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Kein Tötungsrecht

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Der Mensch müsse, so wird gefordert, das Recht und die Möglichkeit bekommen, seinem Leben freiwillig ein Ende zu machen. Eine humane Medizin kann solche Bestrebungen nur bedauern und ihnen entgegentreten. Sie hat sich bisher mit aller Kraft bemüht, Depressive und Verzweifelte aufzurichten und sie vom Gedanken an die Selbsttötung abzubringen. Der Lebenswille ist sehr tief in der menschlichen Natur verwurzelt. Niemand wird ohne die schwersten Gründe seinem Leben ein Ende machen. Sehr häufig kommen Selbsttötungsabsichten durch soziale Isolation zustande. Dann braucht der Patient vor allem Gespräch und persönliche Zuwendung, um wieder einen Sinn im Leben zu finden und dieses bejahen zu können.

Selbstmord ist gewöhnlich nicht eine Tat der Freiheit, sondern der Verzweiflung und der Unfähigkeit des Menschen. Dieser hat nicht mehr die Kraft, die Last seines Lebens weiterzutragen und will sie wegwerfen. Manchmal will der Selbstmordkandidat durch seine Tat die Aufmerksamkeit einer bestimmten Person wiedergewinnen, manchmal fehlt ihm einfach die soziale Einbettung und Geborgenheit, in der man sein Dasein als lebenswert empfindet.

Der Verein für Lebenshilfe bemüht sich nun nicht. Niedergeschlagenen und Verzweifelten zu helfen, sondern er bestätigt sie in ihrer Haltung.

Ein Hauptargument, das Hans Atrott für Selbsttötung und Euthanasie vorbringt, sind die unerträglichen Schmerzen mancher Patienten. Die Medizin verfügt zwar heute über sehr wirksame Mittel der Schmerzbekämpfung, so daß es nach Meinung von Fachleuten eigentlich ein Kunstfehler ist, wenn solche Schmerzen nicht weitgehend gedämpft und gelindert werden. Zudem haben entsprechende Untersuchungen gezeigt, daß es sich hier nicht sosehr um ein Problem der Schwerkranken und Sterbenden handelt, sondern vielmehr um die Angst der Gesunden vor Krankheit und Schmerz.

Es hat sich herausgestellt, daß viele Menschen in gesunden Tagen die Euthanasie befürworten, aber entsetzt sind und nichts mehr davon wissen wollen, wenn sie in schwerer Krankheit noch einmal auf diese Möglichkeit angesprochen werden. Man sollte deshalb nicht einfach der Angst von Menschen recht geben, die an Suizid denken, sondern ihnen helfen, die Angst zu überwinden.

Das heißt nicht, daß der Tod über Gebühr künstlich hinausgezögert und der Sterbeprozeß dadurch verlängert werden müßte, wohl aber, daß man den Tod aus der Hand Gottes annimmt und ihn nicht im Sinne einer Selbstzerstörung herbeiführt.

Das entscheidende Argument gegen die Selbsttötung ist ein theologisches: Wer liebt, der glaubt an den Sinn seines Lebens, weil seine Existenz in dieser Liebesbeziehung einen Wert darstellt. Ebenso gilt: Wer an Gott glaubt und ihn liebt, der glaubt auch an den Sinn seines eigenen Lebens. Er wird es nicht wegwerfen, sondern um dieses Sinnes willen weiterführen, bis ihm der Tod verfügt ist.

Dieses Argument wird freilich ein Nichtgläubiger zunächst nur in der zwischenmenschlichen Liebe nachempfinden, darüber hinaus nur noch ahnen können.

Wenn man aber jedes Argumentieren mit dem Glauben mit Hinweis auf unsere säkulare Gesellschaft zurückweist, sollte man sich überlegen, was die Alternative zu dieser Sicht ist. Wenn der Wert menschlicher Existenz nur noch von Wohlbefinden und Schmerzfreiheit abhängt, drohen gefährliche Ausweitungen des Tötungsrechts. Dann wird man nicht mehr einsehen, warum es den eigenen Willen des Todeskandidaten braucht, um aktive Euthanasie zu vollziehen.

Körperlich geschädigte Kinder, Bewußtlose oder nicht mehr Zurechnungsfähige könnten bald das Opfer von Tötungsaktionen werden. Das menschliche Leben kann nur solange prinzipiell unantastbar sein, wie man an eine nicht von äußerem Wohlbefinden abhängige fundamentale „Heiligkeit" der Menschenwürde glaubt.

Der Autor ist Professor für Moraltheologie in Innsbruck

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