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VIP im Vogelkäfig

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„Jeder Mensch hat einen Vogel”, lautet eine uralte Volksweisheit, die den heutigen Lebensumständen entsprechend allerdings etwas genauer zu umreißen wäre, nämlich damit, daß jeder Mensch mindestens einen Vogel hat. Eine ganze Reihe von Leuten verfügt indessen über mehrere Vögel. Es gibt zoologische, gerontologische, ideologische, politische, egozentrische, künstlerische, ja und eben auch standesgemäße Vögel. Die letztgenannte Sorte ist, nebst den zoologischen, am leichtesten zu lokalisieren. Beide beweisen ihre Existenz durch Lautäußerungen, während alle anderen nur mehr etwas vage in der Luft schweben.

Und zwar treffen wir im praktischen Alltag immer häufiger das folgende Bild an: Seit geraumer Zeit sehen wir die Spitzenkräfte des Managements durch die Betriebe eilen, mit diesem und jenem ein kurzes Wort wechselnd, hier und dort Auskunft und Anweisung erteilend - und plötzlich: die Umstehenden zucken erschreckt zusammen -erschallt aus der Jackettasche des Kadermannes ein elektrisierender Piepston, der solange nicht verstummt, bis der von der Unerbittlichkeit einzuhaltender Termine gehetzte Verantwor-tungs- und Tonträger mit wehenden Rockschössen erteilt, um sich irren Blickes an die Strippe des nächsten Telefons zu hängen.

Es wäre jedoch nicht nur falsch, sondern höchst respektlos, zu vermuten, daß es bei solchen Leuten ganz einfach piepst. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um innerbetriebliche VlP-Perso-nen, die das Schicksal gezeichnet hat, indem sie das akustische Kainsmal ihres beruflichen Aufstieges mit sich im Sack herumtragen müssen, wohin für gewöhnlich die geballte Faust gehört.

Diese alles andere als vogelfreien Stützen des Betriebes erleben fortan keine ruhige Minute mehr. Sie sind kaum noch Herren ihrer selbst, sondern die gehetzten Sklaven jenes Organisationsablaufes, dem sie sich mit Haut und Haaren verschrieben haben. Und die elektroakustische Telefonsuchanlage ist dabei so etwas wie die goldene Fessel, die sie, je nach Umsatz und Geschäftslage, ständig an kurzer Leine hält.

Ihr ehrgeiziges Bestreben, auf der hierarchischen Sprossenleiter nach oben kommen zu wollen, hat um sie herum einen mörderischen Mechanismus in Gang gesetzt, der ihnen kaum noch den Luxus erlaubt, irgendwo stehenzubleiben, um ein paar belanglose Worte zu wechseln. Jedesmal, wenn sie nur den geringsten Versuch wagen, der Hektik ein wenig zu entfliehen, dringt schon bald der mahnende Summton aus ihrer Kleidung, um sie unerbittlich zur Pflicht und zur Ordnung zu rufen.

Man kann fast sicher sein: Ausgerechnet dann, wenn man ordentlich Lust hätte, in der Eckkneipe nebenan einen Kleinen zu zwitschern, pfeift garantiert das Suchgerät dazwischen. Es ist kaum möglich, sich mit solchen Leuten, die von einem elektroakustischen Vogel beherrscht werden, in ein zwangloses Gespräch einzulassen. Der Piepmatz in ihrer Wäsche, diese eigenwillige, moderne Nervensäge, läßt ihnen keine Ruhe.

Er hält ihre Eigentümer unentwegt auf Trab, bringt sie gehörig auf Vordermann und wacht eifersüchtig auf die Einhaltung der Dienstvorschriften, indem erdie Fäden einer zwischenmenschlichen Begegnung rücksichtslos zerreißt, weil dem Telefonapparat als ,Kommunikationsform nun einmal allererste Priorität zusteht. Mit diesem Taschenspielertrick halten sich die Chefs ihre wichtigsten Leute bei der Stange.

