Keine Angst vor Morphium in der Schmerztherapie

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Unzumutbare Schmerzen im Endstadium von Krankheiten dienen oft als Argument für Sterbehilfe. Die heute schon praktizierte, moderne Schmerztherapie entzieht diesem Argument die Basis.

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Unzumutbare Schmerzen im Endstadium von Krankheiten dienen oft als Argument für Sterbehilfe. Die heute schon praktizierte, moderne Schmerztherapie entzieht diesem Argument die Basis.

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Wenn es um Schmerztherapie geht, stößt man in Österreich noch immer auf große Widersprüche. Die Angst vor den sogenannten "Suchtgiften" ist bei Patienten, Angehörigen und Hausärzten nach wie vor sehr häufig anzutreffen. Sie ist deshalb in vielen Fällen ein großes Hindernis auf dem Weg zu einer wirklich guten Schmerzkontrolle.

Das Wort "Morphium" löst bei Kranken nicht selten die angstvolle Bemerkung aus: "Jetzt haben sie mich endgültig aufgegeben." Bei Patienten, aber auch bei Ärzten spielt die Angst vor Suchtentwicklung leider nach wie vor eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Die Kluft zwischen dem Wunsch des Patienen, seine schwere Erkrankung möglichst schmerzfrei durchstehen zu können und der Einstellung (mancher!) Ärzte: "Ein bißchen Schmerzen wird der Patient schon aushalten" ist ein "schmerzliches" Problem.

So schildert Frau Brigitte N., daß sie nach einer großen Bauchoperation trotz inständiger Bitten keine schmerzlindernden Mittel erhalten hätte, da die Ärzte meinten, ein Schmerzmittel würde den Darm daran hindern, wieder tätig zu werden.

Ihre Klagen nach zwei äußerst schmerzintensiven Nächten seien mit "da kann man halt nichts machen" abgetan worden. Ob man bei einer besser funktionierenden Kommunikation das Verständnis für die (für die Patientin) unverständliche Vorgangsweise hätte verbessern können, sei dahingestellt.

Morphiumgaben über Jahre hinweg Die Angst vor Morphium ist, laut einer Aussage des Linzer Neurologen Univ.-Prof. Dieter Klingler, völlig unbegründet. "Sucht entsteht durch falsche Verabreichung. Richtig eingesetzt, kann man Patienten auch über Jahre Morphium geben, ohne daß sie süchtig werden. Zusätzlich zur Spritze werden heute in der Schmerzbehandlung langsam wirkende Tabletten und Hautpflaster eingesetzt. Sie erfüllen denselben Zweck und führen nicht zur Gewöhnung."

Anläßlich der Gründung der "Österreichischen Gesellschaft für Palliativmedizin" im vergangenen Jänner meinte Univ.-Prof. Günther Bernatzky von der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg: "Alte Ängste und Vorurteile gegenüber Suchtgiften gehören endlich abgebaut. Bei richtiger Dosierung und Anwendung starker Opiate kommt es durch die langsame Anflutgeschwindigkeit zu keiner Überdosierung. Es kommt weder zu einer Atemhemmung, noch zu psychischer Abhängigkeit."

Es sei auch ein Irrtum zu glauben, daß Schmerztherapie das Immunsystem schwäche. Das Gegenteil sei der Fall: Es sind die nicht behandelten Schmerzen, die das körpereigene Abwehrsystem beeinträchtigen.

Die ärztliche Leiterin der Hospizstation im Geriatriezentrum Am Wienerwald, Michaela Werni-Kourik wiederum erklärt, sie kenne keinen Patienten, der - wenn seine Schmerzreduktion gut eingestellt ist - nach Sterbehilfe gebeten hätte. "Eine entsprechende Pflege und Fürsorge erübrigt jede Diskussion um einen Freitod."

Es geht bei der Behandlung von Schmerzen jedenfalls nicht nur darum, Opiate richtig und entsprechend ihrer pharmakologischen Wirkprinzipien einzusetzen (etwa alle zwölf oder alle 24 Stunden beziehungsweise alle drei Tage). Vielmehr hat man auch auf die psychischen, sozialen und geistig-seelischen Bedürfnisse der Patienten und ihrer Angehörigen einzugehen.

