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Modell zu neuem Generationenveitrag

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„Mir kommt es oft so vor, daß die Gesellschaft - wir alle - es am liebsten hätte, wenn der Sterbende zum Friedhof geht, sich ein Grab aussucht und dann dort stirbt. Damit belastet er uns am wenigsten.“

In dem sehenswerten Fernsehfilm „ Plötzlich und unerwartet“ fiel unlängst dieser erschütternde Satz. Befragungen von Passanten vor der Kamera ergaben: Mit dem Thema Sterben setzen sich wenige auseinander. Kurz und schmerzlös soll der Tod sein. Damit andere nicht belästigt werden, soll es schnell gehen.

. Sehen sich Todkranke nur als Belastung, oder gar Belästigung, für ihre Mitmenschen, werden sie von diesen nur als solche empfunden? Führt eine solche Sicht der Dinge nicht „todsicher“ zur Denkweise des australischen Philosophen Peter Singer, der im „Club 2“ aktive Sterbehilfe „aus Mitleid“ propagieren durfte (FURCHE 29/1989)? Aus Mitleid mit den Leidenden oder mit den von diesen „belästigten“ Mitmenschen? Führt diese Sicht nicht letztlich zu den Morden von Lainz?

Auch die „Tötung auf Verlangen“ ist eine Tötung. Daß dieses „Verlangen“ in Hospizen, wo Todkranke aufopfernd betreut werden und Gesprächspartner haben, praktisch nicht auftritt, zeigt wohl deutlich, was in der Regel einen Schwerkranken zum Wunsch nach aktiver Sterbehilfe motivieren dürfte: das Verhalten seiner Umgebung, die sich um ihn nicht kümmern will oder - etwa in der Hektik eines Spitalsbetriebes - nicht kümmern kann.

Die klare Absage an jede aktive Sterbehilfe bedeutet nicht - und so sehen es auch Theologen, so sahen es auch österreichische Intensivmediziner auf der Van-Swieten-Tagung 1988 -, daß Leben um jeden Preis verlängert werden muß: Es ist ein Unterschied, ob man den Lebensfaden durchschneidet oder nur aufhört, dessen Abreißen mit allen Mitteln zu verhindern.

Vor allem aber, und darauf wies schon im Dezember 1977 die Pastoralkommission Österreichs mit dem in die Zukunft weisenden Text „Menschenwürdiges Sterben, Sterbebeistand und Euthanasie“ hin,

geht es um Sterbebeistand, um die persönliche Auseinandersetzung mit dem Kranken und seinem Leiden. Die aber gelingt sicher eher in einem Hospiz oder zu Hause und sie bereichert meist beide: den Todkranken und die ihn begleitenden Personen.

„Ich glaube, es ist eine Gnade, wenn man einen Sterbenden begleiten kann“, hieß es im eingangs genannten Film. Auch die Auseinandersetzung mit einer eigenen schweren Krankheit, die sie überstehen konnte, empfand dort eine Interviewte als eine Art Gnade, zumindest als große Chance, das Leben nun mit anderen Augen neu anzugehen.

Schließlich verwies eine Betroffene auf Erfahrungen in einer Selbsthilfegruppe von Krebskranken und meinte, für Menschen, denen der Tod nahe bevorsteht, müsse es „so eine Art Begleitung auf dem Weg“ geben, analog zur Schwangerengymnastik in der Gruppe vor einer Geburt.

Um Geburt und Sterben ging es erst Mitte Oktober 1989 auf einem Symposium von mehr als hundert europäischen Bischöfen in Rom, von dem der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner und die Caritas-Socialis-Schwester Hildegard Teuschl am 19. Oktober im Wiener Bildungshaus Lainz berichteten.

Der Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini stellte in Rom eine „medizinische Vereinnahmung“ von Geburt und Tod fest. Es lag den Bischöfen fern, die Medizin zu verteufeln. Vor allem soziale, politische und ökonomische Veränderungen seien notwendig, damit die Menschen aus den Krankenhäusern wieder in die Gesellschaft geführt werden.

Zulehner forderte, daß die Kirche für eine bessere Ausbildung der Krankenhausseelsorger und deren intensivere Einbindung in die Betreuung sorgen sollte. Das beim Symposium in Rom vorgestellte Modell eines neuen „Generationenvertrages“ faßt der Wiener Pastoraltheologe so zusammen: „So wie die Eltern ihre Kinder auf die Welt bringen, werden in Zukunft die Kinder ihre Eltern menschenwürdig aus der Welt begleiten.“

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