"Das geht ins Kriminelle"

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In seinem Buch "Der veräppelte Patient" geht Theodor Much, ehemaliger Leiter der Hautambulanz des Wiener Hanusch-Krankenhauses, mit der "Alternativmedizin" hart ins Gericht. Christian Reiter, Präsident des Dachverbandes der Österreichischen Ärzte für Ganzheitsmedizin, kontert.

Die Furche: Herr Dr. Much, Sie vergleichen am Beginn Ihres Buches die Anhänger alternativmedizinischer Heilmethoden mit dem verblendeten Monarchen in "Des Kaisers neue Kleider". Warum dieser drastische Vergleich?

Theodor Much: Dieser Vergleich ist entstanden, als ich mich mit Methoden beschäftigt habe, die in den Bereich der Esoterik hineingehen - etwa Reiki: Jemand bietet etwas an, wo nichts dahinter steckt - aber die Leute glauben es. Am Ende gibt es sogar gewisse Resultate, die Placebowirkung. Ich sage nicht, dass das überall so ist. Aber mein Buch ist sicher ein Buch gegen den Trend.

Christian Reiter: Ein Trend, den sich die Mediziner selbst beschert haben: Wir waren früher als Ärzte immer auch Ganzheitsmediziner, nur ist dieses ganzheitliches Denken verloren gegangen. Der Patient ist ja nicht nur ein krankes Geschöpf, sondern auch ein psychisches, vielleicht auch ein metaphysisches Geschöpf, und das wird von der "Schulmedizin" - ein Begriff, den ich eigentlich nicht verwenden möchte, aber er ist eben so eingeführt - zu wenig beachtet. Daher zieht es die Patienten zu Leuten, die sich ihnen mehr zuwenden - unabhängig davon, was sie sonst noch anzubieten haben. Wir sind also von einer außerordentlich wissenschaftlichen Medizin überfrachtet - und nun schlägt das Pendel auf die andere Seite aus. Umso wichtiger ist es, im Medizin-Studium den menschlichen Aspekt mehr zu betonen: Nicht jeder, der seine Antworten im Multiple-Choice-Test richtig ankreuzt, ist ein guter Arzt.

Much: Ich glaube, dass jeder gute Arzt, der die körperliche und geistige Einheit des Menschen sieht, ein Ganzheitsmediziner ist. Wenn zu mir als Dermatologe ein Patient mit einer zerkratzten Akne kommt, dann genügt die Blickdiagnose um zu sagen: Diese junge Mensch hat psychische Probleme. Da genügt nicht eine spezifische Aknetherapie, sondern hier brauchen wir eine Psychotherapie. Das verstehe ich unter Ganzheitsmedizin. Aber Methoden, die ins Esoterische gehen, gehören für mich nicht dazu. Ich lehne auch den Begriff "Alternativmedizin" ab, weil er suggeriert, es gäbe eine echte Alternative zur Medizin. Der beste Ausdruck ist der Begriff Komplementärmedizin, also Methoden, die neben der anerkannten wissenschaftlichen Medizin angewendet werden.

Reiter: Auch ich lehne den Begriff Alternativmedizin ab, weil er ein militantes Anderssein darstellt. Man muss als guter Arzt eine Vielzahl von Methoden in seinem Koffer haben und sie für den richtigen Fall anwenden. Daher ist der Begriff Komplementärmedizin richtig - und macht deutlich, dass diese Methoden in der Hand des Mediziners bleiben müssen.

Much: Das klingt alles wunderschön. Nur gibt es eine ganze Reihe von Medizinern, deren Tun mehr als problematisch ist. Ein Beispiel ist die Gruppe der Impfgegner, die den Patienten einreden, man darf nicht gegen Masern oder Polio impfen. Das geht zum Teil ins Kriminelle.

Reiter: Sicher wären viele Impf-Komplikationen zu vermeiden, wenn der Arzt sorgfältig prüfen würde, ob dieser Patient momentan körperlich in der Lage ist, mit dieser Impfung zurecht zu kommen. Doch ich habe viele Impfaktionen erlebt, wo jeder in der Schlange ohne vorherige Untersuchung einfach geimpft wurde. Das Problem ist, dass diese Massenmedizin nicht auf den Einzelnen eingeht, und wir wissen leider, dass in der Medizin nichts allgemein ist.

Die Furche: Bei komplementärmedizinischen Methoden sind objektivierbare Studien meistens Mangelware. Woran liegt das?

much: Wenn heute ein neues Medikament geprüft wird, muss man eine große Patientenanzahl haben, damit man überhaupt etwas aussagen kann. Dann muss man placebokontrollierte Doppelblindstudien durchführen, wobei also weder der Patient noch der Arzt weiß, welcher Patient das Verum bekommt und welcher das Placebo. Das ist die Evidence Based Medicine. Nun gibt es Komplementärmediziner, etwa Homöopathen, die nichts dagegen haben, ordentliche Studien zu machen. Es gibt aber auch solche, die sagen: Meine Methode ist so gut, dass ich keine Tests brauche.

