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Beat ist Hip plus Religion

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Man hört viel von ihnen in der Presse, im Rundfunk und Fernsehen der Vereinigten Staaten — den „Blumenkindern“, den langhaarigen, bärtigen Jugendlichen und den behosten Mädchen in offenem Haar, gekleidet in großteils bizarren, eigenwillig stilisierten Kleidern, geschmückt mit indianischen, exotischen, religiösen Emblemen...

Im East Village von New York City und im Haight Ashbury Distrikt von San Franzisko haben die Hippies ihre komfortlosen „Pads“, wie sie ihre Behausungen nennen, ihre Kultstätten, Tanz- und Musikgruppeh, Theaterexperimente, ihre „Verkehrslokale“, freiwilligen Hilfsküchen und handwerklichen Zwergbetriebe. Und dazwischen photographieren Touristen und schleichen Rauschgifthändler umher, die einen das neue Leben in Freiheit neugierigkritisch betrachtend, die anderen es mit gefährlichen „Erfüllungen“ in Zwielicht tauchend. Die „Hippie-Szene“ ist vielgestaltig. Hier treffen sich Wahrheitssucher und Zyniker, sensaitionshungrige und geistig aus dem Gleichgewicht Gekommene mit religiösen Fanatikern und Kultisten aller Art. Eines aber ist ihnen gemeinsam: sie sind „hip“, „in the know“, das heißt sie wissen Bescheid — wissen, daß die Welt ihrer Eltem Lüge ist, Krieg und Unterdrückung gebärend, Heuchelei, Geldgier und Egoismus ihr Kennzeichen.

So glauben sie, die Differenziertheit dessen, was sie das Establishment der „Squares“ nennen, ignorierend. Enttäuschung und Bitterkeit die Basis ihres Gefühl, bei den besten unter ihnen Hoffnung auf Liebe, Frieden, Gemeinschaft ihr Traum... Die Hippies sind nicht die ersten, die „hip sein“ als Leitmotiv formulierten.

Vor Jahrzehnten hat die literarische Gruppe der „Hipster“, zu der unter anderen Norman Mailer, Allen Ginsberg, Jack Kerouac und Holmes gehörten, die Bewegung der sogenannten „Beat-Generation“ ausgelöst, im deren mannigfachen Zeitschriften sie und etwa Lawrence Ferlinghetti und William Burroughs in Gedichten, Essays und Novelletten der bürgerlichen Gesellschaft ihre Forderung nach Freiheit und Selbstbestimmung entgegenschrillten. Mancher Roman, mancher Gedichtband aus diesem Kreis ist „Bestseller“ geworden. Mancher Autor gilt heute als wichtig für Amerika. Die Hippies schreiben keine Bücher, aber sie haben „Untergrundzeitungen“, in denen für sexuelle Freiheit, gegen Vietnam, für Rassengleichheit, für Freigabe von Marihuana (jener haschischartigen Zigarette, die mittlerweile durch GIs auch in Europa eingeführt worden ist) geworben wird. Waren die beiden ersten Hip-Wellen in gewisser Hinsicht elitäre Intellektuellenzirkel, für die Selbst-flndung anonymer Leser mitfechtend, so sind die Hippies, die dritte Welle, groteskerweise eine Mas-

senbewegung von Individualisten, Flüchtlingen aus der Welt der konventionellen Ordnung geworden, willens, in Freiheit alles zu tun, was Leben heißt, soweit es nicht andere schädigt

Zum Unterschied von Hipstern und Beats sind die Hippies zumeist Jugendliche, die vom Elternhaus fortliefen, weil sie entweder zu strikt oder zu interesselos daheim behandelt wurden, auf der Suche nach etwas, was sie oft kaum definieren können oder in fast klischeehaften eigenen Wortbildungen ausdrücken.

Dieses Suchen ist im Kern auch religiös gemeint. Kirchen und Kirchenglauben sind zwar suspekt geworden, obwohl sich hier und dort auch junge Priester beider Konfessionen zu ihren Freunden zählen. Aber Jesus, Franz von Assisi, Buddha und Konfuzius faszinieren — in eigener Interpretation und nicht zuletzt wegen ihres Aufrufs zu einem Leben der Armut und Selbstlosigkeit. Das Wort „Liebe“, immer wieder beschworen, meint nicht nur Sex, es meint auch — Hingabe an den Nächsten. Der religiöse Unterton war bereits bei den Beats vorhanden. Kerouac hat mir einmal, nach dem Unterschied zwischen Hipstern und Beats befragt, erwidert: „Beat ist Hip plus Religion!“ Es war nicht zufällig, daß, den Anregungen Watts und Snyders folgend — beide zur inneren Runde gehörend — der Zen-Buddhismus, nicht immer recht verstanden, eine große Anziehungskraft ausübte, bei denen, die „Bescheid wissen“ wollten. Und es ist aufschlußreich, daß der Theologieprofessor Hervey Cox in Harvard meint: „Das Hipstertum hat alle Kennzeichen einer religiösen Bewegung!“, und der berühmte Historiker Arnold Toynbee die Hipster mit den alttestamentarischen Propheten und den ersten Christen vergleicht. Daß es dabei mannigfache Unterschiede, Mißverständnisse und Scharlatanerien gibt, besagt nichts gegen die Ernsthaftigkeit des Suchens überhaupt. Sich vom „verfälschten“ Christentum abwendend, schaut man dabei oft nach Osten, sucht dort nach unbekannten Weistümern. Der Poet Allen Ginsberg, ehemaliger Hipster und Beat, heute als „Guru“ (weiser Lehrer) der Hippies weitgehend akzeptiert, hat von einer Reise nach Indien Meditation und Mystik, Riten und Gesänge mitgebracht, deren Anregungen man tastend zu folgen versucht. Aus den verschiedensten Anstößen hat sich in „Hippieland“ so etwas wie eine „Subculture“ entwickelt, die neue schöpferische Impulse in allen Sparten der künstlerischen Gestaltung zu erwecken versucht, nicht ohne demonstrative Überpointierun-gen.

