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Gefahr von Mißbrauch ist enorm

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Die liberale Position des Theologen Hans Küng zur „aktiven Sterbehilfe” veranlaßte den Wiener Moraltheologen Günter Virt zu kritischen Anmerkungen.

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Die liberale Position des Theologen Hans Küng zur „aktiven Sterbehilfe” veranlaßte den Wiener Moraltheologen Günter Virt zu kritischen Anmerkungen.

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Hans Küngs Buch kann man über weite Strecken bei seinem einleitenden Beitrag nur zustimmen: Zu dem, was er in gewohnt brillanter Sprache über die Vorbereitung auf das Sterben sagt, was er über eine einfühlsame und wahrhaftige Sterbebegleitung ausführt, zu seiner Position, die er bezüglich des Gehirntodes bezieht und so weiter. Dasselbe gilt auch für das, was er über die sittliche Verwerflichkeit erzwungener Euthanasie festhält und auch in dem, was er über die Schmerzstillung und die Forderung, einen Menschen in Frieden sterben zu lassen und in solchen Situationen nicht mehr unangemessene medizinische Zwangsmaßnahmen zur Lebensverlängerung einsetzen, ausführt.

Hier folgt Küng ganz den traditionellen Kriterien. Aber an diesem Punkt beginnt nun auch die Frage, ob diese Kriterien, die sich in die Begriffspaare direkt-indirekt, aktivpassiv, angemessene und außerordentliche beziehungsweise nicht mehr angemessene medizinische Interventionen zusammenfassen lassen, richtig dargestellt sind.

Hans Küng spricht von der „passiven Sterbehilfe oder Euthanasie mit Lebensverkürzung als Nebenwirkung: also indirekte Sterbehilfe durch Abbruch der künstlichen Lebensverlängerung” (Seite 45). Hier verwechselt er den Sinn der Unterscheidung direkt-indirekt mit dem Sinn der Unterscheidung aktiv-passiv. Als indirekte Sterbehilfe wird eine schmerzstillende Intervention bezeichnet, die aber unter Umständen als eine unausweichliche Nebenwirkung eine Lebensverkürzung in Kauf nimmt. Passiv hingegen ist eine Sterbehilfe, wenn auf eine Intervention verzichtet wird und dieser Verzicht direkt und nicht mehr indirekt zum Tod des Patienten führt. Erst in diesem Zusammenhang stellt sich die oft schwierige Frage nach den Maßnahmen die niemals unterlassen werden dürfen und solchen, die - weil sinnlos und unangemessen - einen Menschen am Sterben hindern, wenn er soweit ist.

Es fehlen Argumente

Völlig zurecht problematisiert Hans Küng nun am Ubergang zu seinem Plädoyer für Selbstverantwortung und damit auch - eingeschränkt für Tötung auf eigenes Verlangen - das traditionelle Argument von der ausnahmslosen Unverfügbarkeit des Lebens (Souveränitätsargument), die dem Menschen das Verfügungsrecht bestreitet. Es scheint aber, daß Küng nur dieses eine Argument kennt, das sowohl theologisch wie angesichts der modernen Medizin gleichermaßen in Frage gestellt wird. Die moderne Medizin verfügt über Menschenleben so oder so, ob sie etwas tut oder nicht, es kommt nur alles darauf an, daß es verantwortlich geschieht. Es fehlen in diesem Beitrag die viel differenzierten verantwortungsethischen Argumente, die gegen aktive Sterbehilfe sprechen und die eine genaue und präzise Auseinandersetzung mit den Argumenten der Befürworter aktiver Euthanasie notwendig machen. Unter den Pro-ponenten einer aktiven Sterbehilfe ist nämlich selbst umstritten, ob ein solches „Einschläfern” nur bei aktueller Bitte darum (einmal?, mehrmals?, schriftlich?, mündlich?) oder auch bei einer zurückliegenden Willenskundgabe aus jungen und gesunden Tagen erfüllt werden soll (wie

lange zurückliegend?); ob nur in der Terminalphase (wann beginnt diese? und wer stellt sie fest?) oder auch schon früher und ab ”wann?; vielleicht auch bei bloß vermutetem Patientenwillen oder auch auf Wunsch der Verwandten (aus welchen Motiven?); auch bei Gehirnschädigung und damit verbundener Beeinträchtigung der Lebensqualität (oft wird ja in der Diskussion Menschenwürde auf Lebensqualität reduziert) oder auch bei Behinderten? Schon diese heftige Debatte zeigt, daß der Wunsch eines Patienten schwerlich eindeutig festzustellen ist und man nie sicher sein, kann, ob der Mensch j nicht zu früh stirbt und seine letzte Lebensaufgabe bis in die emotionalen tiefen Schichten des Lebens hinein erfüllt hat, nämlich dieses Leben als Ganzes anzunehmen und in Frieden zu lassen.

Hans Küng macht nicht klar, warum die in der Tradition entwickelten medizinethischen Kriterien nicht ausreichen sollen, um ein menschlich sinnvolles Sterben und Abschiednehmen auch in oft tragischen Situationen besser zu gewährleisten als aktive Tötung. Die Gefahr des Mißbrauches, wenn man auf diese gutbegründeten und in der Erfahrung bewährten Unterscheidungen verzichtet oder sie mißversteht, ist enorm. Diese Kriterien in Frage zu stellen ist mit einer hohen Verantwortung, nicht nur individual-, sondern sozialethisch belastet: sie helfen nämlich in oft schweren Gewissensentscheidungen im Einzelfall die Grenzen zu markieren zwischen einem unsinnigen und damit unmenschlichen Zuviel und einem unverantwortlichen Zuwenig an medizinischer Intervention. Das gilt auch für das Standesethos der Ärzte und das damit gegebene Vertrauen in diesen Stand. Hier spielt sicher die

von Küng nicht erwähnte Deklaration des Weltärztebundes von 1987 eine viel wichtigere Rolle als der Hippokratische Eid: „Euthanasie, das heißt die beabsichtigte Beendigung eines Lebens, selbst auf dessen eigenen Wunsch oder auf Wunsch naher Angehöriger ist unethisch. Dies hindert den Arzt jedoch nicht daran, dem Wunsch eines Patienten zu folgen und das Sterben in der Endphase einer Krankheit seinen natürlichen Lauf gehen zu lassen.”

Ein zu einfaches Plädoyer

Diese Kriterien gelten aber vor al lern auch für die gesellschaftlichen Folgen, für die ein gewiß unverdächtiger - im Zusammenhang mit den Euthanasiemaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes schwer belasteter Zeuge angeführt sei. Knapp vor seinem Tod schrieb Professor Heyde: „Nach reiflicher Überlegung glaube ich, daß, ganz gleichgültig wie man zur Euthanasie steht, dieses Problem an seiner praktischen Undurchführbarkeit scheitert und zwar in jedem politischen System, einfach wegen der Unvollkommen-heit der Menschen, auch wenn sie noch so idealistisch gesinnt sind. Auch gut gemeinte Gesetzestexte können daran nichts ändern.”

Es stimmt schon, daß die Theologen bei der Klärung dieser schwierigen Frage mit differenzierteren Argumenten ihren Beitrag leisten sollen (vergleiche Seite 51), aber sicher nicht so einfach mit einem Plädoyer, in dem Selbstverantwortung und aktive Euthanasie unter der Hand gleichgesetzt werden.

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