, was er den Konservativismus des Westens nennt, mit dem, was er unter derselben Marke im Osten lokalisiert. Und dabei kommt das konservative Prinzip in der Tat schlecht weg. Weil der Modellfall der Konservativen Partei Großbritanniens seit den Tagen ihres great old men Disraeli mehr und mehr das geworden ist, was dieser als „konzessionär anstatt konservativ“ deklassiert hat. Re-Ideologisierung ist Trumpf. Da ist Harris' Vademecum durch die Verworrenheit des Schlammeeres der Ideologien wenigstens ein Warnsignal.

POLITIK DER EKSTASE. Von Timoty Leary, aus dem Amerikanischen übersetzt, im Verlag Christian Wegner, Hamburg 1970, 223 Seiten. DM 18.—

Die fortschrittlichsten Industriestaaten, USA, Deutschland, England, Frankreich und Japan kämpfen verzweifelt gegen den steigenden Rauschgiftkonsum und illegalen Rauschgifthandel, der das große Geschäft und die Finanzlerungsquelle verschiedener politischer Aktivitäten ist. In Texas und in Kalifornien wird Timoty Leary, früher Professor an der Harvard-Universität, wegen des Besitzes von LSD und Marihuana zu insgesamt 20 Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem ihn schon 1966 wegen Marihuanaschmuggels eine 30jährige Haftstrafe getroffen hat, Aber Leary ist den Behörden entwischt. Mit ihm freuen sich die, für die Leary kein Verbrecher ist, sondern der Prophet einer Rauschgiftphilosophie und „Hoher Priester der Psychologischen Bewegung“. Seit Leary 1963 auf einer gemeinsamen Tagung der Lutherischen Kirche Amerikas und der Amerikanischen psychologischen Gesellschaft „seine Lehre in den „sieben Sprachen Gottes“ prägte, rätseln und experimentieren „informierte“ Geistliche, Künstler, ja selbst Politiker an dem Ganzen herum. Die Wissenschaft hat ihre Reserve gegen die „psychedelische Bewegung“ angemeldet; sie teilt nicht die Hoffnung der psychedelischen Bewegung: The only hope ist dope. Aber die Kulturdebatte griff, zum Beispiel in Schweden, die Frage einer „Erweiterung des Bewußtseins“ als möglichen Ertrag der Rauschgiftphilosophie auf. Herbert von Karajan ging bis dicht an das Experiment heran. In der Zeit, in der unzählige junge Menschen den einsamen Tod des Rauschgiftvergifteten sterben, sollten die Experten wissen, was Leary wollte und will.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung