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Grne Freude, Blaue Gtter

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Die junge Generation hat sich immer ihre eigene Lebensform gewählt. Zuerst waren es die Halbstarken, die „Rockers“, mit Lederwesten und Motorrädern. Dann erregten die Gammler durch lange Haare und schlechten Geruch intensives Mißfallen bei der Umwelt. Und jetzt sind es die Hippies, welche mit Liebe (freier Liebe immer und überall), Anti-Vietnam-Parolen und Verbrüderungstendenzen Furore machen.

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Die junge Generation hat sich immer ihre eigene Lebensform gewählt. Zuerst waren es die Halbstarken, die „Rockers“, mit Lederwesten und Motorrädern. Dann erregten die Gammler durch lange Haare und schlechten Geruch intensives Mißfallen bei der Umwelt. Und jetzt sind es die Hippies, welche mit Liebe (freier Liebe immer und überall), Anti-Vietnam-Parolen und Verbrüderungstendenzen Furore machen.

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Das Schlagwort dieser Blumenkinder heißt „psychodelisch“! Es gibt psychodelische Musik, psychodelische Farben, psychodelische Filme — und psychodelische Kunst. Nachtlokale versprechen den „psychodelic dream“, Boutiquen dekorieren im „psychodelischen Stil“, und Bistros verkaufen sich mit dem „psychodelic effekt“. Der Hippie sieht die Welt psychodelisch. Fragt man ihn, was dieser Ausdruck nun so eigentlich bedeute, wird er meist keine Antwort wissen. Es sei auf jeden Fall „irre“, gehe „unter die Haut“ und verspreche höchste Ekstasen. Das Mittel, welches ihm dazu verhilft, ist die Droge. Näher ausgedrückt: Hal-luzinogene (welche sich von den sogenannten Sedativa unter anderem dadurch unterscheiden, daß sie nicht suchterzeugend sind, sondern lediglich zur Gewöhnung führen). Als deren gebräuchlichste werden im Augenblick Haschisch, LSD, Meska-lin und Psylocibin genannt

Der Ausdruck „Halluzinogen“ ist bis heute umstritten. Viele — darunter LSD-König Timothy Leary, dessen skandalumwitterter Abgang von der Havard-Universität zur Genüge von der Sensationspresse breitgetreten wurde — möchten ihn durch „bewußtseinserweiternde Drogen“ ersetzt wissen. Weil sie „das Wahrnehmen der Umwelt und körperlicher Vorgänge steigern“. Auch was die Verträglichkeit von Hallu-zinogenen betrifft, gehen die Meinungen auseinander. Daß sie im allgemeinen nicht suchterzeugend sind, ist inzwischen medizinisch erwiesen. (So gab im Herbst dieses Jahres, als zwei Studenten wegen Haschischhandel und -genuß vor dem Münchner Landesgericht standen, Professor Dr. Dietrich von der Nerven-klinik der Universität München ein medizinisches Gutachten ab, in dem Alkohol im Vergleich zu Haschisch als gefährlicher bezeichnet wurde.)

Weniger sicher ist man in der Beurteilung, ob der Genuß von Hal-luzinogenen nicht allmählich zu stärkeren Mitteln — beispielsweise zu Opiaten — und damit zur Sucht führt. Uberhaupt scheinen sich die Grenzen zwischen Sucht und Gewöhnung oft zu verwischen. Und jenen, die für freien Haschischgenuß plädieren, antworten die Hüter des Gesetzes folgerichtig: Wir haben mit Betrunkenen genug zu tun — sollen wir durch eine Legalisierung des Haschischgenusses das Übel vermehren?

Immerhin (und das geben auch die Hüter des Gesetzes zu) sind Verbrechen im Raüschgiftzustand selten. Kam es einmal dazu (oder zu versuchtem oder geglücktem Selbstmord), wurden solche Fälle von der Sensationspresse derartig hochgespielt, daß ein völlig unrichtiger Eindruck entstehen mußte. Trotzdem wurde das Drogenschlucken zu einem Faktor, der unsere Gesellschaft entscheidend mitverändert hat.

