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Pädagogen der Neuen Linken als Wegbereiter der Anarchie

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„Da kommt so ein lieber Wuschel- kopf daher - wie soll ich wissen, daß der drei Jahre später ein Terrorist wird?” fragte Günter Nenning kürzlich im Fernsehen. Jörg Mauthe kommentierte dies als das niederschmetterndste Urteil, das über die Denker des Neomarxismus bisher gefallt worden sei: „Wahrhaftig, sie wissen wirklich und überhaupt nicht, was sie tun.”

Dieses fatale Nichtwissen kann sich nur auf die Unkenntnis der jugendlichen Psyche beziehen. Denn daß diese politischen Propagandisten nicht wissen, was das Ziel ihres so idealistischen Tuns ist, wird niemand behaupten. So verkündet die Pädagogik der Neuen Linken in dem für sie typischen Jargon eine Erziehung zum „verantworteten Ungehorsam”. Ehe man sich ein tieferes Verständnis von den eigentlichen Problemen der Jugend unserer Zeit verschafft, geht man von der Erziehung zur politischen Aktion über. Das Wissen über das Phänomen Jugend reicht nicht über das Vorstellungsmodell hinaus, nach dem Jugend eine geschichtliche Erscheinung ist und damit ein bloßer Reflex der Erwachsenengesellschaft, die aus Angst vor dieser Jugend als einem Potential der Veränderung an den gegebenen Herrschaftsverhältnissen festhalten will.

Diese Altersgruppe ist äußerst empfänglich für die Propaganda ideologischer Systeme, die eine neue Weltanschauung unter der Bedingung totaler und unerbitterlicher Preisgabe einer alten versprechen. An der Grenze des jugendlichen Identitätskonflikts tun fanatische Ideologen, ihre geschäftigen und psychopathischen Anführer ihre schmutzige Arbeit, sagt der amerikanische Psychoanalytiker E. H. Erikson,,

In diesem Zusammenhang erhalten die verschiedenen jugendlichen Protestbewegungen ihre besondere Perspektive. In Deutschland und Österreich ist die große Mehrheit der Bevölkerung erst durch Studentenunruhen, die 1966 einsetzten, darauf aufmerksam geworden, daß es eine nihilistisch-anarchistische Richtung gibt, die man die „Neue Linke” nennt. Aber schon lange vorher waren Männer aufgetreten, die überzeugt waren, zu moralischen Anklägern des deutschen Volkes berufen zu sein (Horkheimer, Adorno, Abendroth). Sie erfanden und propagierten einen Zusammenhang zwischen den Greueltaten des Dritten Reiches und den Denk-, Lebens- und Charakterformen der bürgerlichen, konservativen oder aufklärungsfeindlichen Traditionen. Umgekehrt wurde den deutschen Intellektuellen suggeriert, daß „Demokratie” und linksliberale Ideologie zusammengehörten.

Früher noch und schwerer als in Westeuropa trat die Krise der liberalen Demokratie in den USA in Erscheinung. Der amerikanische Psychoanalytiker Bruno Bettelheim schrieb 1965: Wo mehr Menschen als je zuvor die Möglichkeit haben, „das Leben zu genießen, sind wir unglücklich aus Enttäuschung darüber, daß Freiheit und Wohlstand unserem Leben keinen Inhalt und kein Ziel geben … Mehr als je zuvor sehnen sich die meisten von uns vergeblich nach einer Lebenserfüllung; inmitten von Überfluß führen wir ein unerfülltes Leben.” Diese Stimme kommt aus einem Land, in dem sich die für die moderne Massengesellschaft typischen Lebensbedingungen eher allgemein ausgebreitet haben als anderswo. Sie spricht von einem sozialpsychologischen Tatbestand, den inzwischen Viktor E. Frankl mit dem Begriff des „existentiellen Vakuums” aufgeklärt hat. Dieses sei in allen Teilen der Welt in zunehmendem Maße gerade unter der Jugend feststellbar.

So ist es auch leicht verständlich, daß diese Jugend, zu deren Äußerungsweisen neben den schon erwähnten Erscheinungsformen auch der „Radikalismus der Idee” gehört, für Gedankenkonstruktionen empfänglich ist, die aus einer vereinfachenden und utopischen Denkweise hervorgehen. Es sind die „raschen”, die „reinen”, die „einfachen” Lösungen, die da angestrebt werden und die, auch das Moment der Auflehnung einschließend, um so größeren Reiz ausüben, je radikaler und einseitiger sie sind. Alles das aber wird von der „humanitären” Utopie eines Herbert Marcuse in den Schatten gestellt, wo die Moral als Waffe zur Vernichtung des Gegebenen eingesetzt wird. Dieser das totale Glück des Menschen verheißende Messianismus soll in den dem Zukunftsideal Widerstrebenden ein schlechtes Gewissen erzeugen und sie „womöglich dahin bringen, ein demütiges Schuldbekenntnis abzulegen, daß es in diesem Staat viel zu wenig Freizeit, Humanität und Wohlfahrt gebe. Dieser psychologischen Kapitulation soll dann die politische folgen” (Emst Topitsch).

Neben dieser moralischen Überbietung und der Politisierung der Sprache im Sinne einer „linguistischen Therapie” (Marcuse) gehört zu den Methoden der Neuen Linken auch noch die Inszenierung von Konflikten. Bei solchen Versuchen beruft man sich häufig auf das Konflikt-Modell der Gesellschaft, das der Soziologe Ralf Dahrendorf vertritt. Danach sind nicht Konflikte und Wandel, sondern Stabilität und Ordnung der „pathologische Sonderfall”. Die Pädagogen der Neuen Linken legen daher großen Wert darauf, die Jugend „konfliktbewußt” zu machen. Es geht diesen Taktikern einer „subversiven Erziehung” weniger um das Erziehungsziel „Mündigkeit”, als um die Gewinnung von „Aggressionspotential” für ihre politischen

Zwecke. Unter der Flagge einer „kritischen Friedenspädagogik” betreiben sie eine verantwortungslose „Aggressionspädagogik” und sprechen unverblümt von der Aufgabe, „didaktische Modelle kollektiv kontrollierbarer Gewaltanwendung innerhalb demokratischer Regeln zu entwickeln.”

Von der Jugend getragen, hat der Terrorismus seine geistigen Väter. Marcuse, dessen Gedankengut die geistigen Grundlagen nicht nur der „Studentenbewegung” maßgeblich beeinflußt, hat vor Jahren erklärt, Aktivitäten der Neuen Linken wie jener Anschlag auf die deutsche Botschaft in Stockholm seien „vorhersehbar” gewesen. Er betonte auch, daß die Neue Linke eine „Phase im Kampf für den Sozialismus” sei.

Es könnte sein, daß wir, von den Schrecken der jüngsten Zeit geschockt, noch zu wenig rationale Distanz von den Geschehnissen gewonnen haben, um die historischen Zusammenhänge und die psychologischen Wurzeln des mehr als ungewöhnlich scheinenden Auftretens der Jugend zu durchschauen. Ist es aber wirklich so abwegig, von einer Fortsetzung des „Stromes der Jugendbewegung” zu sprechen, jenes Stromes, der sich in unserem Jahrhundert in den bosnischen Attentätern von 1914 ebenso dokumentiert hat wie in der Hitlerjugend? Er ist zwar, da wir es mit einer Minderheit zu tun haben, wesentlich schmäler geworden, schlägt aber umso höhere Wellen. Hier liegt die Verantwortung derjenigen, die mit ihrer destruktiven Ideologie seine Quellen speisen.

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