Dunkle Seiten eines großen Versprechens

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Die Szene ist viele Jahre her. Irgendwo im großen Wiener AKH sitzt Angelika Walser auf einer Wartebank - in der Hand die Überweisung ihres Frauenarztes zur "Abklärung der Ursache des unerfüllten Kinderwunsches". Neben der katholischen Theologin warten noch eine Dame im Business-Look und eine Frau mit Kopftuch auf ihren Termin: drei Menschen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten, aber demselben, großen Problem.

"Warum klappt es nicht? Was machen wir falsch?" Es sind quälende Fragen, die sich Walser und ihr Mann wie alle anderen Betroffenen stellen. Nach zahlreichen Gesprächen entscheidet sich Walser, die Angebote der Reproduktionsmedizin nicht für sich in Anspruch zu nehmen. Sie weiß, dass sie den psychischen Belastungen mehrfacher Behandlungszyklen nicht gewachsen sein würde. Vier Jahre später bekommt das Paar eine Adoptivtochter. Und wieder zwei Jahre später, als Walser gerade eine Stelle am Institut für theologische Ethik an der Universität Wien angetreten hat, stellt sie fest, dass sie schwanger ist. Einfach so.

Das Ringen einer Ethikerin

Viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch erzählen andere Geschichten. Manche haben eine künstliche Befruchtung versucht - und Erfolg gehabt. Andere haben sich irgendwann damit abgefunden, keine Kinder zu bekommen oder sind kinderlos glücklich miteinander. "Es gibt keinen Königsweg, um mit dem unerfüllten Kinderwunsch leben zu lernen", schreibt Angelika Walser im persönlichen Vorwort ihres Buches "Ein Kind um jede Preis?". "Letztlich muss jedes Paar einen Weg für sich finden, und dieser Weg ist mühsam, verläuft oft abseits der Leistungsbilanzen und der geglückten Karrieren, die einem im Laufe des Lebens so präsentiert werden: Schmerzen gehören dazu, Wut und Trauer, Sprachlosigkeit und Enttäuschung."

Aus einer solchen Erfahrung des Schmerzes heraus hat die theologische Ethikerin, die heute an der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule Wien-Krems lehrt, eine ebenso fundierte wie einfühlsame Orientierungshilfe verfasst. Ihr Buch ist keine Anleitung, wie "man" ethisch korrekt mit den vielversprechenden Angeboten der Reproduktionsmedizin umgehen soll. Es spiegelt vielmehr das "Ringen einer katholisch-theologischen Ethikerin" unter zunehmend liberaleren Rahmenbedingungen wider, so Walser. Sie will Paaren dabei helfen, "die eigene Stimme" zu finden, um eine verantwortliche Entscheidung treffen zu können.

Dazu braucht es freilich anfangs Fakten - und Angelika Walser liefert sie erfreulich kompakt: Laut Schätzungen hat in Europa etwa jedes fünfte bis sechste Paar Mühe bei der Erfüllung seines Kinderwunsches, drei bis vier Prozent bleiben dauerhaft ungewollt kinderlos. Die Gründe dafür sind ebenso vielfältig wie diffus: Das angestiegene Erstgebärenden-Alter der Frauen (derzeit liegt es europaweit bei 29 Jahren) ist dabei nur ein Grund. Dazu kommt die stetig abnehmende männliche Spermienqualität -womöglich auch ausgelöst durch Umweltgifte. Nicht selten werden auch psychische Gründe genannt, bei denen Walser jedoch zur Vorsicht mahnt: Sie würden "gerne von selbst ernannten Hobbypsychologen und -psychologinnen beansprucht werden, um kinderlosen Paaren Schuldgefühle zu verursachen und ihr ohnehin schon beeinträchtigtes Selbstwertgefühl erheblich herabzusetzen."

Dass betroffene Paare leiden, ist angesichts der Tiefe des Kinderwunsches nicht überraschend: Er ist ein Wunsch allererster Ordnung, "in gewissem Sinne Ausdruck des Wunsches nach Unsterblichkeit", so Walser. Die Kinderwunschkliniken greifen diese Sehnsucht dankbar auf, ohne freilich die tatsächlichen Chancen und Risken anzugeben - darunter auch die Auswirkungen des erhöhten Stresslevels auf das Ungeborene, wie dies die Psychosomatikerin Katharina Kruppa bereits in der FUR-CHE vom 27. März beschrieben hat. Umso hilfreicher ist Walsers Vergleich der rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz, ebenso wie ihre Zusammenschau der katholischen, evangelischen und feministischen Positionen. Herzstück ihres Buches sind freilich ihre grundsätzlichen, ethischen Überlegungen: Was ist etwa von jener "reproduktiven Autonomie " zu halten, wie sie der US-Ethiker John A. Robertson proklamiert? Nach Walser ist sie ein "Abwehrrecht", welches das Individuum vor Eingriffen des Staates wie etwa in China schützt, aber kein "Anspruchsrecht" im Sinne eines Rechtes auf ein Kind. Angemessener sei hier die Kategorie der Verantwortung und des Kindeswohls.

Gerade auf letzteres pochen jene, welche die -laut Verfassungsgerichtshof bis Ende 2014 umzusetzende -Öffnung der Fortpflanzungsmedizin für alleinstehende Frauen und lesbische Paare kritisieren. Angelika Walser argumentiert hier äußerst vorsichtig: Sie verweist auf die schwierige Studienlage -zugleich aber auch auf die "Widersprüchlichkeit" in der Debatte: "Einerseits wird in der Pädagogik über den ,abwesenden Mann' geklagt ( ). Andererseits soll lesbischen Paaren oder auch Alleinerzieherinnen das Recht zugestanden werden, ihre Kinder ohne männliche Bezugspersonen aufzuziehen." Bei einer Liberalisierung von Samen-und Eizellspenden plädiert sie jedenfalls für eine Pflichtberatung der Eltern -ähnlich wie bei Adoptionen -, um ihnen die Wichtigkeit der Aufklärung ihrer Kinder hinsichtlich ihrer eigenen Herkunft klar zu machen. Schließlich geht es darum, mit der Wahrheit und ohne dunkles "Familiengeheimnis" leben zu lernen.

Schmerzhafter Weg des Loslassens

Nicht erst hier geht es um kommunikative und intersubjektive Kompetenz, ist Angelika Walser überzeugt; sondern schon dann, wenn sich Paare für oder gegen den Gang in eine Kinderwunschklinik entscheiden. Um ihre "eigene Stimme" zu finden, brauchen sie auch Wahrnehmungskompetenz, um ihren Kinderwunsch zu reflektieren; Deutungskompetenz, um ihre eigene Stimme von Ansprüchen der Gesellschaft oder Familie unterscheiden zu lernen; und moralischnormative Kompetenz, um ihre Wünsche mit anderen Werten wie Verantwortung und Menschenwürde abwägen zu können.

Alles nicht so einfach also. Doch was sind überhaupt die Alternativen zur Reproduktionsindustrie? Manche Paare entscheiden sich vielleicht, lieber ein Kind zu adoptieren. Doch auch dies will gut überlegt sein: "Ein Adoptivkind ist nicht einfach ein Ersatzprogramm für ein fehlendes leibliches Kind", schreibt Walser. Und der freiwillige Verzicht? "Es ist ein Weg der Wut, der Rebellion, des Schmerzes, der Enttäuschung und dann irgendwann und vielleicht ganz unvermittelt ein Weg des Loslassens und einer neu gewonnenen inneren Freiheit."

Ein tröstliches, empfehlenswertes Buch.

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