Von Mäusen & Wissenschaftern

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Der Umgang mit Labortieren will gelernt sein - könnte man meinen. Tatsächlich gibt es eine professionelle Ausbildung in Österreich erst seit kurzem. Ein Lokalaugenschein von Thomas Mündle.

Montagmorgen, neun Uhr früh. Vierundzwanzig Lernbegierige haben in einem grauen, klinisch-reinen Laborsaal an der Veterinärmedizinischen Universität Platz gefunden. "Das Programm in dieser Woche ist dicht", stellt Kursleiterin Dr. Vera Marashi gleich einleitend fest und schaltet den Beamer ein. Die erste Powerpoint-Folie erscheint auf der Leinwand: Moral und Ethik im Zusammenhang mit Tierversuchen.

Die Teilnehmer blicken gespannt und freuen sich offensichtlich hier zu sein. Schließlich war auch der zweite Labortierkundekurs hoffnungslos überbucht. Denn der Kurs über Theorie und Praxis von Tierversuchen ist so einzigartig in Österreich. Das Publikum ist entsprechend bunt gemischt und kommt von der Universität wie aus der Industrie. Die 22-jährige medizinisch-technische Assistentin im Kapuzensweater sitzt hier neben dem 50-jährigen, Anzug tragenden Pharmakologie-Professor an der Laborbank. Die Zahl der Jüngeren überwiegt leicht. Männer und Frauen halten sich in etwa die Waage.

"Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich auf einer Cocktail-Party und man fragt Sie, was Sie so in Ihrer Arbeit tun", beginnt Marashi die Ethik-Einheit. Zunächst einmal herrscht Schweigen. Vielleicht ist es noch zu früh. Vielleicht ist die Antwort doch ein wenig unpassend für einen Smalltalk. Schön Sie kennen zu lernen. Ich mache Tierversuche. Und Sie? Schließlich bricht doch ein Teilnehmer das Schweigen. Man müsse eben differenzieren - zwischen sinnvollen und sinnlosen Tierversuchen. Die meisten Menschen würden verstehen, dass Tierversuche für die Entwicklung von Medikamenten notwendig seien. Für Kosmetikprodukte hingegen nicht. Marashi entgegnet: "Für kosmetische Zwecke dürfen Sie heute gar keine Tierversuche mehr machen." Eine andere Teilnehmerin meint, der Begriff Tierversuch sei an sich irreführend. "Es redet ja auch niemand von Menschenversuchen. Wir sollten eher von Tierstudien sprechen."

Der Schnellkursus in Ethik geht weiter. Mit verschiedenen Positionen. Marashi erzählt von Descartes und Spinoza. Hinten quietschen die Mäuse vergnügt in ihren Käfigen. Genauer gesagt sind es A2-Blatt große, durchsichtige Plexiglasboxen. Mit je vier Weibchen. ("Männchen fügen sich zum Teil gegenseitig Bisswunden zu. Auch stinken sie mehr.") Dazu ein kleines Häuschen, Papier zum Nestbau und Spielen sowie ein Holzstöckchen zum Nagen. Enrichment heißt das im Fachjargon. Die bereicherte Umgebung sorgt für Kurzweil - und soll zu besseren Studienergebnissen führen.

Kant & Co.

Wir sind bei Immanuel Kant angelangt. Nach ihm haben Tiere keinen besonderen moralischen Status. Aber: Der Missbrauch von Tieren führt zur Verrohung des Menschen. Resümee: Ein veralteter Ansatz. So steht es auf der Powerpoint-Folie. Und weiter geht's mit dem Utilitarismus: Jeremy Bentham und in weiterer Folge Peter Singer. Umstritten, lautet hier das Urteil. Aus dem Mund einer Biologin klingt das, als ob die These noch nicht verifiziert werden konnte. Und am Ende wartet der breite Konsens in Form einer pragmatischen Haltung: Demnach gibt es eine Ehrfurcht vor allem Lebendigen plus einen Spielraum mit Grenzen für die Nutzung von Tieren nach einer intensiven Güterabwägung. Entspricht der allgemein akzeptierten Interpretation christlicher Ethik, heißt es da an der Wand.

Umfragen zufolge denkt die Mehrheit der Österreicher ähnlich: "75% sind gegen eine Abschaffung von Tierversuchen", erläutert Marashi. Ist das nun viel oder wenig? Gleichzeitig sei eine große Mehrheit für eine strengere Gesetzgebung. Diese Ja-aber-Haltung findet sich auch im Tierversuchsgesetz wieder, die dem 3R-Prinzip folgt: Replace (Ersetzen), Reduce (Verringern), Refine (Verbessern).

