Menschen und Moleküle

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Biotechnologische Innovationen versprechen eine zunehmend treffsichere Therapie. Wie weit ist die angekündigte "Revolution in der Medizin"?

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Biotechnologische Innovationen versprechen eine zunehmend treffsichere Therapie. Wie weit ist die angekündigte "Revolution in der Medizin"?

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Wenn heute von einer Medizin der Zukunft die Rede ist, wird vor allem eine große Hoffnung ins Treffen geführt: der Ausblick auf eine biologisch maßgeschneiderte Therapie. Angesichts dieser richtungsweisenden Vision gilt es, geeignete Begriffe zu finden: Von "Personalisierter Medizin" ist zumeist die Rede, aber auch die "Präzisionsmedizin", die "individualisierte Medizin" oder die "Genom-Medizin" kursieren als Schlagworte. Was aber verbirgt sich dahinter? Handelt es sich wirklich um den "dramatischen Paradigmenwechsel" und die bevorstehende "Revolution in der Medizin", wie sie von Seiten der biomedizinischen Forschung und der Pharma-Industrie angekündigt wird? Und welche Vorstellungen verbindet eigentlich die Bevölkerung - die potenziellen Patienten - mit diesem Konzept?

Diesen Fragen sollen demnächst bei einer Serie von Bürgerdialogen in Wien, Graz und Innsbruck mit Experten diskutiert werden (siehe Kasten). "Personalisierte Medizin" bezeichnet hier eine diagnostische und therapeutische Praxis, die sich vor allem an Merkmalen der Genetik und Molekularbiologie, den so genannten Biomarkern, orientiert. Als wichtige Anwendungen gelten etwa die Vorhersage bestimmter Krankheitsrisiken anhand von Gen-Tests sowie die Auswahl heikler medikamentöser Therapien, zum Beispiel bei Krebs-und Infektionskrankheiten.

Wahrscheinlichkeit der Wirksamkeit

Aber selbst in den am ehesten "individualisierten" Therapiefeldern werden Medikamente verabreicht, die auf Patientengruppen, nicht auf Individuen zugeschnitten sind, wie Claudia Wild vom Ludwig Boltzmann Institut für "Health Technology Assessment" betont: "Insofern halte ich es für unethisch, Begriffe wie 'Personalisierte Medizin' oder 'Präzisionsmedizin' derzeit überhaupt in den Mund zu nehmen, weil den Patienten dadurch suggeriert wird, dass sie automatisch von einer bestimmten medikamentösen Therapie profitieren". Die Gesundheitsforscherin sieht darin lediglich "suggestive Marketing-Begriffe": Nachdem so viel Fördergeld in die genetische Grundlagenforschung geflossen sei, bestehe nun der Druck, rasch anwendbares Wissen für die Medizin verfügbar zu machen. Das Resultat dieser Bemühungen seien die Biomarker, die jetzt eine "Personalisierte Medizin" forcieren sollen. Aber die großen Erfolge seien noch nicht eingetreten, so Wild: "Auch bei einer Biomarker-basierten Therapie kann man in der Regel nicht davon ausgehen, dass das für mich ausgewählte Medikament tatsächlich wirkt. Denn auch hier gelten Wahrscheinlichkeiten: Die Wirksamkeit stellt sich etwa nur bei einer oder einem von 20 Patienten ein, und auch Nebenwirkungen sind nicht auszuschließen."

Verbesserte Tumorcharakteristik

"Personalisierte Medizin" verweist also nicht auf einen rundum angepassten "Maßanzug", viel eher auf therapeutische "Konfektionsgrößen", die durch genetische oder molekulare Biomarker abgesteckt sind. Viele Experten plädieren daher für den etwas hölzernen Begriff der "stratifizierten Medizin". Am häufigsten kommt diese bisher in der Krebsmedizin zum Tragen: Innerhalb verschiedener Krebsarten sind mittlerweile Subgruppen beschrieben, für die jeweils ein eigenes Therapieschema empfohlen wird. Entscheidend dafür war die zunehmend bessere Erfassung der Tumoreigenschaften. So hat bereits die Entdeckung von Hormonrezeptoren auf Brustkrebszellen dazu geführt, dass Patientinnen nun dahingehend differenziert werden, ob sie auf eine Anti-Hormon-Therapie ansprechen. Weiters wurden spezielle Proteine an der Oberfläche der Tumorzellen identifiziert, die als Ansatzpunkt für gezielte Antikörper-Therapien fungieren, wie der Onkologe Gerald Prager von der Medizinischen Universität Wien berichtet: "In den letzten Jahren wurden immer mehr Therapien zugelassen, die nicht mehr wie die so genannte 'Chemo-Keule' wirken, sondern nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip tatsächlich die Rezeptoren oder Signalwege in den Tumorzellen hemmen können." Das ist zum Beispiel bei der Chronischen Myeloischen Leukämie der Fall: Hier reicht oft die medikamentöse Blockierung eines Krankheitsmechanismus, um die ganze Erkrankung zu stoppen.

"Flüssige Biopsie" durch Blutproben

Fortschritte zeigen sich aber nicht nur durch neue Medikamente, sondern auch durch eine verbesserte Diagnostik: "Wir sind mitten in einem Prozess, der sich nicht mehr aufhalten lässt", ist Prager überzeugt. In der Krebsmedizin wird nun das Verfahren der "flüssigen Biopsie" erprobt, das die Früherkennung vorantreiben könnte, da bereits anhand von Blutproben die Tumor-DNA analysiert werden kann. Dadurch könnte den Patienten auch der invasive Eingriff zur Biopsie des Tumorgewebes erspart werden. Die Einteilung der Tumore bewegt sich jedenfalls in Richtung Molekularbiologie: Signalwege und genetische Sequenzierung könnten künftig ausschlaggebender sein als die rein mikroskopische Analyse des Gewebes, in dem der Tumor entsteht. "Man nimmt an, dass bei jedem Tumor einige 'Treibermutationen' vorhanden sind, die sein Wachstum befeuern", sagt Prager. "Diese gilt es herauszufinden, um wirklich individualisiert behandeln zu können."

Dass die "Personalisierte Medizin" - entgegen der begrifflichen Anmutung - bislang nur biologisch ausgerichtet ist, stößt freilich vielerorts auf Kritik. Diese Engführung widerspricht dem ganzheitlichen Modell, das nun auch EU-weit in den Medizin-Curricula verankert wird. "Nachdem wir uns lange auf rein naturwissenschaftlichem Boden bewegt haben, gibt es heute genügend Belege dafür, dass Gesundheit und Krankheit auch von psychischen und sozialen Faktoren abhängig sind", betont Ursula Wisiak von der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie in Graz. Und auch die Bedeutung der Beziehung zwischen Arzt und Patient werde im Kontext der "Personalisierten Medizin" nirgendwo erwähnt. So wurde in rezenten Experten-Dialogen zum Thema davor gewarnt, nicht auf Investitionen in bisher ohnehin vernachlässigte Bereiche wie die Psychoonkologie und die Palliativmedizin zu vergessen.

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