Der Literat Oswald Wiener, dessen Roman „Die Verbesserung Mitteleuropas“ demnächst bei Rowohlt erscheint, führt die zunehmende Ver-männlichung der Frauen und Ver-weiblichung der Männer auf den zunehmenden Drogengenuß zurück. „Der Unterschied zwischen den Ge-echlechtern schleift sich ab.“ Der Genuß von Drogen schwächt entgegen der landläufigen Ansicht die sexuelle Potenz. Auch die Tatsache, daß wir — trotz Supersexgeschrei und nackter Mädchen auf der Leinwand und im Magazin — einem ausgesprochen impotenten Zeitalter angehören, läßt sich darauf zurückführen. Denn wesentlich ist im Rauschzustand das geistige Abenteuer, die innere Schau. Der Jugendliche zieht sich in sich selbst zurück — in die geistige und körperliche Isolation. Er sucht in den seltensten Fällen das Du. Trotzdem aber möchte er bei diesen „Reisen“ (wie der LSD-Rausch im Hippie-Jargon heißt) nicht alleine sein. Es ist das Individuum, das er sucht — begleitet von einem eher undefinierbaren Außen, mit dem kein wirklicher Kontakt angestrebt wird. Begonnen hat die Pillensucht im allgemeinen und der Halluzinogene-konsum im besonderen, wie so vieles andere auch, in Amerika. Nach Angabe der bundesdeutschen „Neuen Illustrierten“ schluckt jeder zehnte Amerikaner Drogen. Und jeder zweite amerikanische Autofahrer, dem im Jahre 1967 der Führerschein entzogen wurde, war rauschgiftsüchtig. Die US-Polizei vermutet, daß 15 bis 50 Prozent aller amerikanischer Teenager regelmäßig Marihuana nehmen. Zwölf- bis Fünfzehnjährige veranstalten sogenannte Rauch- und Schlutekparties, in denen die Mittel aus Mutters Apotheker-schränkchen auf ihre Bekömmlichkeit geprüft werden, und vor den New Yorker Schulen stehen die „pusher“. In Long Binh, 32 Kilometer nordöstlich von Saigon, ergab eine vorgenommene Erhebung, daß 83 Prozent der amerikanischen Soldaten des Lagers Marihuanazigaretten rauchten. Und in „Hashbury“, dem Hippie-Paradies von San Fran-zisko, wurde bereits eine Rauschgiftklinik eröffnet.

Was in den USA begann, greift Ende der fünfziger Jahre nach Deutschland über. „Grüne Freude“ (Haschisch) erobert die Gammlerkneipen und „Blaue Götter“ (LSD) werden von InteUekttlellen konsumiert. Die Zahl der Rauschgiftdelikte steigt sprunghaft an. (Von 820 im Jahre 1963 auf 1349 im vergangenen Jahr.) In Österreich scheint sich dieser Drogenkonsum in Grenzen zu halten. Hier ist es nicht so sehr die breite Masse, sondern eher eine dünne Schicht von Intellektuellen, die sich an euphorisierenden Mitteln versucht. Darunter vor allem Künstler und Studenten.

Das „psychodelische Abenteuer“ hat in diesen Kreisen eine besondere Bedeutung gewonnen. Nachdem die Welt bis in das letzte Zipfelchen ihrer arktischen und tropischen Breiten erforscht ist, und eine Reise ins All für den gewöhnlichen Sterblichen vorläufig noch Utopie bleibt, werden die „Reisen ins Unterbewußte“ zum neuen großen Abenteuer. Es wird untermauert von einer neuen Art der Philosophie, die viel aus dem Asiatischen und dabei vor allem Indischen übernommen hat. Der „LSD-Jargon“ kennt Ausdrücke wie „Karma“, „Mathra“, „Maya“ und „Guru“ (so wird der Führer genannt, welcher auf einer „LSD-Reise“ grundlegende intellektuelle Fragen beantwortet).

Die meisten betrachten Halluzino-gene nicht als eigentlichen Endzweck, sondern nur als Mittel zum Ziel. Die gesteigerte Intensität von Wahrnehmungen, wie sie die Droge ermöglicht, soll später, im Normalzustand, durch einen reinen Willensakt zurückgerufen werden. Viele wollen die Droge nur ausprobieren, um sich darüber ein eigenes Urteil zu bilden. Die Erwartungen, welche die Wissenschaft nach Entdeckung von LSD im Jahre 1943 in dessen Wirksamkeit zur Bekämpfung von Geisteskrankheiten gesetzt hat, sind allerdings nicht ganz erfüllt worden. Trotzdem werden derartige Versuche weitergeführt.