Ersetzen lassen sich Tierversuche heute etwa durch Experimente an Zell-und Gewebekulturen oder durch Simulationen am Computer. "Und wie kann man den Tierverbrauch reduzieren?", fragt Marashi ins Publikum. Etwa durch gute statistische Planung kommt prompt eine richtige Antwort. Und was das Verbessern betrifft: "Da geht es um Fragen wie: Was für eine Nadel verwende ich? Wie steche ich? Wo nehme ich Blut?"

Antworten dazu sollten die praktischen Übungen am Nachmittag bringen. Doch zunächst gibt's Mittagessen in der Kantine. Ein Teilnehmer äußert sich im kleinen Kreis skeptisch, was die Verbalakrobatik um die Unerlässlichkeit von Tierversuchen betrifft. "Ich glaube nicht an das Gerede vom Fortschritt. Die Wissenschafter wollen doch vor allem eines: Karriere machen." Warum er dann überhaupt hier sei? Der junge Pharmakologe erklärt, dass er seit kurzem an bildgebenden Verfahren forsche, die nicht-invasive Eingriffe am Tier erlauben. Eigentlich eine Alternative zum Tierversuch. Nur: Am Ende der Studien werden die Tiere geopfert - das heißt: getötet. Am Nachmittag wird eine andere Teilnehmerin fragen, ob man denn Versuchstiere adoptieren könne. Ja, und in Amerika werde diese Praxis bei Katzen und Hunden auch vorangetrieben. Vielleicht ein Ausweg für den zweifelnden Nachwuchsforscher?

Zurück im Labor. Mit der einen Hand hält der junge Doktor die kleine, weiße Maus und dreht sie auf den Rücken. Die Bauchdecke der Maus geht unruhig auf und ab. Ähnlich nervös bewegt sich die andere Hand, eine Spritze haltend. Als die Nadelspitze das Fell touchiert, wird das Zittern sichtbar. "Ich kann das Tier nicht pieksen. Es hat Schmerzen." Als kurz zuvor Dr. Thomas Kolbe das Injizieren vorführte, hat es noch viel leichter ausgeschaut. Beim richtigen Fixationsgriff (und mehrere sollten heute Nachmittag noch im Detail gelernt werden) schien die Maus vollkommen ruhig. Und das Spritzen selbst geschah einfach. Während gleichzeitig über das richtige Halten und Nadelsetzen gesprochen wurde. Irgendwann legte Kolbe dann die Spritze weg. Alles ziemlich unspektakulär.

Spitze Spritzen

Die Teilnehmer schlagen sich unterschiedlich. Die einen haben jahrelange Erfahrung und tun sich leicht. Für die anderen ist es das erste Mal. Und einige sind dennoch souverän. "Wenn man es richtig lernt, hat man auch keine Angst", erklärt ein Doktorand aus Graz. Aus einer Ecke tönt es: "Ah, meine fängt an zu pinkeln!" Die drei Betreuer haben auf einmal alle Hände voll zu tun. "Fest hinter den Ohren packen, aber mit Gefühl." Der erste wird gebissen. "Passt auf die Finger auf." Ein Trinkwasserbehälter geht zu Boden. Frisches Trinkwasser wird gebracht - mit Mexalen. "Mexalen ist ein leichtes Schmerzmittel - falls ihr die Mäuse einmal unsanft stecht, tut ihnen das weniger weh." Eine andere Teilnehmerin versucht, die Maus von einem großen Futterbällchen zu trennen, das diese sich als Belohnung für den Spritzen-Stress gekrallt hat. Vergeblich. Die Maus nimmt es mit in den Käfig. "Nur die dünnen Spritzen für die Mäuse nehmen. Die dicken sind lediglich da, um die Kochsalz-Lösung aus den Fläschchen aufzuziehen." Doch je mehr Spritzen gesetzt werden, umso unaufgeregter wird die Sache.

Am Ende will Marashi wissen, was den Experimentatoren am besten gefallen hat. Eine Antwort kommt im Nu: "Nicht das in den Bauch spritzen." Warum nicht? "Der Maus taugt das nicht so." Und ein anderer meint: "Ich weiß jetzt, dass wir größere Mengen Blut nicht mehr durch einen Schnitt in den Schwanz gewinnen sollten, weil es sanftere Wege gibt." Nach soviel Philosophie-Geschichte, Tierversuchsgesetzgebung sowie Applikations-und Blutentnahmetechniken stellt sich eigentlich nur noch die Frage, für wen der erste Tag nun härter war: den Kursteilnehmer oder seine Maus?

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