Das lateinische "Pallium" bedeutet "Mantel", aber auch "Fürsorge". Bei der Palliativmedizin geht es demzufolge um die Aufrechterhaltung einer möglichst hohen Lebensqualität, sogar bis in die Endstadien schwerer Krankheiten. Daß hier der richtig eingesetzten Schmerzbehandlung allerhöchster Stellenwert zukommt, sollte selbstverständlich sein. Ärzte und Pflegepersonal sind also mit der Frage nach einer optimalen Schmerzbehandlung ihrer Patienten ständig konfrontiert.

Univ.-Prof. Christoph Zielinski, der gemeinsam mit anderen Experten ein Konsensus-Papier der Österreichischen Schmerzgesellschaft erarbeitet hat, weiß von keinerlei bürokratischen Schikanen bei der Bewilligung von Medikamenten, zumindest was das Allgemeine Krankenhaus betrifft. "Auch wenn der Patient im Spital eine entsprechende Schmerztherapie erhält, können - bedingt durch unabsehbare Entwicklungen - Schmerzen auftreten. Die Dosierung muß dann entsprechend neu angepaßt werden."

Vorsicht mit Schuldzuweisungen Gabriele Sonnbichler von der Österreichischen Krebshilfe, gibt zu, daß es in Einzelfällen zu einer unzureichenden Gabe von Schmerzmitteln kommen kann. "Wenn Patienten mit starken Schmerzen von ihrem Hausarzt nicht adäquat behandelt werden, sollten sie sich entweder an eine der mittlerweile zahlreichen Schmerzambulanzen in den Spitälern oder an eine Beratungsstelle der Österreichischen Krebshilfe wenden."

Da aber die Schmerzempfindlichkeit individuell sehr unterschiedlich ist, sollte man mit Schuldzuweisungen vorsichtig sein. Oft sind, nach Meinung von Sonnbichler, die Patienten selbst vorsichtiger als ihre Ärzte und fürchten sich vor Abhängigkeiten und Sucht.

Die Aufrechterhaltung einer möglichst hohen Lebensqualität bis in die Endstadien schwerer Krankheiten erklärt die Notwendigkeit der "palliativen Medizin" auch bei uns in Österreich. Lindernde Betreuung bis zuletzt ist auch das Anliegen von Univ.-Prof. Heinz Huber, dem Vorstand der I.Universitätsklinik für Innere Medizin im Wiener Allgemeinen Krankenhaus. "Trotz erfolgreicher onkologischer Therapien ist es nach wie vor so, daß zumindest ein Drittel der Krebspatienten an den Folgen der Krankheit sterben. Eine möglichst optimale Kontrolle von Schmerzen, sowie eine Verbesserung der Kommunikation zwischen Arzt, Pflegepersonal, Patienten und Angehörigen sind unbedingt anzustreben."

Keine Suchtgefahr sogar bei Opiaten Das seit Oktober 1989 bestehende Team des Mobilen Hospizes der Caritas hat seit seinem Bestehen über 1.800 Krebspatienten in fortgeschrittenem Stadium zu Hause und auch viele Aids-Patienten betreut. Der ärztliche Leiter der Einrichtung, Franz Zdrahal, nun auch Präsident der neu gegründeten "Palliativgesellschaft" hat in vielen mühevollen Gesprächen den Beteiligten, die in der Pflege von Schmerzpatienten eingebunden sind, klargemacht, daß auch bei Opiaten, richtig eingesetzt, keine Suchtgefahr besteht. Es sei auch ein Irrtum zu glauben, daß die Schmerztherapie das Immunsystem schwäche.

Ein umfassendes Umdenken im Spitalsbetrieb sowie die bestehenden und geplanten Hospizeinrichtungen in Österreich sollten Anlaß zur Hoffnung geben, daß es auch bei uns bald genügend geeignete Betreuungsangebote für schwerstkranke und sterbende Menschen geben wird.

Neben den in fast allen Bundesländern bestehenden mobilen Hospizdiensten zur Hausbetreuung gibt es heute drei stationäre Hospize in Wien, eine Hospizstation im oberösterreichischen Ried, eine in Innsbruck und drei stationäre Palliativeinheiten in der Steiermark und in Salzburg.

Nach Ansicht der Palliativmediziner sollte aber auch die Betreuung daheim, im Umfeld der Familie verbessert, ausgeweitet und in manchen Fällen überhaupt erst ermöglicht werden. Ein würdiges, menschliches Leben bis zuletzt, bei dem die Wünsche und Bedürfnisse des Patienten an erster Stelle stehen, würde dann auch Diskussionen über Sterbehilfe überflüssig machen.

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