Alles ist dabei stetiger Wandlung unterworfen. Der Jazz, der bei Hipstern und Beats eine große Rolle gespielt hat, wich Einflüssen der Beat-

les, des Rock'n'Roll, des Protestsongs (beheimatet vor allem bei den von pazifistischen Parolen und Kennworten der „Neuen Linken“ Ergriffenen), dem Fplksong, selbst elektronischen Experimenten. Verbrechen sind in Hippieland — mit oder ohne Drogeneinfluß :— vielen verfälschenden Berichten zum Trotz, kaum je vorgekommen. Falsch ist auch die Behauptung, nach der die Hippies gewalttätig auftreten, sieht man von den Eskapaden der Motorradgangs ab, die

ihnen in einer Freund-Feind-Beziehung nahestehen, zum Beispiel den „Hell's Angels“. Wo in ihrem Umkreis Morde, Schlägereien, Eigentumsbeschädigungen vorkamen, da waren die Initiatoren benachbarte Jugendgangs — zumeist Neger oder Portorikaner —, die, selbst arm und armselig lebend, kein Verständnis für die freiwillige, vor allem meist transistarische Armut ehemaliger Mädchen der Gesellschaft und halben Doktoranden hatten, sich um die Umwelt und ihr Leben nicht weiter kümmerten.

Die hier entstehenden Schwierigkeiten, nicht zuletzt auch häufige Polizeischikanen, führten zu zwei entgegengesetzten Entwicklungen. Auf der einen Seite gingeh viele Hippies aufs Land und gründeten eigene Kommunen, wo sie unbe-lästigt im eigenen Lebensstil zu überdauern hofften. Auf der anderen Seite bildete sich eine militante Gruppe heraus, die den Zugang zur Politik an der Seite der pazifisti-

sehen und linken amerikanischen ^außerparlamentarischen Opposition“ suchte.

Die Formulierung der Yippies („Young International Party“), die einem offiziellen „Begräbnis“ der früheren Hippie-Fraktion in San Franzisko durch eine andere Gruppe, die sogenannten „Feebies“, folgte, stellt eine Abkehr von der Frühzeit der Gesamtbewegung dar, wo man „Frieden durch Liebe“ forderte und „Liebe mit Blumen“ zu praktizieren versuchte (damals haben Blumenkinder verblüfften Polizisten Blumen mit der Versicherung übergeben: „Wir lieben euch!“), wie das Auftauchen der „Blaok-Power“-Ideolo-gie im Bezirk der farbigen Bürgerrechtsbewegung die passive Resistenz Martin Luther Kings in gewisser Beziehung ablöste. Jetzt spricht man hier wie bei der „Neuen Linken“ und nimmt geschlossen an Antikriegskundgebun-gen, zusammen mit dem SDS („Stu-dents for a Democratic Society“), teil, zum Beispiel am Marsch zum Pentagon 1968.

Hat man sich schon vorher geistig als Teil einer „Weltrevoluition“ der jungen Generation gegen bestehende Tabus, befohlene Einordnung in die kapitalistische Ordnung gefühlt, so hat man sich mit der Entscheidung für eine soziale Neuordnung und eine Welt ohne Krieg und Unterdrückung des Einzelmenschen aktiv eingegliedert in die Front der politischen Rebellen. Die quietistische Selbstbeschränkung auf individuelles Glücksverlangen wurde ausgeweitet auf die Kampfsituation für das Glück der anderen, die Freiheit der sozialen Umwelt. Und doch bleibt die Welt der Hippies auch innerhalb der politischen Standortbestimmung eine eigene Welt: Glaubensgemeinschaft, Lebensgemeinschaft sollen die Tatgemeinschaft durchleuchten, legitimieren.

Wohin führt der Weg der echten, der von seelischer und geistiger Unruhe wirklich Ergriffenen? Zur Bildung eigener religiöser Gemeinschaften? Zu einem Netz von „anarchistischen“ Kommunen allüberall im Land? Zu den militanten Demonstrationen der politischen „Anti“-Bewegungen? Wahrscheinlich zu allen drei Alternativen. Und die anderen werden heimkehren in die Welt der Eltern... Die Hippies werden ebensowenig wie ihre Freunde der „Neuen Linken“ die Sozialstruktur der Vereinigten Staaten von Grund auf ändern, werden keine neue Kirche bauen, das Rad der Geschichte im Zeitalter der Technik nicht zurückdrehen. Das Wort „Revolution“ wird Rhetorik bleiben...

Aber Anstöße wird die Bewegung der Jugendrebellion geben, die Umwelt zwingen, darüber nachzudenken, was falsch, antihuman und verlogen an ihren Werten ist Für die Hippies gilt das, was auch für J. F. Kennedys Vision der „New Frontiers“ gilt: Es kommt letztlich nicht darauf an, daß man „Erfolg“ gehabt hat, sondern daß man — wie es in allen Ländern der Welt unter den verschiedensten Namen eine junge Generation tut — Ausblick nach neuen Leitbildern hält. Sie alle tragen unsichtbar die gleichen Fahnen.

Ihr Symbol ist das Fragezeichen. Sie sind hipf sie wissen Bescheid, daß die Maße aller Dinge neu bestimmt werden müssen.

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