Massives Votum gegen Sterbehilfe

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Tötung auf Verlangen zu legalisieren, forderte kürzlich eine Initiative. Für umfassende Sterbebegleitung plädierte hingegen das Institut für Ethik in der Medizin.

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Tötung auf Verlangen zu legalisieren, forderte kürzlich eine Initiative. Für umfassende Sterbebegleitung plädierte hingegen das Institut für Ethik in der Medizin.

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dieFurche: Das Institut für Ethik in der Medizin nahm kürzlich zu Fragen der Sterbegleitung Stellung. Was waren die wichtigsten Aussagen?

Günter Virt: In seiner letzten Sitzung hat sich der wissenschaftliche Beirat des Instituts mit der Reform des Medizinstudiums befaßt. Im Vordergrund der Diskussion stand die Frage einer optimalen und menschenwürdigen Sterbebegleitung. Da waren uns zwei Anliegen ganz besonders wichtig. Das erste: Es geht um die Palliativ-Medizin, also die lindernde Medizin, die Platz greift, wenn die naturwissenschaftlich-kurative Medizin an ihre Grenzen stößt. Dann geht es darum, den Menschen nicht einfach ins Nichts fallen zu lassen, sondern ihm das vielleicht Entscheidende zu geben: menschliche Begleitung, Schmerzlinderung umfassender Art (es geht nicht nur um physische Schmerzen), Hilfen zur Verbesserung der Lebensqualität und eine umfassende gute Pflege. International ist es klar, daß dies ein anerkanntes Ziel der Medizin und ein eigener Gegenstand ist. In Österreich sind wir diesbezüglich noch ziemlich hinten. Unseres Erachtens nach müßte dieses ganz wichtige Ziel der Medizin ins Bewußtsein der Studenten kommen. Und es müßte ein eigenes Fach geben, daß dieses Anliegen schon in der Grundausbildung an die Studenten heranträgt.

dieFurche: Hat es auf diesem Sektor neue Erkenntnisse gegeben?

Virt: Gerade die Palliativ-Medizin hat in letzter Zeit enorme Fortschritte gemacht. Heute kann man die physischen Schmerzen weitgehend ohne Lebensverkürzung stillen. Es geht um eine ausreichende und rechtzeitige Schmerzstillung, an der der Patient - der Experte seines Schmerzes - selbst beteiligt ist. Es dürfen die Schmerzen auch nicht einseitig nur physisch gesehen werden. Es leidet ja nicht nur ein Körper, sondern ein Mensch. Die lindernde Medizin muß umfassend die Leiden des Patienten behandeln.

dieFurche: Sie sprachen noch von einem zweiten Anliegen, das in der Stellungnahme artikuliert worden ist ...

Virt: Es geht in der Ausbildung nicht nur um eine Frage des technischen Know-hows. Auch das ethische Unterscheidungsvermögen muß geschärft werden. In der öffentlichen Debatte zeigt sich das ja auch immer wieder: Unter Hinweis auf die Autonomie des Patienten wird gefordert, daß Ärzte auf Wunsch des Patienten diesen töten dürfen. Dabei ist ein wesentlicher Unterschied, ob ich einen Patienten in Frieden sterben lasse oder ob ich ihn aktiv töte. Dieser Unterschied besteht in der Ursache des Sterbens und in der Intention. Er wird oft verwischt.

dieFurche: Ist die Stellungnahme also auch ein Antwort auf die kürzlich in Österreich gestartete Initiative zur Legalisierung der Sterbehilfe?

Virt: Es gibt immer wieder Initiativen von kleineren Gruppen. Mir ist aufgefallen, daß es auch in der medialen Aufbereitung dieses Themas sehr viel Begriffsverwirrung gegeben hat. Ich komme auf den Begriff Autonomie zurück: Er bedeutet, daß kein Patient gegen seinen Willen behandelt oder weiterbehandelt werden darf. Man darf nicht gegen den Patientenwillen dessen Sterben qualvoll verlängern. Das ist grundsätzlich geklärt. Es geht allerdings darum, wie dieser Wille in der Praxis ernstgenommen wird. Autonomie heißt aber nicht x-beliebige Wunscherfüllung. Der Sterbende bleibt ein sittlich verantwortlicher Mensch. Da findet Begriffsverwirrung statt. Autonomie heißt nicht, daß man ein Recht hat, von anderen alles zu verlangen. In der Krankheit und im Sterben können nicht alle Wünsche erfüllt werden. Autonomie heißt Selbstbestimmung nach ethischen Grundsätzen.

dieFurche: Gibt es allgemein anerkannte?

Virt: Da sind auch sozial-ethische Aspekte zu bedenken. Wenn eine Gesellschaft ihren Ärzten zubilligt oder ihnen zumutet zu töten, so bedeutet das, daß sich das seit Jahrtausenden bewährte Ethos der Ärzte ändern würde. Patienten und Sterbende würde unweigerlich unter individuellen und sozialen Druck geraten. Erfahrungen im Ausland zeigen, daß es keine wirklich sicheren Möglichkeiten gibt, Mißbrauch zu verhindern.

dieFurche: Sprechen Sie von den holländischen Erfahrungen?

