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Die „kleinen Magazine”

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Es gibt in den USA neben den weit über die Grenzen des Landes bekannten großen illustrierten Magazinen mit Millionenauflagen eine Zeitschriftenliteratur, die im allgemeinen nur Kennern bekannt ist, die sogenannten „Little Magazine s”, avantgardistische Publikationen, die sich mit kulturellen, politischen, psychologischen Dingen beschäftigen, zumeist aber mit neuer Dichtung, Literatur und Literaturkritik. .

Es gibt heute deren etwa 250, die teilweise seit mehr als 50 Jahren im ständigen Wechsel vom spurlosen Verschwinden und Neugründungen, die mannigfachen Wandlungen im intellektuellen Bild der „Eg!ghead”-Welt Amerikas widerspiegeln.

Die „Little Magazines” haben von Anfang an ihre Existenz aus der — in den meisten Fällen wahren — These abgeleitet, daß der junge, der unbekannte, der experimentierende, der rebellische Schriftsteller, Poet und Literaturtheoretiker keinen Raum im Literaturbetrieb der bereits Anerkannten und Akzeptierten findet.

Inzwischen haben sich die Dinge etwas geändert. Die Avantgarde von gestern wurde die nationale Prominenz von heute: Ernest Hemingway, Sinclair Lewis, F. Scott Fitzgerald, William Faulkner, Thomas Wolfe, die seinerzeit, entweder vom linken Seineufer in Paris oder in „innerer Emigration” im Lande selbst, die verschiedenen und widerspruchsvollen Einsichten der „Verlorenen Generation” nach dem ersten Weltkrieg der Zeit und ihren literarischen Vorfahren ins Gesicht gellten, beherrschen schon seit langem den literarischen Olymp. Selbst die nach dem zweiten Weltkrieg gelegentlich durch betont krasse Sprache Protestierenden: die Norman Mailer, James Jones, Tennessee Williams, Paul Bowies, Irwin Shaw usw., wurden fast reibungslos, nachdem das Publikum sie akzeptiert hatte, von Kritik und Verlagswesen bejaht. „New Directions”, der repräsentative , Verlag der Avant-,, garde, ist heute durchaus ein respektables Unternehmen. Die „Partisan Review”, einst Sprachrohr revoltierender Ungleichzeitigkeit, dürfte heute vor allem von Doktoranden und Universitätsprofessoren gelesen werden.

Ein Bestandteil der Literatur

Die „Kleinen Zeitschriften” sind indes aus der Literaturgeschichte des Landes nicht wegzudenken. Heute weltbekannte Namen, wie Sherwood Anderson, Ernest Hemingway, William Fatflkner, Erskine Caidwell, T. S. Eliot, sind zum ersten Male in ihren Spalten im Druck erschienen, lange bevor die großen Verlage und Wochenschriften sich für sie interessierten. Man hat festgestellt, daß ungefähr SO Prozent der heute beliebten, berühmten und anerkannten Dichter, Schriftsteller und Literaturkritiker seit 1912 von einem der im ganzen 600 „Little Magazines” entdeckt, einer — wenn auch zuerst recht begrenzten — Öffentlichkeit vorgestellt und indirekt durchgesetzt worden sind. Nur die restlichen 20 Prozent sind durch die kaufmännisch geführten Verlagshäuser bekanntgemacht worden.

Die „Little Magazines”, deren unscharfer Name andeutet, daß diese Zeitschriften lächerlich geringfügige Auflagen hatten, von ein paar hundert zu allerhöchstens ein paar tausend, vor allem aber meinte, daß man sich an eine kleine Anzahl von unkonventionellen künstlerischen Ausdrucksformen Aufgeschlossenen sich an die „wenigen” empfindenden Leser wandte, waren ihrer ganzen Art nach das vollendete Gegenteil gesunder Verlagsführung. Hier schufen — meist jüngere — Enthusiasten sich immer neue Plattformen, von denen aus entweder Probleme, die im anerkannten Zeitschriftenwesen als tabu galten, oder experimentierende, neuartige Stilarten dargestellt und diskutiert werden konnten; in den meisten Fällen kurzlebige Gründungen, nach einiger Zeit Druckschulden hinterlassend oder zu rechthaberischen Sezessionen und Gegengründungen führend.

