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Sterben ist eine Phase des Lebens. Würdevolles Leben im Sterben ist besser möglich, wenn der Mensch darin Unterstützung erfährt.

Die Wände der Station sind mit Bildern der Patienten gestaltet. Aus dem Badezimmer tönt Musik und es duftet nach Aromaölen. Die Patienten dürfen ausschlafen, sie können essen, wann sie wollen und Besuche den ganzen Tag über empfangen. Die Angehörigen können bei ihnen bleiben. Eine Frau, krebskrank, mit einem bösartigen Tumor im Gehirn, hat Mandalas ausgemalt. Leuchtende und intensive Farben, dann düstere, dunkle Farben, kurz vor ihrem Tod hat sie nur noch Pastellfarben verwendet.

Ein Universitätsprofessor mit Gehirnmetastasen und epileptischen Anfällen hat noch drei Studenten die Dissertation abgenommen. Danach hat er sein Begräbnis organisiert und ist ruhig verstorben. Im Meditationsraum wurde auch eine Hochzeit gefeiert. Ein Herzenswunsch einer Betroffenen.

Die Phase der Akzeptanz der eigenen Sterblichkeit schaffen wenige, die meisten verbleiben in der Phase der Depression. "Unsere Hauptaufgabe ist die Rehabilitation. Der Patient soll nicht von Schmerzen und Symptomen wie Schlaflosigkeit oder Juckreiz, beherrscht sein. Nur dann kann er sich mit dem Lebensende auseinandersetzen", sagt Michael Preitschopf, ärztlicher Leiter der Hospizstation St. Raphael in der Krankenanstalt des göttliches Heilandes in Wien. Es sei wichtig, dem verbleibenden Leben noch einen Inhalt zu geben. Was will man noch erreichen, was ist noch wichtig? "Das Schlimmste ist sonst das Warten", sagt der Arzt.

Die 1992 eröffnete Hospizstation ist in das Krankenhaus integriert, was viele Vorteile hat, weil die ganze Infrastruktur vor Ort ist und verschiedene Therapeuten, Sozialarbeiter und Seelsorger verfügbar sind. Das Team von drei Ärzten, dreizehn Krankenschwestern hat seit der Eröffnung etwa 850 Patienten betreut und bisher einen Suizid zu bedauern. Zehn Prozent der Patienten können zu Hause sterben, ein Viertel geht vorübergehend nach Hause und kommt wieder. Die Station hat keine Warteliste, sondern einen Warteordner. Die zehn Betten sind immer belegt, nur wenn jemand stirbt, durchschnittlich jeden dritten Tag, wird ein Bett 24 Stunden freigelassen. Die Hauptstärke ist "Zeit haben" aufgrund der großzügigen Personalsituation. "Das beste Medikament ist das Wort, das Gespräch", ist Preitschopf überzeugt. Bei dieser Arbeit ist man mit Leiden, das man nicht mehr heilen kann, mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontiert: "Ich bin in der selben Situation, nur noch nicht soweit".

Die Natur stirbt zur Herbstzeit. Wir gedenken zu Allerheiligen und Allerseelen den Toten. Doch Tod und Sterben sind in unserer heutigen Gesellschaft nach wie vor eher verdrängte als bewältigte Themen. Der bekannte Psychiater Erwin Ringel meinte: "Es ist ein interessantes Phänomen, dass wir zwar wissen, dass wir aber so tun, als wüssten wir es nicht und immer nur annehmen, dass alle anderen sterben nur wir selber am Leben bleiben."

Konsens bei einer Podiums- und Publikumsdiskussion in Wien zum Thema "Sterbehilfe - Sterbebegleitung. Beispiel Holland - der richtige Weg?" war dann auch, dass es notwendig sei, eine Kultur des Sterbens neu zu entwickeln. In der Hospizarbeit werde das auch versucht. "Früher wurde den Leuten der Sterbende nicht weggenommen. Sie mussten sich um den Sterbenden kümmern. Der Tote blieb drei Tage bei den Lebenden. Man redete mit dem Toten, man ließ ihn nicht alleine und verabschiedete sich", sagt der Soziologe Roland Girtler.

Preitschopf von der Hospizstation erzählt von Migrantenfamilien, die vor allem beim Sterbenden bleiben und ihn begleiten. Man könne da von anderen Kulturen viel lernen.

Das Böse vermeiden?

