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Problem Euthanasie

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Wir haben beim Obersten Gerichtshof bezüglich der rechtlichen Situation recherchiert: Nach der österreichischen Rechtslehre sei keine wie immer geartete „Sterbehilfe" vorgesehen. Hinzu kommt ein typisch" österreichischer Ermessensspielraum: Er besagt, daß bei Strafprozessen der ärztliche Sachverständige feststellen müsse, ob' beim Patienten bereits ein so großer Teil der Gehirnsubstanz verlorengegangen sei, daß man schon von „klinischem Tod" sprechen kann.

Weiters ist daraufhinzuweisen, daß sich in der von Foregger-Serini besorgten Ausgabe des österreichischen Strafgesetzbuches (2. Auflage, 1978) zu Paragraph 75 - Mord- folgende Anmerkung der Herausgeber findet: „Die sogenannte aktive Sterbehilfe - Euthanasie - ist demnach Mord oder Totschlag. In welchen Fällen die sogenannte passive Sterbehilfe, vor allem die Einstellung meist sehr aufwendiger weiterer Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Körperfunktionen eines Sterbenden (z. B. Abschalten der Herz-Lungen-Maschine), mit den ärztlichen Pflichten und dem Gesetz vereinbart werden kann, ist noch nicht einwandfrei geklärt. Schmerzlinderung bei Sterbenden, mag damit auch eine gewisse Lebensverkürzung verbunden sein, ist jedenfalls gerechtfertigt, wenn sie medizinisch notwendig ist."

In einer Zeit, in der auf gesellschaftliche Aspekte so viel politischer Wert gelegt wird, klingen „aufwendige weitere Maßnahmen" allerdings nach düsterstem Kapitalismus.

Wir haben auch beim Verfassungsgerichtshof recherchiert. Dort lautete die Auskunft: „Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben." Dies hält Artikel 2 der Menschenrechtskonvention fest. Dies ist wohl eine eindeutig positiv aufgeladene Formulierung.

Nun zur Euthanasie. Der Name kommt aus der griechischen Antike und bedeutet „Schöner, guter, schmerzloser Tod".

Was die heutige Rechts- und Begriffsauffassung anbelangt, gilt folgendes:

Erstens: Die Sterbehilfe für unheilbar Kranke ohne Lebensverkürzung (durch Verabreichung schmerzstillender, betäubender Medikamente) ist rechtlich unproblematisch.

Zweitens: Bei der Sterbehilfe mit Lebensverkürzung (unter Verzicht auf vielleicht mögliche betäubende Medikamente) ist es zur Zeit rechtlich umstritten, ob sie als Totschlag durch Unterlassung zu werten ist.

Drittens: Die indirekte Euthanasie ist gegeben, wenn eine Lebensverkürzung des Sterbenden auf Grund der gesetzten Maßnahmen einsetzen kann und sich der Arzt damit solidarisiert (Eventualvorsatz). Sie liegt selbst dann vor, wenn der Arzt „hofft", daß Lebensverkürzung nicht eintreten werde, denn Hoffen ist immer noch ein Unsicherheitsfaktor, wodurch es zur bewußten Fahrlässigkeit kommt. In beiden Fällen muß Tötungsabsicht angenommen werden.

Viertens: Die direkte Euthanasie liegt vor, wenn ein Arzt das Leben des Patienten bewußt verkürzt, um dessen Qualen zu beenden. Dolus directus: eindeutig ein Tötungsdelikt

Im griechisch-römischen Kulturkreis war Euthanasie kein medizinisches Problem. Es war keine Angelegenheit, die den Arzt betraf. Erst seit 1605 sah man die Schmerzlinderung bei Sterbenden als medizinische Angelegenheit an. Daraus resultierte im 19. Jahrhundert die „Euthanasie Me-dica", eine Richtung, die mit Nachdruck vor einer lebensverkürzenden Sterbehilfe warnte.

Weiters zur „eigentlichen Euthanasie": Sie ist die Vernichtung sogenannten „lebensunwerten Lebens": Die Tötung mißgebildeter Zeitgenossen, psychisch Kranker (wieder eine quallenartige Gummidefinition) und „sozial unproduktiver Menschen", bis hin zum Rassenmord der NS-Zeit.

Schon im Jahr 1913 lösten sozialdarwinistische Strömungen heftige Diskussionen um die Straffreiheit für Euthanasie mit geplanter Lebensverkürzung aus. In den dreißiger Jahren ist das Recht des Individuums auf einen „angenehmen Tod" im anglo-amerikanischen Raum gefordert worden.

So human dies auch für manche Ohren klingen mag - auch Adolf Hitler hatte da und dort einige Vorbilder, wenn sie auch von anderen Motivationen mobilisiert gewesen sein mögen. Im Jahr 1920 etwa erschien gerade rechtzeitig für die spätere nationalsozialistische Ideologie eine Schrift von Binding und Hoche unter dem Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens". Es ging darin nicht nur um Sterbende, sondern auch um die Tötung von „Menschenhülsen" und „Ballast-Existenzen".

Zum Schluß noch ein religiöser Aspekt. Nach heutiger Ansicht führender Theologen verbleibt die Seele nach dem klinischen Tod noch einige Zeit im Körper. Nicht etwa deshalb, damit beim Toten noch die Haare und Nägel weiterwachsen, sondern damit der Seele Zeit bleibt; sich mit Gott auszureden, zu bereuen, zu beichten und zu beten. Atheisten, wirkliche Marxisten, Agnostiker und Leser, die sich zu keiner Konfession bekennen, werden allerdings mit dieser Aussage nicht zu Rande kommen.

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