Aber hinter dieser Don-Quichotte- Haltung (bei aller Verschiedenheit, die darin bestand, daß hier das Ich nach Selbstaussage verlangte, dort das W i r gemeinsamen Willens gesucht wurde) stand etwas von jener unbekümmerten, aus der Pioniertradition stammenden Frische und Unbedingtheit, die die Elite der jungen amerikanischen Intelligenz immer wieder zur Rebellion gegen den „Babbit” führte und die deshalb weit über den Mitarbeiter- und Leserkreis der Avantgarde hinaus ihren Einfluß auf die gleichzeitigen Hochschul- und Schriftstellergenerationen ausgeübt hat.

Ästhetik und Politik

Eines der wesentlichen Kennzeichen der „Little Magazines” — sosehr auch im einzelnen das gelegentlich zur einfachen Umkehrung in Antidogmen führte — war stets der Kampf für das Recht, „anderer Meinung sein zu dürfen”. Politische und soziale Fragestellungen haben dabei lange Zeit ebenso eine Rolle gespielt wie Psychoanalyse oder ästhetische Kategorien. Man wurde provoziert, sich an, nicht für zu entscheiden, die „ismen” wurden meist (nicht immer) nur als Hilfsmittel zur Selbstfindung genommen. Als sehr reale Fakten, wie Krieg, Klassenkampf, Nationalismus, Antifaschismus, Rassenfrage, später Antikommunismus, das nur noch als möglich erscheinen ließen, wenn man wirklich bereit war, die artistische Existenz als die einzig gewichtige anzusehen, ergaben sich Scheidungeqj, Aufspaltungen, echte und verspielte Hinwendungen zum Realistischen und zeitzugewandte Positionen bei denen, die den „Elfenbeinturm” verlassen wollten. In den Zeitschriften, die in den hier gemeinten Bereich für das letzte Halbjahrhundert gehören, hat sich in der Retorte der geistige Prozeß abgespielt, welcher der amerikanischen Literatur ihren heute in den Umrissen deutlich werdenden eigenen Stil ermöglichte. In der kritischen und selbstkritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition und europäischen Einflüssen hat sich, bei aller Konfusion, der Raum, in dem sich der heutige junge amerikanische Autor bewegt, mehr oder minder deutlich abstecken lassen.

, Er .liegt jenseits der.Jfwsttik und bereits hinter dem Nurrealismus. Wenn die „Little Magazines” nichts weiter geleistet hätten, als den Standort auszuloten, der in der Mitte zwischen dem liegt, was Cyril Conollys „Horizon” in London als Programm ausgab: „Unser Standard ist ästhetisch”, und dem, was Klaus Mann in der New-Yorker „Decision” verlangte: „Zu kämpfen für die Sache, an die man glaubt”, hätten sie ihre Funktion erfüllt. Es ist aber wohl kein Zufall, daß sowohl „Horizon” als „Decision” auf dem Wege blieben. Die Aufgabe konnte anscheinend nur beendet werden, indem man sich selbst überflüssig machte.

Daß heute die „Little Magazines” ein neues Gesicht zu bekommen scheinen, hängt nicht mit Substanzverlust zusammen. Der Hauptgrund ihres zeitweisen Niederganges lag erstens in der Tatsache, daß von vorurteilslosen Akademikern geleitete Universitätszeitschriften, wie die „Yale Review”, die „Antioch Review”, die „Kenyon Review”, die „Sewannee Review” und andere, ihnen die positiven Anregungen aus den Händen nahmen, sie unhysterischer, weniger inmaßend und, so gut es ging, an die Tradition organisch anschließend übernahmen und weiterentwickelten. Es lag zweitens vor allem daran, daß sie doch den zersetzenden Folgen der Politisierung nicht ganz entgehen konnten.

Die „rosarote” Zeit

Rebellisch, antireaktionär im Ästhetischen, sind die „Little Magazines” ihrer ganzen Einstellung nach stets auch politisch, nicht ganz mit Unrecht, als „links” betrachtet worden. Die russische Revolution und die Begeisterung, die sie unter vielen jungen Intellektuellen in der ganzen Welt auslöste, hat ihren Niederschlag auch in ihnen gefunden. Marxismus, politische Dichtung, engagierte Literatur wurden für Jahre leidenschaftlich in den „Little Magazines” diskutiert.