Reiter: Wir würden uns sehr freuen, wenn wir ordentliche Studien machen könnten. Doch das Problem sind die Ethikkommissionen und die Finanzierung: Man braucht nämlich astronomisch teure Patientenversicherungen. Eine große, saubere Studie kostet ein Vermögen - und man findet dafür keine Sponsoren. Das ist wirklich schizophren: Die Arzneimittelhersteller verdienen sich mit den unwirksamen, nicht indikationsbezogenen Homöopathika, die ja zu 80 Prozent über den Ladentisch gehen, dumm und dämlich, aber andererseits sind sie nicht bereit, Studien zu unterstützen. Vielleicht käme ja heraus, dass die Medikamente, mit denen sie ihren Hauptumsatz machen, sinnlos sind, während gezielte Homöopathika für bestimmte Indikationsbereiche sinnvoll wären...

Much: Es gibt auch Homöopathen, die Komplexmittel, also Mischpräparate verwenden. Das ist Schrotschusshomöopathie! 95 Prozent der Menschen, die von der Homöopathie schwärmen, haben noch nie etwas mit der klassischen Homöopathie zu tun gehabt.

Die Furche: Herr Professor Reiter: Wie sind Sie als Gerichtsmediziner zur Homöopathie gekommen?

Reiter: Ich musste vor rund zehn Jahren eine Frau obduzieren, die nach einer homöopathischen Eigenbehandlung, die nicht den Regeln der Kunst entsprochen hat, gestorben ist. Sie hat Arsenicum album in einer Verdünnung, also Potenzierung eingenommen, die weniger Arsen enthält als eine Dose Thunfisch. Dennoch hat sie das Arzneimittelbild einer Arsenvergiftung entwickelt. Deshalb habe ich mich zu interessieren begonnen. Nach Jahren habe ich mich dann entschieden, diesen Fall zu publizieren - vor allem, um den sorglosen Umgang mit diesen Arzneien zu stoppen. Und als Präsident des Dachverbandes der Ärzte für Ganzheitsmedizin sehe ich meine Aufgabe darin, die Qualitätssicherung weiter zu verbessern.

Much: Beim Potenzieren eines Stoffes - also dem Verdünnen und Schütteln - kommen wir gleich zum Grundproblem der Homöopathie. Wenn jemand auf D20 (1 zu 10 hoch 20) potenziert, dann kann man das vergleichen, wie wenn man das Wasser des gesamten Atlantik nimmt, eine Tablette Aspirin dazugibt und eine Wirkung tausend Kilometer weiter weg erwartet. Noch drastischer wird es bei den Hochpotenzen, etwa D1500 (1 zu 10 hoch 1500): Man nehme einen Wasserball von der Größe des gesamten Sonnensystems, zerreibe eine Erbse und gebe sie in diesen riesigen Wasserball. Davon nimmt man wieder einen Tropfen, löst ihn in der selben Menge Wasser auf - und wiederholt das zwei Milliarden Mal. Was soll das? Das würde ja voraussetzen, dass sich der Impuls bei solchen Entfernungen mit einer größeren Geschwindigkeit ausbreiten müsste als das Licht. Es gibt noch ein anderes Problem: Wenn man potenziert, braucht man ein Lösungsmittel. Man schüttelt es, dann kommt Luft dazu. Sowohl im Wasser als auch in der Luft sind tausende Moleküle oder organische Substanzen. Wie soll das Grundelement wissen, welche Substanz hier potenziert wird? Da müssten nicht nur die Wirkungen ins Gigantische steigen, sondern auch die Nebenwirkungen.

Reiter: Homöopathische Zubereitung ist aber nicht bloßes Verdünnen, sondern eine Technik des Verreibens und Verschüttelns. Wir wissen zu wenig darüber, was sich hier energetisch tut. Aber immerhin kann man durch Verreibungseffekte extrem hohe Energieeintragungen erzeugen: Wenn man Kalkpulver in einem Mörser reibt, erzeugt man an dieser Kontaktfläche so hohe Temperaturen, dass man den Kalk durch Reiben brennen. Außerdem hat ein arrivierter Schweizer Physiker nachweisen können, dass sich das Wasser daran erinnern konnte, dass gewisse Stoffe darin gelöst waren, obwohl sie so oft verdünnt wurden, dass keine Moleküle mehr vorhanden sein konnten. Es wäre aber sicher Aufgabe der Universitäten, diese Methoden wissenschaftlich sauber zu erforschen. Dann wird sich die Medizin auch evolutiv weiterentwickeln: Das, was sich als wirksam herausstellt, wird Teil der etablierten Medizin, und das, was sich als Placebo herausstellt, wird wohl verschwinden. Aber bis dahin gehe ich mit Paracelsus, der gesagt hat: Scheue dich nicht davor, beim gemeinen Manne nachzufragen, ob etwas geeignet ist, eine Arznei zu sein.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Nähere Infos beim Dachverband der Österreichischen Ärzte für Ganzheitsmedizin unter www.ganzheitsmed.at

BUCHTIPP:

DER VERÄPPELTE PATIENT. Alternativmedizin zwischen (Aber-) Glauben und Wissenschaft. Eine Analyse. Von Theodor Much. Verlag Va Bene, Wien/Klosterneuburg 2003. 192 S., geb., e 23,90.

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