Ich könnte mir gut vorstellen, daß

Nicht wahr, im späten Frühling werden die Gartenzwerge frisch angestrichen. Sie haben irgendwo in einem Schuppen überwintert und stehen nun mit ihren roten Mützen an ihren alten Plätzen. Auch die verkleinerte Burg mit dem verkleinerten Teich (aus Spiegelglas) wird im Schatten des Holunders wieder untergebracht. In einem anderen Garten steht die aus Brettern gezimmerte kleine Eisenbahn auf hölzernen Schienen gleich in der Nachbarschaft eines buntbemalten Pilzes aus Gips.

Kitsch? Vielleicht. Es lohnt sich aber, all die putzigen Figuren und Darstellungen bis zu dem Punkt zu verfolgen, aus dem sie hervorgegangen sind: aus der menschlichen Phantasie, gedrängt durch irgendeine undeutliche Sehnsucht.

Was verkleinert der Mensch? Etwas, wovor er allzu große Achtung oder auch nur ganz einfach Angst hat. Kitsch ist die naive und unrichtige Antwort auf die Angst. Denn die Zwerge sind in ihrer Erscheinungsform des Gartenzwergs antike Erdgeister, Symbole der Fruchtbarkeil, die im Dunklen wirken: die Burg ist sichtbares Zeichen der Macht; die Eisenbahn ist immer noch die Darstellung einer Geschwindigkeit sondergleichen, und im Pilz liegt das Gift, liegt die Todesgefahr.

Wir unterziehen Dinge der Verkleinerung, deren Größe uns stört. Auch die Kuckusuhr muß den Gang der Zeit nur verniedlichen, um uns das Herannahen unserer Sterbestunde vergessen zu machen.

Deshalb ist Kitsch unausrottbar. Je größer die Angst, umso gemütvoller, beruhigender, possierlicher die Antwort. Und also wenn wir in den Tagen des späten Frühlings in den Gärten rundherum all die Gartenzwerge sehen und wilden Wasserfälle (verkleinert) und buntbemalten Pilze, denken wir einen Moment über die merkwürdige Diskrepanz zwischen Ursache und Ergebnis nach. Der Mensch bricht auf, seine Dämonen zu zähmen und produziert folgerichtig den Gartenzwerg. GS diese pieps- und streßgeplagten VIP-Personen sogar nachts im Schlaf aufschrecken in der irrigen Meinung, man habe nach ihnen gerufen, wenn es unter ihnen in der Bettstatt quietscht. Wer sich einmal, seiner Karriere zuliebe, mit dem unbequemen Vogel eingelassen hat, wird ihn nicht so bald wieder los.

Und dabei wäre es doch so einfach, sich dieses lästigen Quälgeistes zu entledigen. Man brauchte ihn, beispielsweise, bloß aus der Tasche zu nehmen und in hohem Bogen durch das Fenster auf die Straße zu schleudern, wenn man endlich genug von ihm hat. Aber so etwas tut doch kein vernünftiger Mensch, der mit beiden Beinen in unserer technisch perfekt durchorganisierten Welt steht.

Es sei denn, er wäre nicht ganz richtig im Oberstübchen und habe, mit Verlaub gesagt, einen Vogel.

PETER HEISCH

(Aus dem „Nebelspalter”)

Zu guter Letzt

Zwei Freunde sind in die USA ausgewandert. Sie haben beschlossen, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten Karriere zu machen. Am ersten Jahrestag ihrer Ankunft treffen sie sich wieder. Der eine sieht ziemlich zerlumpt aus, der andere ist höchst elegant.

„ Was ist aus Dir geworden?” „Nichts besonderes,” sagt der Zerlumpte, „mir ist nichts gelungen, ich bin Tellerwäscher, aber Du? Du hast wohl Karriere gemacht?”.

„Ich kann mich nicht beklagen. Ich bin drauf gekommen, daß die Leute hier eine besondere Vorliebe für exotische Speisen haben. Ich habe etwas erfunden. Nachtigallenpastete! Sie geht weg wie warme Semmeln.”

„Na, und nimmst Du für die Pastete wirklich nur Nachtigallen?”

„Nein, ich nehme auch Pferdefleisch.”

„Pferdefleisch?1'

„Ja. und zwar im Verhältnis 1:1. Eine Nachtigall - ein Pferd . . ..”

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