Schlachthöfe: Hinschauen, woʼs wehtut
Viele Menschen haben kein Problem mit dem Verzehr eines Tieres – wohl aber mit seinem Tod. Eine Paradoxie, die über das Konsumverhalten noch befeuert wird. Über das kollektive Verdrängen.
Viele Menschen haben kein Problem mit dem Verzehr eines Tieres – wohl aber mit seinem Tod. Eine Paradoxie, die über das Konsumverhalten noch befeuert wird. Über das kollektive Verdrängen.
„Gack, gack; mäh; hü“. So nennt der dreijährige Jonas den Weg, auf dem seine Mama Tina fast jeden Tag mit ihm spazieren geht. Zuerst kommen sie an einem Gehege vorbei, innerhalb dessen Hühner frei herumlaufen. Dann an einer Schafweide. Zuletzt erreichen sie einen Pferdehof. Jonas faszinieren die Tiere. Er beobachtet sie, imitiert ihre Laute. Er mag auch Bücher, in denen es um „Gackgacks“ und Co geht.
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Einmal wird Jonas von seinem Opa auf der Tier-Tour begleitet. Als sie zur Hühner-Station kommen, ist kein einziges Federvieh zu sehen. Der Kleine schaut seinen Opa fragend an. Der wiederum zieht seine Hand am Hals entlang und sagt: „Ratsch. Denen wurde die Kehle durchgeschnitten.“ Zu Hause erzählt Jonas die Neuigkeit seiner Mutter. Die ist entsetzt und wirft ihrem Vater vor, nicht empathisch genug mit dem Thema umzugehen. Der schüttelt den Kopf und konfrontiert seine Tochter mit ihrer Vorliebe für „Chicken-Nuggets“. „Und die wachsen nicht auf Bäumen.“ Tina wird verlegen. Sie liebt Tiere und isst gerne Fleisch. Dass die einen sterben müssen, um das andere zu werden, verdrängt sie. Auch drückt sie sich davor, über diesen Zusammenhang mit ihrem Sohn zu sprechen. „Ich will ihm nicht sagen, dass die Mähs und Muhs getötet werden, damit wir uns den Bauch vollschlagen können. Das fällt mir echt schwer.“
Die 39-Jährige ist kein Einzelfall. Sehr viele Menschen haben kein Problem mit dem Verzehr eines Tieres – wohl aber mit seinem Tod. Bilder oder Aufnahmen von der Schlachtung eines Schweins, eines Kalbs, eines Kaninchens empfinden sie als Zumutung. Das testete etwa ein dänischer Journalist, der coram publico ein Kaninchen erschlug, um es anschließend zu verspeisen. Ein regelrechter Shitstorm brach über ihn herein. Dabei ging er bei dem Akt weder mit ungewöhnlicher Brutalität vor, noch hätte man dem Mann eine strafrechtlich belangbare Tierquälerei vorhalten können. Er demonstrierte lediglich den Vorgang, der allein in Öster reich jährlich millionenfach stattfindet. Das Töten von Tieren wird nicht nur von der Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher gebilligt – sie fordert es durch ihr Konsumverhalten sogar ein. Vor der Konfrontation mit einem betäubten Vierbeiner, der entblutet und dann verarbeitet wird, drücken sich dagegen die allermeisten.
Diskrepanz zwischen Land und Stadt
Der Landwirt und Schlachter Josef Rupp kennt dieses Phänomen: „Vor allem die Leute aus der Stadt wollen es oft gar nicht wissen, was nötig ist, bevor ihr Steak auf dem Teller landet.“ Die Produkte lägen oft fertig beim Fleischhauer oder eingeschweißt im Supermarkt. Durch die Industrialisierung der Fleischproduktion spielte das Schlachten für die meisten Menschen keine Rolle mehr. Seiner Meinung nach müssten auch Heranwachsende schon viel früher mit der Tatsache konfrontiert werden, dass für die Extrawurstsemmel oder eine Frankfurter Tiere ihr Leben lassen.
Es wird hingenommen, dass ein Schweinehalsgrat günstiger ist als eine Dose Katzenfleisch.
Stattdessen würde die Verbindung TierTöten-Fleisch in der Wahrnehmung der Gesamtgesellschaft zunehmend unterbrochen. Dass man die Heranwachsenden so lange wie möglich von dieser Thematik fernzuhalten versucht, hält er für keine gute Idee. Er selbst war sechs Jahre alt gewesen, als er zum ersten Mal beim Schlachten eines Schweins zugeschaut hatte. Im elterlichen Betrieb. Etwa zehn Jahre später legte er selbst Hand an. Mitleid hätte er nicht gehabt, sagt er. „Auf dem Land hat man da einen anderen Zugang. Wir lernen von früh auf: Wer Fleisch essen will, muss damit leben, dass ein Tier geschlachtet wird.“ Schlachten gehört seither zu seinem täglich Brot. Im wahrsten Sinne des Wortes. Gemeinsam mit seiner Frau Maria betreibt er neben seiner Landwirtschaft im niederösterreichischen Grafenberg eine Hofschlachterei.