Es gab eine Zeit, in der mehr oder minder bewußter Prokommunismus in ihren Spalten selbstverständlich war. Die wirklichen Künstler und die, die persönliche Entscheidungen der Einsicht und nicht der Disziplin folgen lassen wollten, waren die ersten, die sich aus dem Halbtraum befreiten Freude hat die KP nie an „Greenwich Village” gehabt, dem New-Yorker Künstlerviertel, in dem zeitweise so ziemlich alle Leser und Mitarbeiter avantgardistischer Blätter wohnten. Die Avantgardisten blieben Individualisten. Die Liebesaffäre: Literarische Boheme und KP bestand fast nur aus Szenen. Als die Ernüchterung einsetzte, gab es vorübergehend trotzkistische und andere linke Sektierer, die sie statt dessen zu repräsentieren meinten.

Das alles ist vorbei. Ein Liberalismus in recht allgemein verstandenen Vorstellungen mit steigend wachsendem antikommunistischem Unterton verweist sie immer mehr in die Nachbarschaft der „links vom Zentrum” stehenden Blätter vom Typ des seriösen „Atlantic Monthly” und „Harpers Magazine”.

Dazu kommt noch etwas anderes: In zunehmendem Maße trat in den kleinen Blättern der besserwisserische „New Criticism” an die Stelle eigener, schöpferischer Selbstaussagen. Die „Little Magazines” enthielten immer weniger originale Gedichte, Kurzgeschichten und dramatische Entwürfe. An ihre Stelle traten kämpferische Auseinandersetzungen im Turnier der Literaturanalyse: Rilke und Eliot, Joyce und Kafka, Melville oder der Marquis de Sade wurden teils klug, teils weniger klug zum x-ten Male im Stil „Seminararbeit der Avantgarde” abgehandelt, soweit man nicht, Sidney Hook imitierend, sich immer wieder über die Krise des Schriftstellers im allgemeinen verbreitete.

Die Autoren aber, die heute wirklich das Ohr einer weiteren amerikanischen Öffentlichkeit aus dem Radius der Nach-Hemingway-Generation erreicht haben, die Truman Capote, die Arthur Miller, die John Hersey, die Gero Vidal, brauchen heute nicht mehr das Medium der „Little Magazines”.

Renaissancen

Die amerikanische Verlage übernahmen, was die Universitäten der „Avantgarde” nicht aJjnahmep,9iAvant- garde” verkaufte sich plötzlich, und merkwürdigerweise nicht nur die von gestern, auch die von heute und — sogar die von morgen!

Bekannte Verlage haben es übernommen, in neuen Formen dem „Kleinen Magazin” Massenverbreitung zu gewinnen, und zwar in Ausgaben, die sich, obwohl sie die Bezeichnung „Magazin” verwenden, den „Reprint”- Publikationen der 25-Cents-, 35- Cents-, 50-Cents-Taschenbücher angleichen. „The New American Library” stellt in Vierteljahresbänden, „New World Writing”, die Pocket Books, „Discovery”, die „Ballantine Books”, der „Harpers Magazine Reader” legen in Sonderzusammenstellungen Kurzgeschichten, Gedichte und Essays in einer Auswahl vor, die völlig Stil und Anspruch der „Little Magazines” zu haben scheinen, aber eben doch nur scheinen.

Seit einiger Zeit aber treten neben die Universitätszeitschriften auf der einen die kommerzialisierten Avantgardeanthologien auf der anderen Seite, „Little Magazines” neuen Typs auf, für die die New-Yorker „Evergreen Review” der Prototyp ist.

In gewisser Hinsicht die Tendenz von „Origin” und deutlich die der „Black Montain Review” fortführend — beide haben seinerzeit eingestellt werden müssen —, kommt in ihr und einer Reihe verwandter Zeitschriften, wie „Big Table” und „Yugen”, vor allem der Einfluß der sogenannten „Beat Generation” zum Ausdruck, die neue Wege dichterischer Ausdrucksformen sucht. Sie tritt der akademi- sierenden „Terrorherrschaft” der „New Critics” entgegen, wie der bekannte Literaturkritiker Schapiro einmal die diktatorische Funktion der von dieser Gruppe ausgeübten Kontrolle des literarischen Schaffens genannt hat, die bislang an den Universitäten und ihren Zeitschriften ausgeübt wurde.

Es hat den Anschein, als ob von diesen Blättern her so etwas wie eine Renaissance der „Little Magazines” als autonomer Stätten nonkonformistischer amerikanischer Literatur ausgeht. Und wieder gelangen bereits über sie die ersten Neutöner in die kommerziellen Anthologien und — zögernd — in die Universitätsblätter und die „ernsthaften” Verlage. So wiederholt sich der Kreislauf, von dem wir ausgingen.

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