Auf Drogen verstehen sich fast alle Vertreter der „Wiener Schule“. Bei den Interviews stellte sich allerdings heraus, daß die Wirkung zu Beginn meist überschätzt wurde. So zeigten Versuche, welche die Galerie Hartmann in München diesen Sommer an mehreren Malern (darunter etlichen Österreichern) durchführte, daß in den meisten Fällen diejenigen Bilder, welche unter LSD-Einfluß gemalt wurden, einen deutlichen Leistungsabfall erkennen ließen. Einige wenige allerdings verblüfften durch seltsam gelöste, gleichsam phosphoreszierende Strukturen, wie sie von den Künstlern im Normalzustand nicht erreicht wurden.

Ernst Fuchs ging im Laufe seiner künstlerischen Entwicklung durch das Drogenstadium. 5„Es hat mich fasziniert. Ich versprach mir viel davon. Bin aber jetzt davon abgekommen. Es hat seine Gefahren.“ Auch Ernst Brauer nahm LSD. Und empfand dieses Erlebnis durchaus als Bereicherung. Verspürt aber trotzdem kein Bedürfnis, es zu erneuern. Ihm genügt die einfache Rekonstruktion. Denn es kämen „keine neuen Kräfte hinzu“. Im Rauschzustand habe man lediglich eine „Zusammenfassung maximaler Empfindungen, die man schon einmal in seinem Leben hatte“. Das Verbot von Hal-luzinogenen allerdings empfindet er als „freche Beschränkung der individuellen Freiheit“, da ihr Genuß keinen Kontrollverlust bedeute und sie außerdem nicht süchtig machten. Als „recht lustig“ empfindet der Graphiker und Büdhauer Alfred Hrdlicka das LSD-Erlebnis. „Man glaubt, alles ist aus Kunststoff — und alles riecht irgendwie nach Waschpulver.“ Er würde LSD ebenso wie Haschisch gerne öfter nehmen und kann es jedem „wärmstens empfehlen“. Als Künstler allerdings fühlt er sich nicht bereichert. „Man wird durch Drogen nicht besser.“ Auch von der Verwendung von LSD zur Heilung von Psychosen hält er wenig.

Ausdauernd und intensiv beschäftigt sich Arnulf Rainer mit Drogen jeder Art. Wenn er psychodelische Kunst schafft, bedeutet dies für ihn weniger Abenteuer und Experiment als vielmehr ernste Arbeit, die dazu dient, „die eigene Persönlichkeit zu entfalten“. Rainer spricht von einem LSD- und Psylocibin-Stil, meint jedoch, Meskalinvisionen seien für den Maler am fruchtbarsten. „Im Rauschzustand kommen mir vor allem Ideen, die erst später ausgearbeitet werden. Die Droge ermöglicht eine größere Sensibilität, größere Gedankensprünge. Die Götter besuchen einen vor allem im Rausch...“

Auch Oswald Wiener ist im Drogenkult äußerst bewandert. Vor allem interessiert ihn der „Sprachzerfall“ im Rausch, um über diesen zur Funktion der Sprache zurückzufinden. Also dichtet er nach kräftigem Haschischgenuß: „...ich, der Säugling, mich schießen diese schweine auf den mond zum Jahrestag des pilologenkongresses, äugen vorhanden, blitzblank und bestens im schuß ... nur sehen... ich seh halt nichts, ich höre... und verstehe kein wort...“ Und bei zunehmend „erweitertem Bewußtsein“:

helk is in d er wohnung

f rühlin komm un mach

dases reg.net.to.

vater rr der allte vAter

allmacht das ... komm undtmachmich

warmerlam. (Beide Stellen entnommen dem Roman „Die Verbesserung Mitteleuropas“ von Oswald Wiener bei ro ro ro.) Von Erich Fried allerdings wird berichtet, daß er im Drogenrausch Heurigenlieder zu dichten beginnt.

Eines ist zu beachten: Daß man diesem ganzen Drogenkult eine Wichtigkeit beimißt, welche er seiner eigentlichen Natur nach gar nicht besitzt. Die Droge gibt nichts hinzu — darin waren sich fast sämtliche Befragte einig. Sie vermag lediglich zu intensivieren. Sofern sie nicht zur Abhängigkeit führt, ist sie interessant und amüsant. Es ist jene Faszination, die schon Baudelaire in seinen künstlichen Paradiesen beschrieb. Aber bereits er wußte, daß diese ganze Sache einen großen Haken hat, nämlich, daß diese giftige und künstliche Welt keine tatsächlichen Werte vermittelt. Es wäre fruchtbringender für jeden einzelnen, würde er sich jene gepriesene Intensität von Wahrnehmung und Empfindung durch geistige Disziplin und entsprechende Schulung aneignen. Aber das ist nun den meisten zu unbequem. Mit Chemie geht es einfacher...

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