Auf seine Profession reagieren die Menschen unterschiedlich. Neben denen, die nicht so genau hinschauen wollen, begreifen die meisten seiner Kunden sein Gewerbe schlichtweg als Mittel zum Zweck. Aber Rupp kennt auch andere Stimmen. Etwa jene von radikalen Tierschützern. Es sind die, die Schlachtern vorwerfen, Tiere ohne Not zu töten und keine Rücksicht auf leidensfähige Wesen zu nehmen. Rupp selbst hat zu diesen Schuldzuweisungen eine klare Haltung: „Die Schlachtung selbst dauert einen Bruchteil von wenigen Sekunden. Wer über das Tierwohl sprechen will, der muss die Phase zwischen Geburt und dem Zeitpunkt ihres Todes betrachten. Nutztierhaltung muss nicht automatisch mit Leid einhergehen.“ Auch ist er überzeugt: „Je größer die Betriebe sind, umso mehr Tiere gehalten werden, desto mehr ist das Tierwohl in Gefahr.“ Das fänge beim Futter an, ginge weiter bei der Reinhaltung des Stalls und der Luftqualität darin und hörte bei der Behandlung auf, die ein Tier erfährt, bevor es zur Schlachtbank geführt wird. Eine Erfahrung, die auch Alex Schuhbauer, Metzgermeister aus Bayern, immer wieder macht. Er arbeitet als Schlachter in einem nachhaltigen Bio-Betrieb und weiß, wie ausschlaggebend die Beziehung zwischen Tierhalter und seinem Tier für einen reibungslosen und stressfreien Schlachtungsvorgang ist.
„Manche Schweine laufen dem Bauern regelrecht in die Schlachtbox hinterher, weil ein Vertrauensverhältnis da ist. Je gewöhnter ein Vieh den Menschen ist und je mehr es gute Erfahrungen mit ihm gemacht hat, desto entspannter geht es seinem Ende entgegen“, sagt der Metzger. Die Praxis, Schweine, Kühe oder Schafe mit roher Gewalt von A nach B zu treiben – so wie es in vielen Massenbetrieben der Fall ist –, lehnt Schuhbauer dagegen aus Prinzip ab. „Dort gilt das Credo ,Zeit ist Geld‘. Es geht darum, eine möglichst hohe Stückzahl abzufertigen. Der Druck wird von oben nach unten weitergegeben. Der Leidtragende bei diesen Methoden ist das Vieh.“ Auch Josef Rupp hat schon oft gesehen, wie viel Schindluder in der Branche getrieben wird. In seinen Anfangsjahren als Viehzüchter hatte er nicht nur einmal mitbekommen, welchen Unterschied es macht, wie ein Tier vor dem Schlachthof aus dem Transporter geladen wird und auf welche Art und Weise es zum Kühlraum begleitet wird. „Die Übernahme der Tiere ist einer der Knackpunkte. Manche wollen in fünf Minuten 200 Schweine abladen. Dass dann Nervosität und Hektik entsteht, ist logisch.“
Die heutige Jugend reagiert kritischer
Schuhbauer wie Rupp plädieren dafür, mit Nutztieren anständig umzugehen. Etwa bei Schweinen. Die bräuchten Zuneigung, Stroh statt Spaltenböden und ein würdiges Dasein. Kann eine Einstellung wie diese in der Fleischindustrie Schule machen? Alexander Schuhbauer: „Ich würde weniger die Produzenten denn die Konsumenten in die Pflicht nehmen. Solange es hingenommen wird, dass ein Schweinehalsgrat günstiger ist als eine Dose Hunde- oder Katzenfleisch, so lange gibt es kein Umdenken. Ich fürchte, es ist vielen immer noch egal, wie es den Tieren geht, Hauptsache, die Lebensmittel sind billig.“
Dennoch gibt er sich optimistisch. So hätte der Vater zweier junger Erwachsener den Eindruck, dass nachfolgende Generationen ohne hin mit dem Thema Fleischkonsum kritischer und reflektierter umgehen, als das früher der Fall war. Auch Debatten in sozialen Netzwerken spielten dabei eine Rolle. „Der richtige Weg wäre, dass ein jeder nicht öfter als zweimal in der Woche ein Stück Fleisch isst. Das muss dann natürlich qualitativ hochwertig sein – und darf auch etwas kosten“, sagt Schuhbauer. Jonasʼ „Gack, gack; mäh; hü“-Weg ist mittlerweile wieder vollständig. Hinter dem Zaun im Hühnerbereich tummelt sich ein Dutzend Küken. In der Zwischenzeit hat Tina versucht, Jonas auf kindgerechte Art zu vermitteln, wie das Fleisch auf den Teller kommt. Sie hatte versucht, ihn nicht zu überfordern, war aber auch sehr ehrlich. Das hatte zur Folge, dass sie sich selbst mit den Themen Tierwohl und Schlachten ausführlicher auseinandersetzen musste. Heute sagt sie: „Das würde ich jedem, der Fleisch isst, empfehlen. Ich gehe seither viel bewusster mit Lebensmitteln um.“
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