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Die Richtung ist falsch

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In den USA wurde dem Zahnarzt Barney Clark ein Kunstherz eingesetzt. Der eine bewertetdies als positiven Fortschritt, der andere sieht darin einen weiteren Schritt in eine bedenkliche Richtung

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In den USA wurde dem Zahnarzt Barney Clark ein Kunstherz eingesetzt. Der eine bewertetdies als positiven Fortschritt, der andere sieht darin einen weiteren Schritt in eine bedenkliche Richtung

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Die drastisch gestiegene Lebenserwartung der Bevölkerung im letzten Jahrhundert belegt die Erfolge der modernen Medizin mit Zahlen. Das Wissen vermehrt sich fortlaufend, die Eingriffsmöglichkeiten — nicht nur operativer, sondern auch medikamentöser Art — lassen sich immer vielfältiger einsetzen, werden aber auch immer massiver. Ihr Ziel ist, Leben zu erhalten und zu verlängern, weil man von der Grundannahme ausgeht, daß dies dem Heil des Menschen dient. Aber stimmt diese Annahme noch in jedem Fall?

Im Umgang mit der lebendigen Natur rund um uns machen wir heute eine wichtige Erfahrung: Unser einseitig auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtetes, massives Eingreifen und Gestalten mit Mitteln der Technik bringt eine Fülle von negativen Erscheinungen mit sich, die langfristig sogar unser Uberleben als Gesellschaft gefährden könnten.

Gilt nicht ähnliches für viele Anstrengungen im Bereich der Medizin? Bis ins äußerste vorangetriebene Versuche, menschliches Leben mit Mitteln der Technik zu erhalten, bringen einerseits verblüffende Erfolge. Andererseits gerät der Mensch auf diese Weise in eine Maschinerie, die eine Fülle von Leid bewirkt. Oft stellt sich die Frage, ob die Summe der Wirkungen heilbringend war.

Je massiver der Eingriff, umso größer sind die Folgewirkungen, umso schwerer sind sie vorherzusehen. Beim Kunstherz droht etwa dauernd eine Infektionsgefahr im Bereich der Öffnung im Brustkorb. Es bilden sich Blutgerinnsel infolge der Traumatisierung des Blutes durch das Kunstherz. Unabsehbar sind auch die psychischen Folgen: Fortwährend einen technischen Apparat als Koffer mit sich herumschleppen müssen; immer unter Entscheidungsstreß stehen, ob man bei Verzweiflung den Apparat abschalten oder doch noch durchhalten soll...

Sicher, für vieles wird man bessere Lösungen finden. Auch sie werden aber wieder Eingriffe erfordern, die wiederum Folgewirkungen haben, deren Beseitigung zu Folgen führt, usw...

Kann man unter solchen Voraussetzungen davon sprechen, daß sich der Mensch rational für eine halbwegs klare Linie entscheidet? Sind ihm solche Entscheidungen überhaupt zuzumuten? Ich habe den konkreten Fall eines schweren Leidensweges vor Augen: Diagnose Krebs; Therapie: Entfernung des betroffenen Organs mittels zweier Operationen; Ablauf: Im Gefolge des ersten Eingriffs werden drei weitere notwendig, wodurch sich die zweite Operation verzögert, in deren Folge ein Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung und Verlust des Sprechvermögens eintritt. Der Kranke stirbt dennoch nach einem Jahr an Krebs. , Der Mensch ist eben keine Maschine, eine Operation keine Reparatur. Die Wiederherstellung einer Funktion ist nicht gleichbedeutend mit Heil.

Ich weiß schon, daß man nicht aus Einzelfällen allgemeine Urteile ableiten darf. Ebensowenig darf man aber den Einzelfall aus den Augen verlieren und nur vom wissenschaftlichen Fortschritt träumen. Die Not und das Leiden eines einzelnen Menschen dürfen nicht Angeld auf zukünftige, mögliche Erfolge sein—es sei denn, der Patient nimmt Leid in diesem Geiste auf sich.

Der Homöopath Matthias Dorc-si spricht von zwei Kategorien von Ärzten: Ärzte, die wissen wollen und solche, die heilen wollen. Entspringen nicht viele der spektakulären Erfolge allzusehr dem „Wissen- und Geltenwollen"? Dorcsi schreibt weiter: „Die Medizin ist nicht krank, krank ist ihre Einseitigkeit, Unvollkommen-heit, Unbezahlbarkeit." Die Einpflanzung eines künstlichen Herzens ist Ausdruck dieser Einseitigkeit. War diese Operation nun zulässig? Ich wage nicht, den konkreten Fall zu beurteilen, bin aber überzeugt, daß diese Richtung der Medizin falsch ist. Wir können in Zukunft nicht nur Ersatzherzen, sondern vielleicht auch Ersatzlebern, -nieren, -lungen, usw... entwickeln. Denkt man an die Fortschritte der Computertechnik, scheinen auch Ersatzlösungen für Teile des Gehirns nicht ausgeschlossen. Wer glaubt, daß dies demagogische Übertreibungen sind, lese bei Michel Salomon „Die Zukunft des Lebens" nach, was führende Mediziner (u. a. Nobelpreisträger) erträumen!

Soll das unsere Zukunft sein? Werden wir es einmal als Triumph der Medizin feiern, daß es gelungen sei, den Kopf eines Unfallopfers von seinem total zertrümmerten Rumpf zu trennen und am Leben zu erhalten? (Experimente mit Affenschädeln auf Nährlösungen gibt es schon heute!)

Mit solchen medizinischen Lösungen erwirbt der Mensch eine Scheinfreiheit. Er kann zwar den einen Zwang, sterben zu müssen, für eine unbestimmte, aber begrenzte Zeit verschieben, begibt sich aber unter Lebensumstände, die er zwar selbst gewollt, aber in keiner Weise vorhergesehen hat. Sie können ein Maß an Unerträg-lichkeit mit sich bringen, das weit ärger ist als die ohnedies unumgängliche Vorbereitung auf den eigenen Tod.

Wen die Vision vom überlebenden Kopf schreckt, sollte sich schon heute für die Zügelung des prometheischen Strebens des Menschen einsetzen. Das wird nur gelingen, wenn Heil wirken gegenüber Wissen wollen Vorrang bekommt, wenn das Bewußtsein wächst, daß Heil mehr ist als körperliche Gesundheit, daß seine tiefste Wurzel in der geglückten persönlichen Beziehung des Menschen zu seinem Schöpfer liegt.

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