In engster Verbundenheit?

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2015 hat die Zahl künstlicher Befruchtungen in Österreich stark zugenommen. Die "Bindungsanalyse" will schwangeren Frauen nach IVF etwaige (Verlust-)Ängste nehmen und ihre Bindung zum Kind stärken.

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2015 hat die Zahl künstlicher Befruchtungen in Österreich stark zugenommen. Die "Bindungsanalyse" will schwangeren Frauen nach IVF etwaige (Verlust-)Ängste nehmen und ihre Bindung zum Kind stärken.

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Jahrelang hat Frau A. versucht, gemeinsam mit ihrem Mann ein Kind zu bekommen. Doch als sie durch künstliche Befruchtung endlich schwanger wird, überfällt sie plötzlich lähmende Angst - die Angst, ihr Kind zu verlieren. "Diese Angst war so vorherrschend, dass die Frau irgendwann ihr Kind gar nicht mehr gespürt hat", erinnert sich die Schwangerenberaterin Christine Loidl. Dazu kam das Gefühl, durch die Belastungen der künstlichen Befruchtung von ihrem eigenen Körper entfremdet worden zu sein. Die enge Mutter-Kind-Bindung, die normalerweise ganz intuitiv entsteht, wurde offenbar gestört. Doch mit Hilfe einer Aufarbeitung der bisherigen Lebensgeschichte, einer Situationsanalyse und sogenannten "Babystunden", in denen Frau A. ganz zur Ruhe kommen und auf ihr Kind bewusst und unter Anleitung hinfühlen konnte, entstand wieder so etwas wie Verbundenheit.

Etwa 40 schwangere Frauen in schwierigen Situationen hat Christine Loidl bereits durch diese "vorgeburtliche Beziehungsförderung" unterstützen können; einige auch im Rahmen ihrer Tätigkeit für "Aktion Leben Österreich". 2011 initiierte der Verein hierzulande den ersten Weiterbildungs-Lehrgang in dieser Methode, die in den 1990er-Jahren von den ungarischen Psychoanalytikern György Hidas und Jenö Raffai entwickelt worden war und auch als "Bindungsanalyse" bekannt wurde. Seit 2012 bietet die "Aktion Leben" auch ein begrenztes Kontingent an kostenlosen bzw. vergünstigten Plätzen an. Es kommen schwangere Frauen hierher, die nach einschneidenden Erlebnissen den "Draht" zu ihrem ungeborenen Kind verloren haben: weil ihr Partner sie verlassen hat; weil eine pränataldiagnostische Untersuchung ein auffälliges Ergebnis brachte; oder eben weil der Anfang dieses Lebens so ganz anders verlief als üblich.

19 Prozent mehr IVF-Behandlungen

Wieviele Frauen nach einer In-vitro-Fertilisation (IVF) ähnliche Ängste oder Entfremdungsgefühle durchleben wie Frau A., weiß man nicht - wie so vieles, was die Folgen der Fortpflanzungsmedizin betrifft. Klar ist nur, dass die Zahl möglicher Betroffener ständig steigt: Laut neuem "IVF-Register 2015", das vor wenigen Tagen auf der Homepage des Gesundheitsministeriums online gestellt worden ist, hat es im Vorjahr in Österreich um 19 Prozent mehr In-vitro-Fertilisations-Behandlungen gegeben als im Jahr zuvor. Die Chance pro Versuch, tatsächlich ein Kind zu bekommen ("Baby-Take-Home-Rate"), lag bei 27,4 Prozent. Wobei in dieser Statistik nur jene Fälle dokumentiert sind, die vom "IVF-Fonds" mitfinanziert werden. Wenn die nötigen Kriterien erfüllt sind, werden daraus 70 Prozent der Kosten von maximal vier Versuchen übernommen.

Der hohe Anstieg im Vorjahr ist dabei vor allem auf das liberalere Fortpflanzungsmedizingesetz zurückzuführen, das Ende Februar 2015 in Kraft getreten ist: Seither haben nicht nur lesbische Paare Zugang zu den Angeboten der Fortpflanzungsmedizin, sondern auch heterosexuelle Paare, die sich ihren Kinderwunsch nur mit Hilfe einer Fremdsamenspende bei einer IVF erfüllen können. ("Inseminationen" direkt in die Gebärmutter waren schon zuvor erlaubt.) 251 solche In-vitro-Versuche mit Spendersamen hat es laut Register im Vorjahr gegeben, dazu kommen gezählte sieben Fälle, in denen fremde Eizellen verwendet wurden. Ein zentrales Spenderregister fehlt.

Im IVF-Register unerwähnt bleibt auch, wieviele lesbische Paare man im Vorjahr behandelt hat -und vor allem, wie es allen Müttern und Kindern mittel-und langfristig nach einer künstlichen Befruchtung geht. Nicht nur die "Aktion Leben" fordert ein solches, transparentes "Outcome Monitoring" - umsonst. Wie groß die Belastungen sein können, lässt sich im neuen Register freilich erahnen: So kam es etwa im Vorjahr unter den 2360 entstandenen IVF-Schwangerschaften zu 274 Aborten; auch die Frühgeburtenrate lag mit 23,6 Prozent deutlich höher als die durchschnittliche Rate von 7,9 Prozent. Wobei das nicht nur an den 12,5 Prozent Zwillingen lag, die nach einer IVF in Österreich geboren wurden; auch bei Einlingen lag die Frühgeburtlichkeit mit 15,7 Prozent zweieinhalb mal höher als bei jenen Kindern, die auf herkömmlichem Weg entstanden sind.

Diese und andere Zusammenhänge erschließen sich freilich nicht bei einem raschen Blick in das Register, sondern erfordern zusätzliche Quellen. Entsprechend groß ist die Kritik: "Das entspricht nicht dem, was wir uns unter transparenter Dokumentation vorstellen", betont "Aktion Leben"-Geschäftsführerin Martina Kronthaler.

Was man sich angesichts wachsender IVF-Zahlen hingegen umso mehr vorstellen könnte, wäre mehr Unterstützung der "vorgeburtlichen Beziehungsförderung" - optimalerweise finanziert durch die Krankenkassen. "Wir sehen Effekte durch niedrige Kaiserschnittraten, weniger Frühgeburten und kaum postpartale Depressionen", betont auch "Aktion Leben"-Präsidentin Gertraude Steindl. Wie positiv Frauen diese Begleitung subjektiv erleben, zeigt eine qualitative Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung, die Dienstag dieser Woche vorgestellt wurde. Derzeit sei die "Bindungsanalyse" freilich (noch) ein "Elitenprogramm", stellen die Studienautorinnen fest. Die "Aktion Leben" will das ändern - zumal eine sichere Bindung das wertvollste Geschenk sei, das Eltern ihrem Kind mitgeben könnten. "Es geht darum, das Kind in den Mittelpunkt zu rücken und nicht die möglichen Ängste", bringt Christine Loidl den nötigen Perspektivenwechsel auf den Punkt. Keine leichte Übung in Zeiten wie diesen. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

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