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Sehnlichster Wunsch: ein eigenes Kind

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„Das gegenwärtige Phänomen, Heirat und Geburt von Kindern aus persönlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Gründen auf das Alter um dreißig oder gar vierzig zu verlagern, hat dazu beigetragen, daß zunehmend mehr Paare in den westlichen Ländern Probleme mit ihrer Fruchtbarkeit haben“ (aus: „Psychologie heute“, Nr. 10, Oktober 1979). Der Wunsch nach einem eigenen Kind wird zum Fixpunkt solcher Paare. Solange es Hoffnung gibt - die Gynäkologie macht heute vieles möglich - sind Mann und Frau von einem Gedanken beseelt: „Auch ich möchte ein Kind.“

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„Das gegenwärtige Phänomen, Heirat und Geburt von Kindern aus persönlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Gründen auf das Alter um dreißig oder gar vierzig zu verlagern, hat dazu beigetragen, daß zunehmend mehr Paare in den westlichen Ländern Probleme mit ihrer Fruchtbarkeit haben“ (aus: „Psychologie heute“, Nr. 10, Oktober 1979). Der Wunsch nach einem eigenen Kind wird zum Fixpunkt solcher Paare. Solange es Hoffnung gibt - die Gynäkologie macht heute vieles möglich - sind Mann und Frau von einem Gedanken beseelt: „Auch ich möchte ein Kind.“

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Etwa Mitte zwanzig sind Männer und Frauen am fruchtbarsten. Je länger die Zeugung hinausgeschoben wird, desto größer ist auch das Risiko einer physischen Beeinträchtigung des Fortpflanzungssystems.

Die Gründe der Sterilität sind vielfältigster Art und können von der Medizin im Einzelfall schwer oder gar nicht eruiert werden. Wohl aber ist die Art der Störung fast immer zu erkennen. Somit kann mit einer gezielten Behandlung die Chance auf Elternschaft erhöht werden.

Der Wiener Gynäkologe und Hormonspezialist Dozent Walter Schneider, Leiter der Hormonabteilung an der 1. Frauenklinik des Allgemeinen Krankenhauses, schätzt die Erfolgschancen bei Hormonbehandlung auf mehr als 80 Prozent, bei operativen Eingriffen lediglich auf 40 Prozent.

Neben Verwachsungen und Spät-

folgen von Entzündungen nennt Schneider auch mehrmalige Schwangerschaftsunterbrechungen als mögliche Ursache von Eileiterschädigungen oder -Verschluß. Hier hilft nur die Operation und in vielen Fällen auch diese nicht mehr.

Beinahe die Hälfte der Betroffenen sind Männer (45 Prozent). Und auch sie lassen langwierige Prozeduren über sich ergehen, um Vater zu werden.

Eine relativ kleine, aber dafür um so problematischere Gruppe sind jene Frauen, die zu den „psychisch fixierten Sterilitäten“ gezählt werden. Rund 10 bis 15 Prozent aller Betroffenen leiden an einer psychischen Fixierung auf ein Kind. Die Diagnose ergibt zwar eindeutig keinerlei physische Störungen, dennoch bleibt die vielersehnte Schwangerschaft aus.

Hier wird er Gynäkologe zum Psychologen: „In Gesprächen müssen wir das absolute Vertrauen der Patientin gewinnen. Sie muß ihr Problem auf den Arzt abwälzen“, erläutert Dozent Schneider das Verhalten des behandelnden Arztes.

Bevor ein Paar wegen Unfruchtbarkeit ärztliche Hilfe in Anspruch nimmt, ist meist schon eine lange Periode der Verunsicherung, der Angst und psychischer Belastung vorausgegangen. Die Erkenntnis, daß nicht alles in Ordnung ist, wirkt anfänglich wie ein Schock. Die Betroffenen fühlen sich als Versager, als von der Natur benachteiligt, als Menschen zweiter Klasse.

Das alles legt sich, wenn die medizinische Behandlung den gewünschten Erfolg bringt. Wenn nicht, muß das Paar lernen, mit dem Ergebnis der Untersuchungen zu leben und eine Entscheidung zu treffen: Kinderlosigkeit, Adoption oder künstliche Befruchtung.

Die Geburt von Louise Brown in England - das Kind wurde außerhalb des Mutterleibs gezeugt und von seiner zuvor unfruchtbaren Mutter ausgetragen - erregte größtes Aufsehen und weckte Hoffnung bei zahllosen Frauen.

