Matthias Beck: Verbot von Sterbehilfe entlastet

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Das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts wird dem Menschen existenziell nicht gerecht. Österreichs bestehendes Verbot kann vielmehr entlastend wirken. Ein Gastkommentar.

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Das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts wird dem Menschen existenziell nicht gerecht. Österreichs bestehendes Verbot kann vielmehr entlastend wirken. Ein Gastkommentar.

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Die jüngste Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichtes zur Frage des assistierten Suizides hat ein Echo von „großartig“ bis „katastrophal“ gefunden. Interessant ist insbesondere, dass das Gericht das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben als Teil des Persönlichkeitsrechtes sieht, das im Grundgesetz verankert ist: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht […] umfasst ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“, heißt es. Dieses Persönlichkeitsrecht gründet in der Menschenwürde. „Die selbstbestbestimmte Verfügung über das eigene Leben ist [...] unmittelbarer Ausdruck der der Menschenwürde innewohnenden Idee autonomer Persönlichkeitsentfaltung.“ Oder: „Die Achtung und der Schutz der Menschenwürde und der Freiheit sind grundlegende Prinzipien der Verfassungsordnung, die den Menschen als eine zur Selbstbestimmung und Eigenverantwortung fähige Person begreift.“

Dies alles gilt auch, obwohl das Verfassungsgericht für die Gesellschaft gewisse Gefahren sieht: Es hält die Einschätzung des Gesetzgebers für nachvollziehbar, „dass geschäftsmäßige Suizidhilfe zu einer ‚gesellschaftlichen Normalisierung‘ der Suizidhilfe führen und sich der assistierte Suizid als normale Form der Lebensbeendigung insbesondere für alte und kranke Menschen etablieren könne, die geeignet sei, autonomiegefährdende soziale Pressionen auszuüben“. Zudem sei ein häufiges Motiv „der Wunsch, Angehörigen oder Dritten nicht zur Last zu fallen“. Trotz der Bedenken, dass der Einzelne in seiner Entscheidung möglicherweise nicht frei und selbstbestimmt ist (Druck von außen) oder gravierende Folgen für die Gesellschaft eintreten könnten (assistierter Suizid als normale Form der Lebensbeendigung), hält das Gericht daran fest, dass „dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung“ bleiben müsse.

Autonomie wird höher bewertet als Lebensschutz

Letztlich scheint man also die Pflicht zum Schutz der Selbstbestimmung des Einzelnen höher zu bewerten als den vom Staat zu garantierenden Lebensschutz. Hier stellt sich aus theologischer Sicht die Frage, ob die Autonomie des Menschen wirklich das höchste Gut ist oder ob der Begriff der Menschenwürde nicht gerade beinhaltet, dass das Leben selbst dem menschlichen Zugriff entzogen und unverfügbar ist. Das Verbot der Suizid-Beihilfe in Öster­reich eröffnet hier gar nicht erst den Raum für eine Gewissensentscheidung. Das kann für Ärzte und Angehörige entlastend sein. Selbst wenn das deutsche Urteil rein innerweltlich aus seiner Logik heraus stringent argumentiert, öffnet es doch die Tür weit für eine ausdrückliche gesetzliche Zulassung des assistierten Suizides (mit allen praktischen Folgen). Existenziell wird es dem Menschen in seiner Beziehung zu sich selbst, zum anderen und zu Gott nicht gerecht.

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