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Digital In Arbeit

Hürdenlauf und Unsinnigkeiten

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Was man im Gesundheitswesen reformieren könnte? Der Autor hat ein paar Vorschläge aufgrund von Erfahrungen, die jeder gemacht haben könnte.

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Was man im Gesundheitswesen reformieren könnte? Der Autor hat ein paar Vorschläge aufgrund von Erfahrungen, die jeder gemacht haben könnte.

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Wenn die öffentliche Debatte auf Gesundheit und Sozialleistungen kommt, dann bilden Krankenhausverweildauer, Spitalsplan und Schwerpunktkrankenhäuser, Gruppenpraxen und Vertrauensärzte, teure, teils prestigeverursachte Apparatemedizin und Pflegebetten, zu hoher Medikamentenverbrauch und angebrochene Packungen, Gehälter und Paläste der Gesundheitsbürokratie einen weiten und bis in Irrealitäten verschiebbaren Rahmen.

Und dann schießen die Experten -wie kürzlich gelesen - ihre Kritik- und Vorschlagspfeile in den Raum: Die Hausärzte müssen wegen der Pau-schalhonorierung Hausvisiten vermeiden und Patienten abschieben. Billigere mobile Pflege ist nicht möglich, weil sonst Spitalsbetten leerstehen würden. Patienten sind nicht kostenbewußt. Das Versorgungssystem hat kein Schnittstellenmanagement. Der Gesundheitsmarkt ist infolge angebotsinduzierter Nachfrage ein Nicht-Markt, der unter anderem durch Überspezialisierung und Überinanspruchnahme gekennzeichnet ist.

Der Patient - dessen Wohlergehen angeblich jedem am Herzen liegt sieht die Probleme von anderer Seite oder hat andere Probleme, ob jetzt im Notfall oder bei chronischer Erkrankung. Er braucht nicht (nur) ein medizinisch funktionierendes System, sondern Einrichtungen und Menschen, die sich um ihn annehmen, die ihm nahekommen, die ihm nicht Angst machen, die ihn nicht unnötig belasten: mit Mehrfachuntersuchungen zum Beispiel, mit unnötiger Strahlenbelastung, mit endlosen Wartezeiten, mit unverständlichen Diagnosen und Therapievorschlägen, mit fehlender Rücksichtnahme auf seine häuslichen Verhältnisse, mit Bürokratie. Ob eine dem Menschen angepaßte, auf seine Lebensumstände Rücksicht nehmende Organisation nicht auch volkswirtschaftlich vorteilhaft wäre?

Von der Ambulanz zum Hausarzt, von dort zur Apotheke, zum Chefarzt...

Folgendes ist mir unlängst passiert:

Ich begebe mich wegen eines un-spezifischen Symptoms in die entsprechende Ambulanz eines öffentlichen Krankenhauses. Man verschreibt mir, zunächst ohne nähere Untersuchung, ein chefarztpflichtiges Medikament. Ich gehe mit dem Rezept zum praktischen Arzt, um es umschreiben zu lassen.

Dieser klärt mich auf, daß eine klei -ne Packung ausreicht und kaum mehr als die Rezeptgebühr kostet, daß ich es daher direkt in der Apotheke bezahlen kann, zumal eine längere Anwendung wegen eines bestimmten Wirkstoffes ohnedies nicht ratsam ist.

In der Apotheke erfahre ich, daß die Pharmafirma nur mehr große Packungen in den Handel bringt. Jetzt also doch zum Chefarzt. Die Bewilligung erfolgt über den Schalter, ohne jede gesundheitliche Überprüfung. Ich verbrauche etwa fünf von 30 Gramm.

Kontrolle in der Ambulanz: Das Medikament hat nicht die erwartete Wirkung gehabt. Eine weitere Untersuchung wird vorgenommen, eine mögliche Ursache des Symptoms festgestellt. Verschreibung einer Kombination von drei Präparaten, von denen zwei chefarztpflichtig sind. Der praktische Arzt bestätigt die Verschreibung, die chefärztliche Bewilligung erfolgt wieder ohne Kontrolle.

In der Apotheke stellt sich heraus, daß die verschriebene und bewilligte Menge der Medikamente nur für den halben zur Behandlung vorgesehenen und auf dem Rezept vermerkten Zeitraum reicht. Verschreibung der ergänzend nötigen Menge durch den praktischen Arzt, neuerlich Einholung der chefärztlichen Bewilligung, neuerlicher Weg in die Apotheke.

Das lästige Symptom einer nach bisherigem Stand der Untersuchungen nicht gefährlichen Störung ist nicht gänzlich beseitigt. Man wird daher weitere Untersuchungen vornehmen, weitere Medikamente verschreiben und so weiter und so weiter.

Ich frage nun: ■ Warum geht eine ärztliche Untersuchung nicht mehreren möglichen Ursachen für Krankheitssymptome auf einmal nach, sodaß die Diagnose und eine angemessene Therapie schneller festgestellt werden können?

■ Warum darf eine Ambulanz, die man mit Facharztscheinen der Wiener Gebietskrankenkasse in Anspruch nehmen kann, nicht selbst verrechnungsfähige Rezepte verschreiben wie der Facharzt? Mein praktischer Arzt sagte mir im Zusammenhang, daß manche Medikamente nur von Fachärzten verschrieben werden dürfen. Wer ist daran interessiert, Arztbesuche zu vermehren?

■ Welchen Sinn hat eine chefärztliche Bewilligung, wenn der Patient vom Chefarzt nicht untersucht wird? Wäre ein Chef-, nicht Facharzt, besser als andere Ärzte in der Lage, den Bedarf zu beurteilen? Oder geht es nur darum, durch zeitweilige Verweigerung von Bewilligungen die Ausgaben für Medikamente dem Stand des Krankenkassenbudgets anzupassen?

■ Wieso wird eine Medikamenten-kleinpackung aus dem Handel gezogen, wenn sie offenbar durchaus gebraucht würde? Wer verdient an Produktion und Vertrieb zu großer Medikamentenmengen? Und was kostet die Entsorgung der Beste?

■ Warum werden die Verbraucher (Ambulanz, Ärzte, Chefarzt) offenbar schlampig oder verzögert über eine Änderung der Packungsgrößen informiert?

■ Wessen Bedürfnis entspricht es, gut ausgebildete Chefärzte zum mechanischen Stempeln und Paraphieren zu mißbrauchen?

■ Wer zahlt mir die völlig unnötigen Weg- und Wartezeiten, im konkreten Fall bisher schon rund zehn Stunden? Wer kommt für den wirtschaftlichen Schaden auf, wenn Arbeitnehmer sich unnötig oft dienstfrei nehmen müssen? Was macht ein älterer Patient, dem die Wege schwerfallen und der niemanden hat, der sie ihm abnimmt?

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