Assistierter Suizid: "Der Dammbruch ist schon längst passiert"

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Sg. Hildegard Teutschl, Vorsitzende des Dachverbandes "Hospiz Österreich" und Leiterin der Kardinal König Akademie, fordert einen Ausbau der Palliativmedizin als Alternative zur "Sterbehilfe".

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Sg. Hildegard Teutschl, Vorsitzende des Dachverbandes "Hospiz Österreich" und Leiterin der Kardinal König Akademie, fordert einen Ausbau der Palliativmedizin als Alternative zur "Sterbehilfe".

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DIE FURCHE: Die Niederlande haben durch das Gesetz zur Legalisierung aktiver Sterbehilfe das Tor geöffnet. Befürchten Sie nun einen Dammbruch?

Sr. Hildegard teuschl: Der Dammbruch ist schon längst passiert. Die Niederländer haben eben zu diesem Thema eine grundsätzlich andere Einstellung. Sie sagen: "Wir handeln ethisch und lassen dem Patienten seine Selbstbestimmung." Doch auf der anderen Seite gibt es Zahlen, wonach viele Tötungen nicht auf Verlangen des Patienten, sondern seiner Angehörigen geschehen. Damit die Tötung legal ist, fordert das niederländische Gesetz auch den "freien und beständigen" Wunsch eines Patienten. Doch in 13 Prozent der Fälle beträgt die Zeitspanne zwischen diesem geäußerten Wunsch und der Durchführung weniger als einen Tag! Die größte Angst der Menschen ist jene, im Sterben Schmerzen zu haben, alleine zu sein und nicht mehr über sich selbst bestimmen zu können. Wir sind sicher, dass man ihnen durch einen Ausbau der Palliativmedizin diese Ängste weitgehend nehmen kann. Die Freigabe der Euthanasie würde jedenfalls in Österreich mit seiner Überalterung einen ungeheuren moralischen Druck auf alte Menschen ausüben. Die merken ja: Ich falle zur Last, ich koste Geld. Also könnten sie sich gedrängt fühlen zu sagen: "Gib mir eine Spritze!"

die furche: Inwieweit ist Sterben eine Frage der Kultur?

Teuschl: Lange Zeit gab es eine gute Sterbekultur. Und noch heute ist in ländlichen Gegenden der Tod etwas Natürliches, etwas, dem man ins Auge sieht. Auch die Anteilnahme der Angehörigen ist dort meist eine andere. In der Anonymität der Städte, durch die zunehmende Berufstätigkeit der Jüngeren, die vielen kleinen Wohnungen und Singles hat sich das geändert. Durch die großen Fortschritte in der Intensivmedizin haben wir nun ein medizinisch gestaltetes Sterben. Doch wir kommen menschlich und finanziell immer mehr an unsere Grenzen.

die furche: Wie beurteilen Sie den Zugang der Ärzte zu Sterben und Tod?

Teuschl: Die Technik und das "Machen" stehen heute eindeutig im Vordergrund und sowohl die palliative Ausbildung als auch jene in Psychologie und Kommunikation kommen zu kurz. Solange außerdem die Ärzte das Sterben als Berufsversagen empfinden, werden sie davor Angst haben. Junge Ärzte denken da zwar anders - mit Palliativmedizin können sie aber zumindest in Österreich keine Karriere machen: Seit Jahren fordern wir daher einen Lehrstuhl für Palliativmedizin. Auch in den Medizin-Lehrplan müsste das Einzug halten - wie etwa in den Lehrplan der Pflegeschulen. Im "Palliative Care" ist jedenfalls ein interdisziplinärer Zugang gefordert: Ärzte, Pflegepersonal, Psychologen und Seelsorger müssen zusammenarbeiten. Nur so entsteht ein ethisches Konzilium. (Übereinkunft. Anm. d. Red.)

die furche: Hat man Sie jemals um Beendigung des Lebens gebeten?

Teuschl: Nein. Auch mein Bruder, der vor kurzem mit 57 Jahren an Leberkrebs gestorben ist, hat kein einziges Mal darum gebeten - obwohl er lange Zeit ganz anders gesprochen hat. Tag und Nacht haben wir ihn im Hospizteam betreut.

die furche: Was benötigen also Sterbende und ihre Angehörigen am meisten?

Teuschl: Die Zusicherung, dass alles getan wird, dass sie keine Schmerzen leiden müssen; und die kann man heutzutage geben. Das verlangt aber eine gute Ausbildung des Arztes - und viel Zeit. Es ist eine Kunst, Morphine täglich so einzusetzen, dass der Patient schmerzfrei ist und trotzdem wach bleibt. Das vielzitierte "Mitleid" bei aktiver Euthanasie ist dagegen eine Umdeutung. In diesem Fall hält es der Pflegende selbst nicht mehr aus und sagt, es wäre besser für den Kranken.

Die letzte Lebensphase ist jedoch (schmerzfrei) für den Menschen die Chance, letzte Dinge zu ordnen und selber loszulassen. Angehörige sollen dabei so gestützt werden, dass sie in der Lage sind, selbst zu betreuen und zu pflegen: durch die Möglichkeit einer Karenzierung, durch Hilfsdienste und durch die öffentliche Hand.

Das Gespräch führte Doris Helmberger

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