Werbung
Werbung
Werbung

Anhand der aktuellen Debatte über Patientenverfügungen zeigt sich einmal mehr, wie sehr die jeweilige Weltanschauung die bioethische Haltung prägt.

Die Bemerkung war nicht wirklich neu - und doch hoch an der Zeit: "Es gibt keine weltanschauliche Neutralität", meinte der stellvertretende Vorsitzende der Bioethikkommission des Bundeskanzlers, Günther Pöltner, anlässlich des Starts des Gremiums in seine dritte Amtszeit. Jedes Handeln - das persönliche wie das politische - sei einer bestimmten Metaphysik zuzuordnen, erklärte der Philosoph. Es bedürf eines intensiveren gesellschaftspolitischen Diskurses, um bewusst zu machen, dass man diesen weltanschaulichen Hintergründen nicht entkommt.

Wie sehr die Weltanschauung - zumal in heiklen bioethischen Fragen - die entsprechenden politischen Lösungsansätze prägt, zeigt sich nicht zuletzt in der aktuellen Debatte über Patientenverfügungen (siehe Seite 2). In Deutschland wie in Österreich verläuft die Trennlinie zwischen Befürwortern und Kritikern einer größeren Patientenautonomie am Lebensende meist entlang konfessioneller Grenzen: So meinte die (eher restriktive) deutsche Enquête-Kommission des Bundestags in ihrem Bericht vom September 2004 sinngemäß, dass "Sterbenlassen" - etwa durch Entfernen einer so genannten peg-Sonde wie im Fall der us-amerikanischen Wachkomapatientin Terri Schiavo - mit einer direkten Tötungshandlung und damit aktiver Sterbehilfe gleichzusetzen sei. Damit näherte man sich den umstrittenen Aussagen des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. vom März 2004 an, dass "die Verabreichung von Wasser und Nahrung, auch wenn sie auf künstlichen Wegen geschieht, immer ein natürliches Mittel der Lebenserhaltung und keine medizinische Handlung" sei. Folglich sei das Entfernen von peg-Sonden "Euthanasie". Eine Haltung, die evangelische Theologen wie der Bonner Ethiker Hartmut Kress als "Terror der Humanität" empfinden, wie er vorvergangenes Wochenende beim Symposium "Weltreligionen im Dialog mit der Medizin" in Wien erklärte.

Auch in der österreichischen Debatte verlaufen die bioethischen Fronten ähnlich: Während etwa der (katholische) Moraltheologe Günter Virt sich für eine "klare Definition der Reichweite" von Patientenverfügungen ausspricht, um Missbrauch zu vermeiden, ortet der evangelische Medizinethiker Ulrich Körtner in Reichweitenbegrenzungen einen unzulässigen Eingriff in die Patientenautonomie. "Ein Christenmensch ist ein freier Herr", hat Martin Luther schließlich gemeint.

Die Angst vor der medizinisch-technischen Überfremdung des Sterbeprozesses und einer unwürdigen "Pflicht zum Leben" nimmt tatsächlich zu - ebenso die Tendenz in der Ärzteschaft, das Risiko von Rechtsfolgen wegen "unterlassener Hilfeleistung" mit Übereifer zu kompensieren.

Zusammen mit den enormen sozialen und ökonomischen Herausforderungen, die eine rapide alternde Gesellschaft mit sich bringt, entsteht eine Sehnsucht in Richtung "Exit"-Strategien - die sich zumindest 250 deutsche Bundesbürger durch einen assistierten Suizid in der Schweiz erfüllten.

Verbindliche Patientenverfügungen könnten freilich dazu beitragen, dieses Ohnmachtsgefühl zu verringern. Sie können zudem jenes Mindestmaß an religiöser Freiheit und Selbstbestimmung am Lebensende gewähren, das in der multikulturellen, multireligiösen Gesellschaft geboten scheint. Schon jetzt sterben etwa jährlich rund 4.000 Muslime in deutschen Pflegeheimen und Krankenhäusern. Eine entsprechend kleinere Zahl kann für Österreich angenommen werden, wenngleich konkrete Zahlen fehlen.

Traurig genug, dass sich die österreichischen Ministerien erst jetzt - nach jahrelanger Debatte und einem unübersichtlichen Begutachtungsverfahren - "in den letzten Zügen" einer Regierungsvorlage befinden. Noch trauriger, dass die Bioethikkommission des Bundeskanzlers, die 2001 mit großem Aufwand installiert wurde, nur am Rande in diese Gesetzwerdung eingebunden war. Und umso verständlicher, dass der Leiter des Gremiums, Johannes Huber, immer mehr Mühe hat, seine "schwer beschäftigten" Mitdenker zum so notwendigen Ausloten der weltanschaulichen Hintergründe bioethischer Fragen zu motivieren. Dass es hier keine Neutralität geben kann, haben die Auftraggeber der Denker ja hoffentlich begriffen.

doris.helmberger@furche.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung