Was kann das sanfte Spektrum?

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Gerade Krebspatienten suchen oft nach ergänzenden Therapien. Homöopathie, Ayurveda und andere komplementäre Ansätze sind weiterhin umstritten. Ein Kongress in Wien beleuchtete die Faktenlage.

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Gerade Krebspatienten suchen oft nach ergänzenden Therapien. Homöopathie, Ayurveda und andere komplementäre Ansätze sind weiterhin umstritten. Ein Kongress in Wien beleuchtete die Faktenlage.

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Als der deutsche Arzt Samuel Hahnemann zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Homöopathie begründete, sorgte er für Aufregung in der akademischen Welt. Sein Ansatz, Arzneien in kleinster Dosis nach der "Ähnlichkeitsregel" zu verordnen, war umstritten. Demnach werden die Substanzen genau für jene Beschwerden verschrieben, die sie bei gesunden Menschen hervorrufen können. An der Polarisierung rund um seine sanfte Heilmethode hat sich gut 200 Jahre später wenig geändert. Die Ausgangslage freilich ist eine andere: Heute liegen zumindest ansatzweise Daten aus modernen Studien auf dem Tisch - über die nun trefflich gestritten werden kann.

Eine Analyse der australischen Gesundheitsbehörde (NHMRC) etwa kam 2015 zu dem Schluss, dass Homöopathie bei allen darin untersuchten Anwendungen praktisch wirkungslos sei. Doch während Kritiker in der Homöopathie nicht mehr als eine therapeutische Sackgasse erkennen können, pochen die Befürworter auf ihre Wirksamkeit - und sehen darin selbst bei schweren Erkrankungen wie Krebs eine sinnvolle Ergänzung zur Standardtherapie.

Homöopathie am Prüfstand

Dass die Homöopathie als Kassenleistung im österreichischen Gesundheitssystem integriert werden soll, fordert zurzeit eine parlamentarische Bürgerinitiative mit einer Petition, die auf der Webseite des Parlaments unterstützt werden kann. Die umstrittene Therapie, die gern in Kügelchen verabreicht wird, war letzte Woche auch beim Kongress zur "Integrativen Onkologie" in Wien ein Thema: Der Dachverband für Ganzheitsmedizin erörterte die Frage, wie Krebspatienten von Homöopathie und anderen integrativen Therapien wie etwa Akupunktur, Ayurveda oder Tibetischer Medizin profitieren können. "Die Nebenwirkungen der konventionellen Therapien zu lindern, ist eine Hauptaufgabe der komplementären Medizin", betonte Dachverbandspräsident Michael Frass, Leiter der Spezialambulanz für Homöopathie bei Krebserkrankungen an der Med-Uni Wien. "Auch die Stärkung der Konstitution und die Verbesserung der Lebensqualität gehören dazu."

Der Facharzt für Innere Medizin war an österreichischen Studien beteiligt, die positive Effekte der Homöopathie zusätzlich zur Chemo- und Strahlentherapie gezeigt haben: So war in der Gruppe der homöopathisch behandelten Krebspatienten eine deutliche Verbesserung des allgemeinen Gesundheitsstatus sowie des subjektiven Wohlbefindens zu registrieren.

Schlüssel zum vegetativen Nervensystem

Eine Datenauswertung lässt sogar vermuten, dass bei Patienten mit fortgeschrittenen Krebsstadien durch zusätzliche homöopathische Behandlung eine Verlängerung der Überlebenszeit zu erreichen ist. "Wenn man die Lebensqualität steigert, kann man auch die Prognose der Tumorerkrankung verbessern", erläuterte Frass. Derzeit untersucht er mit seinen Kollegen bei Lungenkrebspatienten, ob sich diese Befunde in einer Placebo-kontrollierten Studie erhärten lassen.

Vielleicht ist auch die zeitliche Zuwendung bei der Homöopathie ein nicht zu unterschätzender Faktor: Die Anamnese, die Beleuchtung der Patientengeschichte, dauert hier mindestens eine halbe Stunde, mitunter sogar mehrere Stunden. "Allein schon das Setting, das die Komplementärmedizin anbietet, ist eine gute Voraussetzung für Heilung", bemerkte Gebhard Breuss, Präsident der Gesellschaft für Kneipp-Medizin. "Wer mit Krebs konfrontiert wird, ist mit tiefer Angst und Verunsicherung, oft auch in finanzieller Hinsicht konfrontiert. Vor allem junge Patienten können deshalb kaum noch schlafen. Aber all das findet im Spitalsalltag kaum Widerhall." Bei komplementären Heilverfahren wird eine Arzt-Patient-Beziehung hergestellt, die weit über das Rationale hinausgeht, ist der Allgemeinmediziner überzeugt. "Irrationalität spielt in der Medizin eine genauso große Rolle wie in der Politik. Wenn wir nicht damit umgehen lernen, kann dies negativ auf uns zurückfallen."

Sind Menschen existenziell verunsichert, entspricht dies bestimmten Erregungsmustern im vegetativen Nervensystem, so Breuss mit Bezug auf die Polyvagal-Theorie: Der Vagusnerv, der das Gehirn über unzählige Verästelungen mit den Eingeweiden verbindet, ist für Entspannung zuständig. Er reagiert wie eine Antenne, ob man sich sicher fühlt, ob Gefahr droht oder ob man sich vielleicht sogar in einer lebensbedrohlichen Situation befindet. Wenn man den Vagusnerv in der Kneipp-Therapie durch Wasseranwendungen stimuliert, lässt sich selbst in belastenden Situationen wieder ein seelisches Sicherheits- und Geborgenheitsgefühl vermitteln, berichtete Breuss. Das wiederum fördert die Schlafqualität und unterstützt die Regeneration des Organismus.

Ayurveda: mehr als Massagen

Dass die Therapie ganzheitlicher wird, wäre eine wichtige Entwicklung angesichts der zunehmenden Spezialisierung in der naturwissenschaftlich geprägten Medizin, glaubt auch Lothar Krenner, der sich als praktischer Arzt auf die Ayurveda-Heilkunde spezialisiert hat. Die aus Indien stammende Vedische Medizin zählt zu den ältesten Gesundheitssystemen der Welt. "Das Menschenbild des Ayurveda schließt eine transzendente Ebene des Organismus mit ein", erläuterte Krenner. "Das wird als Zugang zur ganzheitlichen Intelligenz der Natur gesehen. Übersetzt ins westliche Weltbild geht es darum, die Selbstheilungskräfte des Organismus zu stärken." Das funktioniert über Meditation, Heilkräuter, Musik-, Aroma-und Urklang-Therapie, so Krenner, der die grundsätzliche Sicht seiner Kollegen teilt: Er sieht die Vedische Medizin nicht im Gegensatz zur konventionellen Schulmedizin, sondern als wertvolle Ergänzung.

Cancer School CCC Vienna

MedUni Wien und AKH Wien bieten ab 24.4. ein Krebs-Fortbildungsprogramm für Laien an (Info und Anm. unter www.cancerschool.at)

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