Das "Gesetz über die Überprüfung bei Lebensbeendigung auf Verlangen und bei Hilfe bei der Selbsttötung" wurde im Frühjahr von der holländischen Regierung beschlossen und sorgt immer wieder für heftige Diskussionen. Das holländische Modell gesteht den Ärzten zu, unheilbar Kranke mit unerträglichen Leiden, deren Situation aussichtslos ist, wenn sie mehrmalig den Wunsch äußern sterben zu wollen, - unter Beibeziehung eines zweiten Arztes - töten zu dürfen ohne das sie angezeigt werden. Die holländische Regierung ist überzeugt, das Böse eher durch Regeln als durch Tabus vermeiden zu können.

In Österreich fand im Mai eine parlamentarische Enquete zum Thema "Solidarität mit unseren Sterbenden" mit großem Besucherandrang statt. Regierung und Opposition, Kirchen in Österreich sprechen sich alle gegen die aktive Sterbehilfe und für die Förderung der Sterbebegleitung in Österreich aus. Für Peter Kampits, Philosophieprofessor an der Universität Wien ist es falsch, Sterbebegleitung und Sterbehilfe so gegenüber zu stellen. "Wir sollten beides in einer Einheit sehen." Man solle den Weg der Hospizarbeit weitergehen, aber es gebe Einzelschicksale, die trotzdem nicht in Würde sterben können. Auch über die Art des Sterbens soll man autonom entscheiden können wie über die Art des Lebens. Ein Recht auf Leben solle nicht zu einer Pflicht zum Leben werden. Kampits gibt zu bedenken, dass die passive Sterbehilfe akzeptiert wird und es eine Grauzone gebe. Dieter Schrage, Pensionistenvertreter der Grünen ist für eine Entkriminalisierung, denn selbst wenn man alle Standards in der Hospizarbeit erreicht und sich eine Kultur des Sterbens entwickelt, verbleibe immer noch ein "unüberwindbarer Rest". Schrage hat gegenüber dem holländischen Modell insofern Bedenken, da er den ökonomischen, sozialen Druck auf Sterbende fürchte und zitiert die altkatholische Priesterin Karin Leiter :"Wenn wir ein Recht auf Sterben erringen, kann die Pflicht zum Sterben kommen".

Für den Unfallchirurgen Werner Vogt ist die endgültige Hilfe, die durch das holländische Gesetz ermöglicht wird, eine Tür, die man nicht mehr zubringt. Franz Zdrahal von der mobilen Hospiz Caritas, die bisher 3.000 Patienten betreut hat, befürchtet, dass man vorerst mit selbstbestimmtem Sterben beginnt und dann übergeht, Mensch zu töten, die den Todeswunsch nicht geäußert haben. "Leute, die selbstbestimmtes Sterben fordern, haben oft keine Erfahrungen mit Sterbenden. Sie haben meistens Einzelfälle erlebt, die schaurig und unzufriedenstellend abgelaufen sind."

Zdrahal hat in seiner langjährigen Tätigkeit keinen Suizid erlebt. Die fünf Suizidversuche waren für ihn "Demonstrationsversuche, die uns gezeigt haben, dass wir uns nicht ausreichend um sie gekümmert haben". Die Patienten haben genügend Medikamente für Notfälle in der Nacht zuhause. Damit könnten sie Suizid begehen. "Jeder kann das für sich alleine. Man braucht ihm nicht helfen." Der Arzt kritisiert die nach wie vor mangelnde Finanzierung. "Die Politiker engagieren sich verbal, aber bei Taten, da sind sie anderwärtig beschäftigt", so Zdrahal.

Eine Zuhörerin gibt bei der Podiumsdiskussion zu bedenken, dass es leicht sei, über Schwerkranke zu reden, Pro und Contra der Thematik abzuwägen. "Sie haben oft keine eigene Stimme mehr und können manchmal nur über ein Augenzwinkern mitteilen, ob sie noch wollen oder nicht." Auch sich selbst töten können sie dann oft nicht mehr.

"Der Mensch ist ein Wesen, das anderer Menschen bedarf. Der Mensch soll nicht alleine gelassen werden - nicht bei der Geburt und auch nicht beim Sterben", sagt Roland Girtler. Warum sich mit dem verdrängten Thema Sterben auseinandersetzen, das sowieso unabänderlich ist? Weil es zwischen Sterben und Sterben einen Unterschied gibt. Auf den kommt es an. Und um ein menschenwürdiges Sterben (wieder) gewährleisten zu können, muss man darüber nachdenken.

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