Jenseits von Gut und Böse

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Im bioethischen Diskurs - derzeit etwa über Gentests an Embryonen - gibt es kein simples Richtig oder Falsch, sondern vor allem Betroffenheiten. Ein Minenfeld, das man in Österreich dennoch irgendwann betreten muss.

Es war eine Sternstunde des Parlaments, wie man sie in Deutschland dann und wann erlebt - und hierzulande eher nie. 620 Abgeordnete des Deutschen Bundestags mussten am 7. Juli Stellung beziehen zu einer der umstrittensten Techniken der modernen Reproduktionsmedizin: der Präimplantationsdiagnostik (PID), also der genetischen Untersuchung künstlich befruchteter Embryonen vor dem Transfer in den Mutterleib. Die vierstündige Debatte vor der Abstimmung, für die der Fraktionszwang aufgehoben worden war, ließ nichts an Dramatik vermissen.

Am Ende verlief die Scheidelinie quer durch alle Lager. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kämpfte Seite an Seite mit SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles für die Beibehaltung des PID-Verbots, während auf der anderen Seite des Gewissens-Grabens die Ärztin und siebenfache Mutter Ursula von der Leyen (ebenfalls CDU) für ein begrenztes Ja zur Embryonen-Selektion plädierte: Auf den betroffenen Paaren laste die Verantwortung vor Gott, vor dem ungeborenen Leben und den eigenen Kindern. Sie müssten selbst entscheiden können.

"Betroffenheitskompetente“ Eltern

"Betroffenheit“: Hier ist es, jenes Wort, das wie kein zweites für die unendliche Mühsal des bioethischen Diskurses steht - und für die Unmöglichkeit "richtiger“ biopolitischer Entscheidungen. Ob es nun um das "Verwerfen“ genetisch auffälliger Achtzeller geht; oder um die (in Österreich bis zur Geburt straffreie) Tötung mutmaßlich schwer behinderter Föten: Welcher Experte, welche Ethikerin, welcher Politiker kann sich anmaßen, existenziell betroffenen Menschen vorzuschreiben, wie viel Leid sie auf sich zu nehmen haben - und wie viel nicht?

Es war unter anderem der Hinweis auf diese "Betroffenheitskompetenz“ von Paaren mit hohem genetischen Risiko, mit der 2004 die Mehrheit der Mitglieder der heimischen Bioethikkommission ihr Ja zur begrenzten Zulassung der PID begründete.

Noch weiter ging kürzlich der deutsche Verfassungsrechtler und Autor Bernhard Schlink in einem Spiegel-Essay: Der Gesetzgeber stelle sich in seinem "dreisten Paternalismus“ verantwortungslose Eltern vor, die es zu gängeln gelte. Doch das Paar, das "nach der Designerwohnung und dem Designerauto und der Designergarderobe auch ein Designerkind“ wolle und dafür eine - nicht übertrieben angenehme - künstliche Befruchtung in Kauf nehme, sei eine Karikatur.

Zumindest im letzten Punkt hat Schlink recht. Die Rede vom "perfekten Designerbaby“, wie sie manche Behindertenvertreter aus (berechtigter) Sorge um einen ethischen Dammbruch im Munde führen, klingt angesichts all jener Paare, die sich kein blondes oder blauäugiges, sondern "nur“ ein gesundes Kind ersehnen, beinah zynisch. Doch auch diese problematische Zuspitzung ist Resultat persönlicher Betroffenheit. So streng die Vorgaben der neuen deutschen Regelung auch sind (siehe Seite 4): Die diffuse Eingrenzung auf Fälle mit "hoher Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit“ trägt das Risiko sukzessiver Erweiterung quasi als Geburtsfehler in sich.

Behinderung, die zu rechtfertigen ist

Wie die Pränataldiagnostik einst nur in Ausnahmefällen angewendet wurde und heute Standard ist, so wird womöglich auch die PID irgendwann nicht mehr aus der Praxis wegzudenken sein - und Behinderung immer mehr zum Makel werden lassen, für den betroffene Eltern sich rechtfertigen müssen.

Vor allem aber: Wer wenn nicht dieser "dreist paternalistische“ Staat soll Partei ergreifen für jenen, der in diesem Dilemma am existenziellsten betroffen ist: den Embryo in vitro?

Nein, im bioethischen Diskurs gibt es kein simples Richtig oder Falsch. Dennoch muss auch Österreich spätestens im Herbst dieses Minenfeld betreten, wenn das Fortpflanzungsmedizingesetz zu novellieren ist. Dann werden Betroffenheiten auf Betroffenheiten prallen. Und am Ende wird man einen Weg beschreiten, der viel Unbehagen hinterlässt. Hoffentlich ist zumindest die Debatte davor von Offenheit und Kenntnis geprägt - und nicht jenseits von Gut und Böse.

* doris.helmberger@furche.at

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