Im Namen der Republik! Ein Gericht spricht Tacheles

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Während die biopolitischen Fronten verhärtet sind, haben die Verfassungsrichter Fakten geschaffen. Was sie fordern - und wie sie es begründen.

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Während die biopolitischen Fronten verhärtet sind, haben die Verfassungsrichter Fakten geschaffen. Was sie fordern - und wie sie es begründen.

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Christina Bauer ist österreichische Staatsbürgerin, Daniela Bauer Deutsche. Nach ihrer Verpartnerung in Deutschland ziehen sie 2008 ins oberösterreichische Wels und beantragen dort 2010, Danielas Zustimmung zu einer medizinisch unterstützten Fortpflanzung mittels Samenspende gerichtlich zu Protokoll zu nehmen. Doch Bezirks- und Landesgericht Wels lehnen das Ansuchen mit Hinweis auf das Fortpflanzungsmedizingesetz ab. Zusatz:

Das Paar könnte ja zur Samenspende nach Deutschland fahren. Der Oberste Gerichtshof sieht das freilich anders: Zwei Mal beantragt er, beim Verfassungsgerichtshof das Verbot aufzuheben. Auch ein Wiener Frauenpaar wendet sich an den VfGH und kämpft dagegen, dass eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung in Österreich "nur in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft von Personen verschiedenen Geschlechts zulässig ist", wie es in Paragraph 2, Absatz 1 des Fortpflanzungsmedizingesetzes heißt.

Am 10. Dezember fällen die Verfassungsrichter schließlich ein wegweisendes Urteil, das am 17. Jänner 2014 von Präsident Gerhart Holzinger verkündet wird: Demnach wird die Wortfolge "von Personen verschiedenen Geschlechts" als verfassungswidrig aufgehoben - ebenso wie der zweite Absatz dieses Paragraphen, wonach technisch assistierte Reproduktion nur dann zulässig ist, wenn "alle anderen möglichen und zumutbaren Behandlungen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durch Geschlechtsverkehr erfolglos gewesen oder aussichtslos sind". Wird dieser Passus ersatzlos gestrichen, so dürfen auch heterosexuelle Paare - ohne Nachweis ihrer Unfruchtbarkeit - eine In-Vitro-Fertilisation in Anspruch nehmen. Bislang ist das verboten.

Auch die ersten beiden Absätze von Paragraph 3 werden von den Verfassungsrichtern gekippt: In ihnen wird festgehalten, dass "nur die Eizellen und der Samen der Ehegatten oder Lebensgefährten verwendet werden" dürfen - außer beim "Einbringen von Samen in die Geschlechtsorgane einer Frau". Beseitigt man diese Stellen ersatzlos, wird auch heterosexuellen Paaren die Verwendung von Fremdsamen bei der In-Vitro-Fertilisation im Reagenzglas erlaubt, was bislang verboten war.

Bis 31. Dezember 2014 müssen die strittigen Passagen vom Gesetzgeber korrigiert werden. Viel Arbeit für die österreichische Biopolitik, die sich zuletzt nicht gerade an Aktivität überschlagen hat: Eine Parlaments-Enquete wurde im Mai 2013 abgesagt: "Die ÖVP hat vor der Wahl kalte Füße bekommen", sagen die einen, "die Referenten sind bis auf drei heruntergekürzt worden", die anderen. Vergangenen Oktober ist die Funktionsperiode der letzten Bioethikkommission ausgelaufen - bis heute wurde keine neue bestellt. Und auch im Regierungsprogramm steht nichts über Bioethik -abgesehen vom Ziel, in der Verfassung ein "Grundrecht auf Sterben in Würde" zu verankern.

Die Argumente liegen jedenfalls auf dem Tisch: von der (eher unumstrittenen) Ratifizierung der Biomedizin-Konvention des Europarates bis zur heiklen Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes. Zu letzterer hat die Bioethikkommission am 2. Juli 2012 ein umfassendes Papier publiziert: mit einer auf Liberalisierung pochenden Mehrheitsmeinung und einer für den Status quo plädierenden, "abweichenden Auffassung".

Die Argumente der Richter

Und wie hat der Verfassungsgerichtshof argumentiert? Für die derzeit gültige Regelung würden keine "besonders überzeugenden oder schwerwiegenden Gründe" vorliegen, wie sie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung fordere. Auch die Gefahr der Leihmutterschaft sei bei der Samenspende für lesbische Paare kein Thema. Der in diesem Fall "weitgehend natürliche Schwangerschaftsund Geburtsvorgang werfe - anders als die Befruchtung von Eizellen im Labor und die Eizellspende - auch keine besonderen ethischen oder moralischen Fragen auf." Und schließlich sei auch der "Schutz der Familie" kein Argument: "Gleichgeschlechtliche Partnerschaften stehen gesellschaftlich gesehen nicht in einem Substitutionsverhältnis zu Ehen und verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaften, sondern treten zu diesen hinzu; sie vermögen diese daher auch nicht zu gefährden."

Starker Tobak für Österreichs vorsichtige Biopolitik.

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