Ein Akt postmortaler Nächstenliebe

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Über die rechtlichen und ethischen Aspekte der Organspende scheiden sich die Geister. Kritisiert wird vor allem die mangelnde Information Angehöriger

Seit fast 20 Jahren sorgt in Österreich die Widerspruchslösung nachhaltig für Diskussion. Kritiker wie Andreas Kirchmair, Präsident des Vereins "Werk für menschenwürdige Therapieformen", sehen in diesem Gesetz nichts weniger als einen "Skandal". Problematisch sei vor allem der Hirntod als einziges Todeskriterium. "Das sind noch Menschen, die atmen, röcheln, die sich bewegen. Sie sterben im Grunde erst dann, wenn ihnen das Herz explantiert wird." Erst nach dem letzten Atemzug könne man vom Tod sprechen. "Alles andere ist eine künstliche Definition, eine Vorverlegung des Todes, damit ich diesem Menschen Organe entnehmen kann."

Ein Urteil, das Raimund Margreiter heftig kritisiert: "Der Hirntod ist ja nicht erfunden worden, um dem Transplantationschirurgen zu helfen, sondern weil man verstanden hat, dass man die Pflege von Patienten, die null Überlebenschance haben, reduzieren muss. Das ist ja nur eine Belastung für den Betroffenen, für den Angehörigen, das Pflegepersonal und die Gesellschaft, die das bezahlen muss." Etwaige Reflexe als Lebenszeichen zu interpretieren sei zudem falsch, betont Christian Müller, Neurologe am Wiener AKH und Mitglied des Hirntod-Diagnoseteams. "Reflexe an Extremitäten können sein, weil das Rückenmark noch funktioniert. Jeder kennt ja das Huhn, das kopflos herumrennt."

Was ist Widerspruch?

Kritik an der österreichischen Widerspruchslösung sei nur bedingt gerechtfertigt, meint Ferdinand Mühlbacher, werde doch das Gesetz de facto "nur marginal" durchgeführt. "Wenn Angehörige einen Widerspruch äußern, wozu sie gesetzlich nicht befugt wären, dann interpretieren wir das als mitgeteilten Widerspruch." Auch Mitteilungen in der Geldbörse des Patienten würden als Widerspruch akzeptiert. "Stimmt nicht", kontert Kirchmair und beruft sich auf einschlägige Erfahrungen: "Meist wird weder informiert noch gefragt." Die Positionen könnten widersprüchlicher nicht sein: Auf der einen Seite die Rede von der Widerspruchsregelung als "barmherzigster Lösung" in Europa (Mühlbacher), müssten die Mediziner den Angehörigen doch "in dieser schwierigen Situation keine Entscheidung abverlangen, die sie nicht selbst betrifft." Manche Angehörige könnten zudem die Organspende supplimatorisch verarbeiten, erklärt Mühlbacher. "Für die ist die Trauerarbeit fast schon gegessen." Auf der anderen Seite die Kritik Kirchmairs, wonach neun von zehn Österreichern die Gesetzeslage gar nicht kennen würden und folglich "unfreiwillig" spenden.

Dass es im Notfall um die Kommunikation nicht immer zum Besten steht, räumen freilich auch Kenner der Materie ein. "Die Angehörigen wissen oft nicht einmal, ob der Patient in der Zwischenzeit verstorben und eine Explantation von Organen geplant ist," erzählt der Grazer Psychologe Andreas Willmann. Seit drei Jahren veranstaltet er gemeinsam mit der Psychologin Ingrid Raunigg Seminare für Ärzte und medizinisches Personal, um Missverständnisse im Patientengespräch zu vermeiden. Über 100 Teilnehmer wurden bisher von "Comex" in Gesprächsführung geschult. Auch die neuen Lehrpläne für das Medizinstudium in Wien und Graz enthalten nun Module zu den Themen Kommunikation, Sterben und Tod. "Bisher war das eine Schwachstelle", gibt der Vorsitzende der Studienkommission der medizinischen Fakultät Wien, Rudolf Mallinger, offen zu.

Eine Frage der Pietät

So deutlich die Mängel in der Transplantations-Praxis auch zu Tage treten, so klar befürworten etwa katholische Moraltheologen die Organspende - wie auch die umstrittene Gesetzeslage in Österreich. Zwar hatte Papst Johannes Paul II. im August vergangenen Jahres vor Transplantationschirurgen auch die Freiwilligkeit der Organspende betont, doch vermutet der Innsbrucker Moraltheologe Hans Rotter, dass bei dieser Ansprache "irgendein deutscher Moraltheologe dahintersteckt". Der rigorose deutsche Standpunkt stehe freilich "ein bisschen im Widerspruch zu anderen kirchlichen Äußerungen, wo die Spende von Organen als Werk der Nächstenliebe dargestellt wird". Auch im Hirntodkriterium sieht Rotter kein Problem. "Wenn man sagt, zum Sterben gehört, dass auch die letzte Zelle des Menschen ein Ende findet, dann geht das Sterben bis ins Grab hinein."

Ähnlich argumentiert der Wiener Moraltheologe Günter Virt. Bei der Widerspruchsregelung gehe man davon aus, "dass der Patient, wenn der nicht widersprochen hat, bereit ist zu diesem Akt postmortaler Nächstenliebe." Dazu sei jedoch umfassende Information nötig. Wie schließlich die Organentnahme vonstatten gehe, sei eine Frage der Pietät. Zwar sind nach Virt die Angehörigen nicht Eigentümer des Leichnams, haben jedoch "das Recht, auf eine pietätvolle Weise von ihrem Toten Abschied zu nehmen."

Widerspruch zur Organentnahme an:

ÖBIG, Stubenring 6, 1010 Wien

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