Die Tatsache, daß sich nach diesem Ereignis bis Anfang 1979 mehr als 500 Frauen bei einer Fruchtbarkeitsklinik in Norfolk (Virginia, USA) für eine künstliche Befruchtung angemeldet haben, demonstriert das Ausmaß des Schicksalsschlages.

In Österreich wird über diese Probleme in der breiten Öffentlichkeit nicht diskutiert. Kinderlose Paare begraben entweder ihren Kinderwunsch oder versuchen, ein Kind zu adoptieren.

Die Möglichkeit, ein Kind in Pflege zu nehmen, wird wohl auch in Anspruch genommen, doch „hängt immer das Damoklesschwert über uns, daß ich es wieder hergeben muß“. So eine Pflegemutter, deren Kind von den leiblichen Eltern zurückgenommen wurde. Aber auch die Adoption geht nicht so reibungslos von- statten, wie es sich Eltern gerne wünschten. Derzeit warten rund 500 Bewerber auf ein Kind. 1978 konnten lediglich 78 Kinder vermittelt werden. Infolge des Geburtenrückganges gibt es auch weniger Kinder, die zur Adoption freigegeben werden.

Denn in solch einem Fall müssen die leiblichen Eltern auf ihr Kind für immer verzichten. Prinzipiell sind die österreichischen Fürsorgestellen eher geneigt, leibliche Eltern dahingehend zu beeinflussen, daß sie ihr Kind Pflegeeltem oder einem Heim übergeben, um weitgehend die Chance aufrecht zu erhalten, daß Eltern ihre Kinder wieder zu sich nehmen.

Die unterste Altersgrenze einer Adoptionsbewilligung liegt für Frauen bei 28 Jahren, für Männer bei 30 Jahren. Nach dem Gesetz gibt es keine Begrenzung nach oben, nach internen Gepflogenheiten jedoch werden Säuglinge nur an Eltern bis zu 35 Jahren gegeben. „Dies führt oft zu Problemen mit älteren Bewerbern. Die Einsicht ist nicht sehr groß“, heißt es in der Wiener Adoptionsvermittlungsstelle.

Pflegeeltem werden neben dem Wunsch nach einem Kind vielfach noch vön anderen Motiven geleitet: Soziales Engagement, die Einsicht in die Problematik (schließlich droht jedem Kind, das - aus welchen Gründen immer - nicht bei seinen Eltern aufwachsen kann, das Kinderheim), der Wunsch, Geschwister für ein Einzelkind zu bekommen, aber auch das problematische Motiv der egozentrischen Besitzliebe. Die beiden letzten Beweggründe finden sich freilich auch bei Blutsbanden.

Um die rechtliche Situation der Pflegeeltem zu verbessern - es ist nicht einfach, die betreuten Kinder, die einem ans Herz gewachsen sind, .jederzeit verlieren zu können - und mit der Zielmaxime des Kindeswohles bastelt das Bundesministerium für Justiz gemeinsam mit den Ländern an einer Reform des Jugendwohlfahrtsgesetzes.

Bislang besaßen die leiblichen Eltern uneingeschränktes Recht auf ihr Kind. Ungeachtet der Problematik, ob ihr Vorhaben für das Kind zuträglich erschien oder nicht.

Eine Pflegemutter, die bereits des öfteren erlebt hat, wie das ihr anvertraute Kind in die Fremde, zu seinen Eltern mußte, hat Erfahrung gesam melt: „Für das Kind stürzt eine Welt ein. Wer ist das? Meine Mami bist ja du“, stammeln und weinen solche Kinder und tragen unter Umständen ein Leck für's Leben davon.

Die Neuordnung sieht im Falle eines Dauerpflegeverhältnisses ein eigenständiges Erziehungsrecht für die Pflegeeltem per Gerichtsentscheid vor. Die Rückforderung der Eltern soll nur durch einen Gegengerichtsbeschluß möglich werden.

1980 schon wird der Gesetzesentwurf zur Begutachtung vorliegen. Viele Aspekte dieser Regelung werden mit dem Elternrecht kollidieren. Immerhin wird es — unbeabsichtigt und nur am Rande - jenen Eltern entgegenkommen, deren Wunsch nach eigenen Kindern nicht erfüllt wurde.

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