Virt: Unter anderem auch. Die neuesten Zahlen dokumentieren, daß rund 1.000 Patienten ohne ausdrücklichen Wunsch getötet wurden. Tendenz steigend. Es hat Fälle gegeben, da wurden schwerbehinderte Kinder getötet. Und es geht auch schon um die Problematik, daß man dem Wunsch physisch gesunder, aber depressiver Patienten, die getötet werden wollen, folgt. Selbst unter den Befürwortern ist keine Einhelligkeit zu erzielen, wann und unter welchen Voraussetzungen Sterbenachhilfe geleistet werden dürfe.

dieFurche: Kann man einen solchen Wunsch eindeutig feststellen?

Virt: Nein. In den Hospizen, wo umfassend Sterbebegleitung stattfindet, macht man die Erfahrung, daß ein solcher Wunsch kaum zu hören ist. Und selbst wenn er einmal geäußert wird, kann man ihn im Gespräch klären. Man muß sich fragen, wie sehr dieser Wunsch zu sterben, nicht gesellschaftlich diktiert ist. Wie weit ist er ein verdeckter Hilferuf? Befindet sich ein Sterbender in einer Umgebung, die dem Arzt zu töten zubilligt, ist der Schritt zur Erwartung, daß der Patient diesen Wunsch auch äußert, nicht mehr groß.

dieFurche: Die Debatte um die Sterbehilfe findet seit Jahrzehnten statt. Wieso wird dieses Anliegen immer wieder geäußert und muß immer wieder abgewehrt werden?

Virt: Diese Diskussion speist sich aus der Angst, allein, mit Schmerzen sterben zu müssen. Sie fürchten sich davor, gegen oder ohne ihren Willen weiterbehandelt zu werden. Diese Ängste muß man in der Bevölkerung abbauen - eben durch das, was wir in dieser Stellungnahme fordern: eine Palliativ-Medizin von Anfang an und eine entsprechende Weiterbildung. Dann kann jeder sicher sein, daß er in dieser Notsituation Ärzten begegnet, die ihm die Schmerzen wirklich stillen - und zwar umfassend.

dieFurche: Sehen Sie eine Beziehung zwischen dieser Debatte um die Sterbehilfe und dem um sich greifenden Nützlichkeitsdenken, das ja auch am Lebensbeginn zum Tragen kommt?

Virt: Das ist schwer zu beantworten. Von der Ethik her sollte man klar unterscheiden können, daß sich die Probleme am Beginn des Lebens und an dessen Ende sich nicht spiegelbildlich gleich stellen. Daß das Nützlichkeitsdenken zunehmend eine Rolle spielen könnte, mag dadurch erhellen, daß wir eine wachsende Zahl hochbetagter, chronisch kranker Menschen haben werden. Sie stellen auch eine finanzielle Belastung für das Gesundheitsbudget dar. Fängt man damit an, Tötung auf Verlangen zu fordern, so öffnet man eine Türe zu einem Weg, der a la longue zur Feststellung führt, daß der Mensch in den letzten Lebensmonaten etwa die Hälfte des gesamten Gesundheitsbudgets seines ganzen Lebens verbraucht. Da kommt man leicht auf die Idee, durch die Abkürzung dieser Phase zu sparen.

dieFurche: Heißt das Votum des Beirats, daß die große Mehrheit der Universitätslehrer Sterbehilfe ablehnt?

Virt: Ja. An diesem Senatsinstitut ist die ganz Universität beteiligt. Im Beirat sind fast alle Fakultäten vertreten. Es handelt sich um den Dialog mit interdisziplinärer Kompetenz. Die Folgen sind von den verschiedensten Blickwinkeln her bedacht worden.

dieFurche: Würden Sie sich gesetzliche Maßnahmen zur Absicherung dieses Anliegens wünschen?

Virt: In Österreich ist die rechtliche Situation klar. Die Tötung auf Verlangen ist strafbar, ebenso die Beihilfe zum Suizid. Auch ist klar, daß niemand gegen seinen Willen behandelt werden darf. Allerdings gibt es Mängel bei der Umsetzung einer berechtigten Patientenautonomie.

Das Gespräch führte Christof Gaspari.

Zur Person Ein Moraltheologe, der Siebentausender bezwang Günter Virt ist 1940 in Wien geboren, absolviert hier die Schule und studiert ab 1958 zunächst Pharmazie und dann Theologie. 1965 wird er zum Priester geweiht. In den Jahren bis 1969 ist er Kaplan, zunächst in Mödling, dann in Wien-Altmannsdorf. Darauf folgen zwei Jahre als Studentenseelsorger in Wien. Nach seiner Promotion zum Doktor der Theologie wird er 1970 Assistent am Wiener Institut für Moraltheologie. Nach seiner Habilitation 1981 folgt er Berufungen an die Lehrkanzeln für Moraltheologie zunächst in Paderborn und dann in Salzburg. Seit 1986 ist er Vorstand am Institut für Moraltheologie in Wien und seit 1993 Leiter des Instituts für Ethik in der Medizin der Wiener Universität. Günter Virt ist ein begeisterter Bergsteiger, der sowohl auf Erstbesteigungen als auch auf die Bezwingung von Siebentausendern - 1970 ohne Sauerstoffgerät - zurückblicken kann. Noch heute erholt er sich am besten bei Berg- und Skitouren.

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